Ist "biodeutsch" eine andere Bezeichnung für "arisch"?

vom 08.06.2017, 05:13 Uhr

Ich bekomme immer wieder mit, wie der Begriff "Biodeutsche" verwendet wird. Damit soll wohl ein Deutscher gemeint sein, der so gar keinen Migrationshintergrund hat. Der Mensch, der den Begriff verwendet, möchte dann einfach betonen, dass er eben nicht die Deutschen mit Migrationshintergrund meint und unterscheidet da auch. Je nach Kontext kann das durchaus ein Detail sein, was notwendig zu wissen ist (also welche Gruppe man genau meint).

Was ich mich aber frage ist folgendes: Ist "biodeutsch" im Endeffekt eine andere, neumodische Bezeichnung für "arisch" oder ist das kompletter Blödsinn? Empfindet ihr diesen Begriff als abwertend, wenn ihr selbst als "biodeutsch" bezeichnet werden würdet (vorausgesetzt ihr seid Deutsche ohne Migrationshintergrund)?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich finde den Begriff nicht abwertend, sondern sinnlos. Gerade in Mitteleuropa wird man kaum jemanden finden, der nach dieser Definition "biodeutsch" ist, denn die meisten haben einen Migrationshintergrund, der ja heutzutage ach so wichtig ist, in irgendeiner der letzten drei bis vier Generationen.

Wenn es sie nicht selbst betrifft, dann eben Onkel, Tante, Großonkel oder weiß der Himmel wen in der Familie. Wo will man also anfangen, jemanden korrekt als "biodeutsch" zu bezeichnen? Egal, wo man anfangen will, es wird schwierig werden, denn vielen Menschen sieht und hört man den Stammbaum nicht an.

Deshalb ist es für mich besonders amüsant, von manchem Ausländer als Superdeutsch ( oder auch als Nazi ) bezeichnet zu werden, weil ich auf Pünktlichkeit bestehe, gleichzeitig von alteingesessenen Dorfbewohnern als Wasauchimmer bezeichnet zu werden, wobei die Bezeichnung aussagen soll, dass ich nicht gebürtig aus dem Dorf komme. So gesehen bin ich also nicht "biodorf" :D

Wenn ich mich da auch noch mit Bezeichnungen wie "biodeutsch" befassen sollte, hätte ich erheblich zu viel zu tun. Da lebe ich doch lieber einfach als Ich und freue mich meines Daseins, während andere nach Kategorien suchen, um andere in Schubladen zu stecken oder abzuwerten.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Möglicherweise sehen es manche Menschen in der Tat so, obwohl es keinen Sinn ergibt. Denn die Nationalsozialisten machten ja eine arische Herkunft eben nicht an der Staatsbürgerschaft fest, sondern an jüdischen, bzw. nicht-jüdischen Vorfahren; sodass in deren Augen alle nordischen und auch manche indo-germanischen Völker und nicht nur Deutsche Arier waren. Selbstredend hat die Entfremdung des Begriffs durch die Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts heute jeden Sinn verloren und ist bar jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Es gibt klare Definitionen des Begriffes "Migrationshintergrund", welche sich über viele Jahrzehnte auf Zuwanderung nach 1949 beschränkt hat. Obwohl man beim letzten Mikrozensus aus irgendwelchen Gründen 1955 als Richtmaß annahm.

So galt es bisher als Migrationshintergrund, wenn ein Mensch nach 1949 aus dem Ausland zugewandert ist, in Deutschland geborener Ausländer war, oder Deutscher in Deutschland mit mindestens einem zugewanderten oder in Deutschland als Ausländer geborenen Elternteil war.

Jedoch wurde der Begriff 2016 von statistischen Bundesamt neu und etwas anders definiert. Nun gilt es als Migrationshintergrund, wenn eine Person oder ein Elternteil dieser nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurde, der Zeitbegriff wurde entfernt. Unzulänglich war die bisherige Definition auch, da es Kinder von Eltern mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt, die im Ausland geboren wurden (zum Beispiel wegen beruflicher Aufenthalte), aber die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten. Denn ein Kind mit Eltern deutscher Staatsangehörigkeit kann laut Statistischem Bundesamt und auch aller Logik nach keinen Migrationshintergrund haben.

Meine Mutter war zum Beispiel Türkin und kam vor über 50 Jahren nach Deutschland, während mein Vater Deutscher war, somit habe ich formal Migrationshintergrund. Habe ich wiederum nun Kinder mit einer Frau, dessen Elternteile beide die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, hat dieses Kind somit keinen Migrationshintergrund mehr.

Der Begriff "biodeutsch" ist allerdings derart frei von jeder sinnvollen Definitionsmöglichkeit, dass er ziemlich aussagelos ist. Selbst die alten germanischen Stämme waren ja schon keine homogenen Gruppen, sondern nahmen, speziell während der Völkerwanderung, jeden in ihren Kriegstross auf, der kämpfen konnte und auf der Wanderung durch ganz Europa kam da schon einiges zusammen.

Recht gebe ich Dir trotzdem damit, dass eher simple und bildungsferne Gemüter diesen Begriff heute in der Tat so verwenden wie Du es annimmst, aber für die meisten Menschen dürfte er sich dennoch lediglich auf deutsche Eltern beziehen. Insbesondere, wenn ihnen die Blödsinnigkeit des Arier-Begriffes in jenem Sinne klar ist. Aufgrund der relativen Verbreitung kann man aber auch nicht einfach behaupten, ein "Biodeutsch" gäbe es so nicht, denn dies scheint ja für eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen eine Bedeutung zu haben.

Persönlich fühle ich mich eher durch den Begriff "Migrationshintergrund" beleidigt, denn wie viele mit solchen Wurzeln habe ich nicht die Bohne mit der Herkunft meiner Verwandten zu tun oder auch nur Interesse daran. Während der Begriff aber schon irgendwie unterschwellig unterstellt, dass die Herkunft auch nach vielen Jahrzehnten noch irgendeine Rolle spielen würde; sonst gäbe es ihn ja nicht.

» Paulie » Beiträge: 554 » Talkpoints: 0,24 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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