Charakteränderung nach stationärer Psychotherapie

vom 19.09.2017, 13:17 Uhr

Eine Bekannte hat wegen ihrer Angstzustände, Verlustangst und einige anderer psychischen Auffälligkeiten eine stationäre Psychotherapie in Form einer Kur gemacht. Sie war 6 Wochen von zu hause weg und ist dann wie ein neuer Mensch wieder nach hause gekommen. Der Ehemann kam mit der Wandlung nicht zurecht und die beiden haben sich immer mehr gezofft. Nun ist der Mann ausgezogen und das Trennungsjahr hat begonnen.

Durch die Trennung aber fällt sie wieder in das alte Verhaltensmuster zurück und ist wieder in steter ambulanter Therapie. Sie hat wieder ihre Ängste und Verlustängste und der Mann, so hat man den Eindruck, nähert sich langsam wieder an. Aber nur, weil sie langsam wieder die ängstliche und nicht sehr selbstbewusste Frau ist.

Nun frage ich mich, inwieweit sich so eine stationäre Psychotherapie auf den Charakter auswirken kann, dass ein langjähriger Ehemann nicht mehr damit zurecht kommt und ausbricht. Meine Bekannte meinte, dass viele in der Therapie auch berichtet haben, dass schon einige Ehen an so einer Therapie gescheitert ist, weil der Patient dann selbstbewusster wird und einige auch auf einem, Egotrip fahren. Der Ehepartner kommt mit dem nicht zurecht, weil er eben einen anderen Partner gewöhnt ist.

Könnt ihr das nachvollziehen? Denkt ihr, dass man sich an die psychische Erkrankung eines Partners so gewöhnen kann, dass man einen halbwegs gesunden Menschen nicht mehr um sich haben kann? Oder ist das eher Einbildung?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Ich habe eine derartige Charakteränderung auch schon mitbekommen von Einzelfällen. Da wird dann eine 180 Grad Drehung gemacht und die Patienten sind dann wirklich auf dem Egotrip. Sie scheinen nahezu kompromisslos und sind der Ansicht, dass sie sich unbedingt jetzt selbst verwirklichen und ausleben müssen und alle anderen würden sie nur unterdrücken.

Bei einer früheren Klassenkameradin von mir habe ich das mitbekommen. Ihr Vater war in so einer Reha für psychische Erkrankungen und der war danach wie ausgewechselt. Er war nicht mal bereit, sich an gemeinsame Essenszeiten zu halten. Wenn das Mittagessen um 12 Uhr auf dem Tisch stand (so wie immer) und er gerufen worden ist, dann beschwerte er sich andauernd, dass man von ihm Überanpassung und Selbstaufgabe verlangen würde. Er kam dann nicht zum Essen, erst wenn alle fertig und vom Tisch waren. Aber da beschwerte er sich, dass die Menschen zu wenig Rücksicht auf ihn nehmen würde. Die Ehe zerbrach auch und meine ehemalige Klassenkameradin hat eine ziemlich heftige Scheidung miterleben müssen.

Daher halte ich es für möglich, dass es am Patienten selbst liegt, wenn die Beziehung zerbricht. Ich weiß ja nicht, was in so einer stationären Therapie besprochen wird, aber ich fand das schon heftig, als ich die Veränderung des Vaters von meiner Klassenkameradin selbst miterlebt habe.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Dass sich eine stationäre Therapie auf den Charakter eines Menschen auswirken kann, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass psychische Erkrankungen ihrerseits schließlich auch dazu führen, dass sich eine Person verändert. Wird die Erkrankung schwächer oder verschwindet sie sogar gänzlich, dann kehren auch alte Verhaltensmuster und Charakterzüge, die dadurch unterdrückt wurden, wieder zurück, oder es werden neue Einstellungen und Handlungsweisen angenommen, die im Rahmen der Therapie geübt und gefördert wurden. Teilweise ist das für den Heilungsprozess sogar unerlässlich und daher auch gewünscht.

Beispielsweise wird in der Therapie vieler psychischer Erkrankungen das Selbstbewusstsein und das Einstehen für eigene Bedürfnisse und Interessen gefördert. Patienten mit Depressionen oder Angststörungen neigen ja oft dazu, sich selbst völlig in den Hintergrund zu stellen und Konflikte, in denen es um die Vertretung der eigenen Meinung geht, zu vermeiden. Nach einer Therapie treten diese Menschen mitunter sehr viel selbstbewusster auf und lassen sich eben nicht mehr so leicht die Butter vom Brot nehmen. Wenn man das von ihnen nicht kennt, fühlt man sich unter Umständen durch den Wesenswandel vor den Kopf gestoßen oder gekränkt, obwohl das aber gar nicht die Intention desjenigen ist.

Auch gibt es Erkrankungen, bei denen sich fast schon zwei komplett verschiedene Persönlichkeiten innerhalb eines Menschen ausbilden. Schizophrenie ist da die Extremvariante, aber auch Ess- und Persönlichkeitsstörungen können so dominierend werden, dass sie vollkommen das Ruder übernehmen und der Mensch dahinter nicht mehr wiederzuerkennen ist. Natürlich hat man es dann nach der Therapie, wenn wieder die eigene Persönlichkeit überwiegt, mit einer vergleichsweise ungewohnten Situation zu tun.

Ich kann mir schon vorstellen, dass das insbesondere in einer Partnerschaft sehr belastend und schwierig sein kann. Wenn man den Partner schon mit der Erkrankung kennengelernt hat, kann es durchaus vorkommen, dass dieser einem nach der Therapie erst einmal regelrecht fremd erscheint; aber auch, wenn sich die Krankheit erst im Rahmen der Beziehung entwickelt hat und der andere dies passiv miterleben musste, ist es nicht so leicht, einfach darüber hinwegzusehen. Es ist schade, aber nicht gänzlich unverständlich, wenn manche Beziehungen deswegen zu Bruch gehen. Daher empfiehlt sich die Überlegung einer Paartherapie oder zumindest eines Paargesprächs. Die meisten Psychotherapeuten bieten das gerne an, man muss sich nur informieren.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



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