Kein Mitleid mit Kranken die selbst Schuld sind?

vom 13.09.2017, 10:39 Uhr

Ein Nachbar von mir hat Lungenkrebs und streitet deswegen mit einem anderen Nachbarn. Er sitzt bei gutem Wetter gerne im Garten und röchelt und hustet da teilweise stundenlang vor sich hin, da er schlecht Luft bekommt und immer wieder Bröckchen aushustet. Das findet mein anderer Nachbar ekelhaft, denn er hat sein Fenster im Erdgeschoss und bekommt es daher den ganzen Tag mit. In einem Gespräch hat er mir auch mitgeteilt, dass er wenig Mitleid mit dem Nachbarn hat, da dieser sein ganzes Leben lang geraucht hat.

Eine Bekannte von mir hat einen behinderten Mann. Dieser hat bei einem Motorradunfall Bein verloren und hat nun eine Prothese, mit der er sich schwer tut. Auch sie sieht das inzwischen differenzierter und meint, dass er selbst Schuld an seinem Schicksal ist, da er schon immer wie ein irrer gefahren ist und es früher oder später so kommen musste. Sie hat keine Skrupel ohne ihn in den Urlaub zu fahren, wenn es sein muss.

Wie seht ihr das? Habt ihr generell Mitleid mit Menschen die erkrankt sind oder einen schweren Unfall hatten? Oder differenziert ihr das und habt weniger Mitleid, wenn euch klar ist, dass die Person ihre Situation selbst verschuldet hat? Ich muss zugeben, dass ich auch weniger Mitleid mit Menschen habe, die Krebs bekommen haben, wenn sie ihr Leben lang geraucht haben.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Mir geht es da genauso. Bei selbstverschuldeten medizinischen Problemen bringe ich weniger Mitleid auf. Natürlich tun mir die Personen trotzdem leid und ich kann mir schon vorstellen, dass ein Leben mit Lungenkrebs oder einer Beinprothese ziemlich beschissen ist.

Ich würde ihnen auch keine Vorwürfe machen. Sie müssen mit ihren Problemen leben, was bestimmt schon Strafe genug ist. Ich würde auch trotzdem gleich mit diesen Personen umgehen. Also ich würde jedem Rollstuhlfahrer die Tür aufhalten, egal aus welchem Grund er im Rollstuhl sitzt.

Aber meine persönliche Einstellung ist schon eine andere. Derjenige hat vorher gewusst, welches Risiko er eingeht. Er ist nicht vom Leben unfair behandelt worden, wie man so sagt.

Wenn man allerdings eine Beziehung mit jemanden führt, der selbstverschuldet Probleme hat, hm. Ich würde schon versuchen, mit meinem Partner zusammen Urlaub zu machen. Immerhin sind die beiden ja noch in einer Beziehung. Da spielt es für mich erst mal keine Rolle, ob er nun eine Beinprothese hat oder nicht.

Anders ist es, wenn er in Selbstmitleid versinkt und trotzig ablehnt, überhaupt in den Urlaub zu fahren. Dann würde ich auch alleine fahren, um ihm zu zeigen, dass er so nicht weiterkommt. Dass er sich mit seiner Situation abfinden muss und sein Leben weiterleben muss. Und wenn er das nicht hinkriegt, dass seine Partnerin eben allein ihr Leben weiterlebt. Da bringt es ja auch nichts, ihn zu bemuttern und sein Selbstmitleid zu fördern.

Allerdings ist es ja auch nicht zwingend notwendig, gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Wenn sie gerne im Urlaub wandert oder klettert, sollte er ihr das auch ohne schlechtes Gewissen "erlauben".

Dass der hustende Nachbar nervt, kann ich mir extrem gut vorstellen. Dieses Abhusten ist wirklich ekelhaft. Der Lebenspartner meiner Schwiegermutter hat eine Asbestlunge und das war auch jeden Morgen ekelerregend mit anzuhören, wenn ich dort übernachtet habe.

Aber die Situation ist jetzt nun mal so, wie sie ist. Egal, wie der Lungenkrebs entstanden ist, er ist da. Ich finde es gut, dass der Nachbar sich beschwert hat. Man braucht da nicht mitleidig die Klappe zu halten und Kranken alles durchgehen lassen. Das wollen auch die nicht, die nicht selbstverschuldet krank sind. Aber man kann dem Nachbarn auch nicht verbieten, in seinem eigenen Garten zu sitzen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Menschenverachtend findet ihr eure Ansicht nicht? Wann ist denn eine Krankheit selbst verschuldet? Die Asbestlunge ist mehr Mitleid wert als die Raucherlunge? Es ist ziemlich zynisch, dem Suchtkranken absolute Eigenverantwortung zuzusprechen, den Arbeiter aber als Opfer zu sehen. Denn der hatte auch die Freiheit, einen anderen Job zu machen. Ach, der hatte es schwer? Das trifft auf den Suchtkranken auch zu.

Es ist nämlich immer eine Frage der Sichtweise. Was ist denn mit dem Bein, dass bei einem vermeintlich gesunden Sport auf der Strecke geblieben ist? Das ist dann bitter? Obwohl sowohl der Sportler als auch der Motorradfahrer es getan haben, weil es ihnen Spaß macht? Solch eine Einteilung ist anmaßend und ungerecht!

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Ich finde das teilweise schwer zu beurteilen, weil die Grenzen zwischen eigenem Verschulden und Kontrollverlust bei manchen Erkrankungen verschwimmen. Klar kann man argumentieren, dass ein Raucher, Junkie oder Magersüchtiger sich den Folgen seines Fehlverhaltens jederzeit bewusst war und dieses hätte unterlassen können, aber ganz so einfach ist es nun mal nicht. Immerhin spricht man ja nicht umsonst von Sucht. Da sind psychische und physische Faktoren mit im Spiel, die das gesundheitsschädigende Verhalten fördern und aufrecht erhalten, und je länger man diesen nachgibt, desto schwieriger bis gar unmöglich wird es, später dagegen zu arbeiten.

Dennoch habe ich auch wenig Verständnis dafür, wenn ein Alkoholiker zum dritten oder vierten Mal in Folge notfallmäßig im Krankenhaus landet und nicht einmal im Ansatz die Motivation zeigt, sich professionelle Hilfe zu suchen. Ähnlich ist es mit Rauchern, der bereits am Heimsauerstoff hängen und nichtsdestotrotz weiter ihre zwei bis drei Schachteln am Tag qualmen. Aber andererseits bin ich eben nicht in der gleichen Position und kann auch nicht beurteilen, wie es den Menschen geht und wie schwer eine Änderung der Gewohnheiten fällt. Daher versuche ich, möglichst vorurteilsfrei zu bleiben.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Wie schon öfter erwähnt, kann ich mit dem Konzept "Mitleid" nicht viel anfangen, da es anders als Hilfsbereitschaft den Betroffenen nichts nützt und anders als Empathie auch nicht zwangsläufig dazu führt, dass ich mich in die Lage meines Gegenübers versetze und dadurch zum Nachdenken und Dazulernen gebracht werde. Für mich hat "Mitleid" immer einen faden Beigeschmack von Herablassung und Selbstgefälligkeit im Sinne von: "Oh, du armes Ding, aber besser du als ich!"

Aber ich meine damit selbstverständlich nicht, dass einen das Schicksal seiner Mitmenschen gefälligst kalt zu lassen hat, sondern eher, dass es sinnvollere Wege gibt, mit dem Unglück der anderen umzugehen, als dazustehen und zu denken "Du tust mir aber leid!", und sich deswegen auch noch als besserer Mensch zu fühlen, weil man sich in dem Gefühl sonnen kann, selbst besser da zu stehen, weil man keinen Lungenkrebs oder kein gebrochenes Bein hat oder nicht geschieden ist oder was auch immer.

Deswegen maße ich mir auch nicht an, darüber zu urteilen, welche Leute mein "Mitleid" verdient haben oder nicht, weil mir das mitschwingende Gefühl der moralischen Überlegenheit ebenso zuwider ist. Ich rauche zwar nicht und hätte daher in den Augen mancher jedes Recht, mit dem Finger auf all die zu zeigen, die auf Grund ihrer Nikotinsucht krank geworden sind, aber dafür habe ich (genauso wie alle anderen Leute) genug andere schlechte Gewohnheiten. Und falls mich der Herzinfarkt ereilt, möchte ich schließlich auch nicht, dass man mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: "Tja. Hättest du dich mehr bewegt."

Und irgendwo habe ich auch nicht die geistige Energie übrig, um zu differenzieren zwischen: "Dieser Mensch hat bei einer Risikosportart sein Bein verloren. Hoffentlich hat es anständig weh getan!" und "Dieser Mensch war nur brav joggen. Die arme Sau!". Manche Dinge wünsche ich einfach niemandem, egal, ob die Person ein Leben nach meinen Vorstellungen geführt hat oder nach ihren eigenen, gesundheitsgefährdendes Verhalten eingeschlossen.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Anteilnahme ist völlig kostenlos. Aber wer Anteil nimmt, bekommt auch etwas zurück. Voraussetzung ist Empathie. Bei mir im Amt gab es auch solche hirnlosen Exemplare, die meinten, dass junge Menschen selbst Schuld seien, wenn sie bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglücken. Wäre es ihr eigenes Kind, würde sich diese Meinung sicher relativieren. Ich wünschte es ihnen ganz und gar nicht, aber dann noch von anderen gesagt bekommen, das "Kind" wäre selbst Schuld an seinem Tod, ist ja wohl einfach nur schrecklich.

Daher sollte man sich zurück halten, sich nicht so wichtig nehmen und einfach mal den Mund halten. Besser noch ist in solchen Fällen durchaus mal dankbar und demütig zu sein. Statt taktlos und respektlos dem schwer kranken Menschen gegenüber zu reagieren. Was führen diese Menschen wohl für ein armseliges Leben, wenn sie die, die ohnehin schon am Boden liegen, auch noch treten müssen. Nur verbal gemeint natürlich. Kennt jemand von euch Samuel Koch? Samuel Koch hat im Alter von 23 Jahren live bei der Show "Wetten, dass?" einen sehr riskanten Stunt versucht.

Dabei verunglückte er schwer. Nun ist Samuel Koch seitdem vom Hals ab querschnittsgelähmt. Normal schaue ich solche Sendungen nie an. Aber meine Kleine, damals 11 Jahre alt, wollte sie sehen. Wir waren sehr schockiert und voller Anteilnahme als dieser schlimme Unfall passierte. Weder meiner Tochter, noch mir wäre in den Sinn gekommen, auszurufen "Das geschieht ihm recht, er ist doch selbst schuld!" Im Leben nicht, niemals. Ob nun ein Raucher, ein Alkoholiker oder ein risikobereiter Mensch schwer erkrankt oder verunfallt, sie hätten alle meine Anteilnahme und ich würde sie niemals noch derart verhöhnen, wie im Eröffnungsbeitrag beschrieben.

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» Quasselfee » Beiträge: 2143 » Talkpoints: 30,45 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Und wie genau definierst du überhaupt "selbst Schuld"? Ich gehe mehrmals pro Woche im Wald laufen wenn es das Wetter und meine Zeit zulassen. Der Untergrund ist durchaus anspruchsvoll und wenn man nicht aufpasst kann man sich verletzen. Wenn ich mir also einen Bänderriss zuziehen würde, wäre ich dann selbst Schuld? Oder würde die Tatsache, dass ich mich verletzt habe, während ich meinem gesunden Lebensstil nachgegangen bin, stärker wiegen?

Was ist mit Herz-Kreislauferkrankungen oder Diabetes Typ 2? Wie sieht es da mit der Schuldfrage aus, denn schließlich ist beides oft eine Folge des Lebensstils. Oder ist es dir in diesen Fällen wichtiger, dass die Betroffenen den Bänderriss beim Sport vermieden haben?

Wenn man es genau nimmt könnte man wahrscheinlich bei fast jeder Krankheit eine Mitschuld des Betroffenen finden. Es gibt wahrscheinlich Millionen von Studien die zeigen welches Verhalten das Risiko bei welcher Krankheit erhöht und es wird kaum möglich sein alle diese Risiken zu vermeiden.

Ich habe mal ein paar Tage auf einer thoraxchirurgischen Station verbracht und habe dort Raucher kennen gelernt, bei denen ich einfach nur sprachlos war. Das waren Leute, die frisch an der Lunge operiert waren, und die fleißig weiter geraucht haben und die wussten, dass sie genau dieses Verhalten auf den Operationstisch gebracht hat. Aber ich habe nie gedacht, dass man kein Mitleid haben muss, weil die alle selber Schuld sind. Ich verstehe die Motivation nicht, ich verstehe nicht warum man so handelt, aber dieser Gedanke ist mir nie gekommen.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Ich sehe das etwas differenzierter. Denn ich bin der Meinung, dass wir alle, die gesund sind und keine Schmerzen haben, unser Leben lebenswert ist, das größte Glück haben, dass man überhaupt haben kann. Deshalb finde ich es auch suspekt, über andere zu urteilen und zu bewerten, ob jemand jetzt selber Schuld an der Krankheit hat und die betroffenen Personen dann je nachdem anders behandeln.

Jeder, der findet, andere noch herunter machen zu müssen, weil sie selber Schuld an der Krankheit haben, sollten sich selber nach einer langen schweren Grippe oder anderen Krankheit einmal Gedanken darüber machen, wie schön es ist, gesund zu sein. Denn wenn man das Leben schätzt, hat man überhaupt keinen Grund über solche Dinge nur annähernd nach zu denken.

Wenn ich selber gesund und glücklich bin, beeinträchtigt mich das nicht im Geringsten, wenn der Nachbar herum röchelt. Im Gegenteil- ich würde Anteil nehmen und ihm bestmöglichst zur Seite stehen, weil ich selber froh bin, dass ich mich nicht mit solchen Problemen herum schlagen muss.

Und dass Rauchen eine Sucht ist, das weiß ja nun jedermann. Es ist auch bewiesen, dass es Menschen gibt, die eben eher zu einer Sucht neigen, als andere. Es gibt auch Menschen, die sich schwerer tun, eine Gewohnheit oder Sucht fallen zu lassen, als andere. Sind wir doch froh, dass wir dieses Problem nicht haben und dass es uns gut geht. Für mich ist so eine Diskussion vollkommen irrelevant.

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


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