Verständnis, wenn jemand nicht arbeiten möchte?
Eine Freundin von mir hat aus meiner und der Sicht einiger anderer Freunde den völlig falschen Beruf erlernt. Sie hat Lehramt studiert. Sie wusste aber auch nie was sie werden will und weiß es auch heute anscheinend nicht. Jedenfalls schreibt sie nie Bewerbungen und meint auch, dass sie nicht weiß wo sie sich bewerben soll.
Nach dem Studium hat sie dann das Referendariat angefangen, aber weil sie wohl an der Schule nicht klar kam hat sie oft gefehlt und ihr wurde dann gekündigt.
Seitdem lebt sie von Hartz IV, mittlerweile bestimmt schon 3 Jahre.
Und damit geht es ihr wohl ganz gut. Sie macht seitdem viel Sport, sogar Leistungssport dafür hatte sie vorher nie Zeit oder Kraft. Dadurch ist sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihr starkes Übergewicht losgeworden, was sie schon seit dem Kindesalter hatte. Sie sieht dadurch natürlich viel besser aus, ist auch viel seltener krank, hat jetzt die erste Beziehung, obwohl sie sonst immer Dauer-Single war und auch ansonsten macht sie einen viel glücklicheren Eindruck. Sie geht ehrenamtlich ein bisschen arbeiten und blüht wohl richtig im Sport und in der Gartenarbeit auf. Allgemein hat sie sehr viele Hobbys, auch einen Hund mit dem sie sich jetzt sehr viel beschäftigt und sie kocht jetzt täglich frisch. Dafür hatte sie vorher wohl auch keine Zeit.
Sie sagt auch ganz klar, dass sie nicht arbeiten möchte, weil sie eben nicht weiß was sie machen soll und weil es ihr jetzt so gut geht. Das Jobcenter bezahlt ihr auch keine Umschulung, weil sie gesundheitlich angeschlagen ist und sie wohl davon ausgehen, dass sie mit ihren gesundheitlichen Problemen eh keine Arbeit findet. Früher wollte sie immer unbedingt Tierpflegerin werden, aber nach dem Abitur hat sie keine Ausbildung gemacht, weil man da wohl sehr wenig verdient als Tierpfleger. Heute hilft sie ehrenamtlich im Tierheim und ist sehr glücklich damit.
Sie meint, dass Arbeit nichts für sie ist und es ihr damit einfach schlecht geht, sowohl körperlich als auch psychisch.
Findet ihr so eine Einstellung verständlich? Manche unserer Freunde können das total nachvollziehen, vor allem, weil sie auch hohe Schulden hat und als Langzeitarbeitslose wohl eh nur noch Zeitarbeit oder Fließbandarbeit für einen Hungerlohn machen könnte. Ich kann nachvollziehen, dass man das als Akademikerin nicht möchte.
Andere haben gar kein Verständnis, weil meine Freundin ja erst 32 Jahre alt ist und sie meinen, dass sie quasi ihr Leben wegwirft und doch nicht 40 Jahre lang von Hartz IV leben kann.
Meint ihr, dass es Menschen gibt, die einfach nicht für Arbeit geschaffen sind? Habt ihr Verständnis für solche Leute oder meint ihr man sollte um jeden Preis arbeiten gehen, auch wenn man selber vielleicht gar nichts davon hat und nicht glücklich damit ist?
Deine Freundin arbeitet doch, auch wenn sie dafür keine oder nur eingeschränkte Entlohnung bekommt. Ich finde es immer schlimm, dass es Leute gibt, die ehrenamtliche Arbeit nicht als Arbeit ansehen. Es ist in meinen Augen absolut nicht schlimm, nicht "klassisch" zu arbeiten, sondern nur im Ehrenamt. Deine Freundin hat mit dieser Arbeit und ihren Hobbys ihren Tag ausgefüllt und wirft so meiner Meinung nach ihr Leben nicht weg, vor allem, weil sie so glücklicher ist.
Ich weiß, dass wenige Leute meine Auffassung teilen und es geht vielleicht etwas Off-Topic, aber genau dafür ist ein bedingungsloses Grundeinkommen wichtig. Die Leute machen endlich das, was ihnen Freude bereitet, auch wenn sie damit weniger Geld verdienen. Meiner Meinung nach macht deine Freundin alles richtig.
Wenn die 30-jährige Frau mit ihrem Schuldenberg und Leben am Existenzminimum zufrieden ist, dann soll sie weiter so machen, das interessiert mich herzlich wenig. Ihr Leben ist kein Maßstab für mein Leben und ich weiß, dass ich gerne ein bisschen mehr Geld habe, weswegen ich auch zu unregelmäßigen Zeiten arbeiten gehe.
Die Erwerbsfähigkeit von anderen Menschen geht mir am den vier Buchstaben vorbei. Ich denke, dass die Leute, die sich so sehr für das Leben von anderen interessieren und immer meckern, schimpfen und den Zeigefinger erheben sind schlimmer. So lange ich nicht zu Schaden komme, ist das Leben anderer Menschen für mich uninteressant.
Jeder muss ja selber wissen, wie er sein Leben gestaltet. Persönlich finde ich es nicht besonders ansprechend, wenn man arbeiten gehen könnte aber lieber Hartz 4 bezieht, aber das muss ja jeder selber wissen. Ich würde auch lieber irgendeinen Mistjob annehmen nur damit mich nicht der Staat finanziert, aber das kann man keinem vorschreiben. Nachvollziehen kann ich es nicht, wenn man studiert und dann zu Hause sitzen möchte, aber ich akzeptiere solche Meinungen.
Es gibt natürlich den Aspekt, dass sie durch das Hartz IV von Steuergeldern lebt. Darüber könnte man sich als arbeitender Zeitgenosse ein klein wenig aufregen. Aber da sie ehrenamtlich arbeitet und als sie noch "richtig" gearbeitet hat, viele Krankentage hatte, gleicht sich das auch wieder aus.
Dass sie ihr Leben wegwirft, ist eine sehr subjektive Einschätzung. Von jemandem, der sich ein Leben ohne viel Geld wohl nicht vorstellen kann. Von diesem Geld will derjenige sich teure Sachen kaufen und in seiner spärlichen Freizeit Urlaub machen. Oder es geht um Anerkennung, die derjenige von außen bekommen muss. Das ist vollkommen legitim, aber eben nicht Jedermanns Definition von einem lebenswerten Leben.
Meiner Einschätzung nach führt eine aktive Hartz-IV-Empfängerin ein sehr viel schöneres Leben. Ich habe mir auch einen Beruf gesucht, bei dem ich nicht jeden Tag ins Büro hetzen muss. Gut, ich kann mir auch keine teuren Sachen und Urlaube leisten, aber das Bedürfnis danach habe ich auch gar nicht. Wenn man ein stressfreieres Leben führt, hat man jeden Tag genug Entspannung und zählt eben nicht genervt im Büro die Tage bis zum jährlichen, zweiwöchigen Urlaub, in dem dann alles schnell nachgeholt werden muss und ganz dringend entspannt werden muss.
Also von Leben wegwerfen kann hier gar keine Rede sein. Finanzielle Unabhängigkeit ist zwar immer eine schöne Sache. Vor allem wenn dann die Vorverurteilung als "faules Pack" weg fällt. Aber nein, nicht jeder ist dazu geschaffen, jeden Tag acht Stunden arbeiten zu gehen. Im Grunde sind das wahrscheinlich die wenigsten. Manche können sich aber besser damit arrangieren als andere oder haben eben noch nie über die Nachteile nachgedacht, weil die neben dem Vorteil der gesellschaftlichen Akzeptanz verblassen.
Ich finde auch, dass nicht jeder arbeiten muss, zumindest in Bezug auf die klassische Arbeitstätigkeit. Ok, sie hat studiert, aber vielleicht nur deswegen, weil ihr nichts Besseres eingefallen ist und gerade Lehramt ist ja ein Studium, das viele erst einmal aus einer gewissen Verlegenheit heraus wählen, weil sie keine alternativen Ideen haben. Und wenn man dann arbeitet, kommt die Ernüchterung.
Vermutlich ist das ein Erlebnis, das ganz viele Studenten haben. Man hegt gewisse Ideale, wie der Beruf sein könnte und ist dann vom beruflichen Alltag schockiert. Ich war auch nicht so begeistert von meinem ersten Job, also wahnsinnige Freude hatte ich dabei nicht. Ich habe dann später etwas gefunden, was ich ok finde, aber es ist nicht so, dass ich voller enthusiastischer Begeisterung arbeiten gehe. Irgendwo muss das Geld eben herkommen. Wenn ich aber mal im Lotto gewinnen würde, würde ich den Job auch sausen lassen.
Ich kenne auch so viele, die blöde Jobs haben, die sie eben machen, weil sie irgendwo Geld herbekommen müssen und eigentlich sind sie davon nicht so übermäßig begeistert. Wer wirklich gerne arbeitet ist doch eher in der Minderheit. Ich würde für mich sagen, dass es Aspekte meiner Arbeit gibt, die mir gefallen, aber keineswegs alles. Wobei ich es ganz schön finde, dass ich bei meiner Arbeit viele Freiheiten habe und auch eine höhere Position. Dann sind es aber weniger die konkreten Inhalte, sondern eher die Rahmenbedingungen, die mir gefallen.
Wenn nun jemand ohnehin keine großartigen Ambitionen hat, sich nicht viel leisten will, dann ist es doch ok, wenn man nichts macht. Warum ist es so schlimm, wenn jemand von Alg II lebt? Weil das Steuergelder sind? Na und? Würde ich meine Steuern wiederbekommen, wenn es weniger ALG II Empfänger gibt? Wohl kaum. Wenn diese Frau glücklich ist, dann ist es aus meiner Sicht das Richtige für sie, auch wenn es gesellschaftlichen Idealvorstellungen nicht entspricht.
Ich habe hier durchaus Verständnis und bin sowieso schon seit längerem der Meinung, dass das klassische Arbeitsmodell mit festem Ort und fester Stundenanzahl ein Auslaufmodell ist. Ich habe das Gefühl, dass sich der Stellenwert der Erwerbsarbeit in der heutigen Gesellschaft auch verändert hat verglichen mit den vorherigen Generationen unserer Eltern und teilweise schon Großeltern.
Mein Vater (78) hat beispielsweise ohne Lehre, Praktika und kompletter Aufgabe seines Privatlebens einen soliden Job gefunden, der es ihm 40 Jahre lang ermöglicht hat, ein Leben in bescheidenem Wohlstand zu führen und eine Familie zu ernähren. Heutzutage gibt es für viele, gerade aus unterschiedlichen Gründen nicht top qualifizierte Leute nur noch erbärmliche zeitlich begrenzte Jobs für einen Hungerlohn, sodass ich mehr und mehr Verständnis dafür entwickle, dass manche sich lieber darauf konzentrieren, ein bescheidenes Leben zu führen, als ihr ganzes Leben lang sich abzumühen und aufzuopfern, um doch nicht auch nur in die Nähe von Wohlstand und finanzieller Stabilität zu kommen.
Arbeit ist heute kein Statussymbol mehr, und solange die Bildungsschancen so ungleich verteilt und systemimmanent ungerecht sind, kann ich auch nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen und sagen "Selber schuld, wenn der keine Lehrstelle gefunden hat, weil kein Mensch mehr jemanden mit Mittelschulabschluss einstellt!" oder ähnliches. Natürlich muss man auch Opfer bringen, wenn man nicht in das Hamsterrad einsteigen möchte, aber wenn ich mir anschaue, was alles an Schindluder mit Steuergeldern getrieben wird, finde ich es sogar noch ganz menschlich, die eine oder andere verkrachte Existenz mit durchzuschleppen.
So geht es mir auch ein wenig, nur habe ich keine Schulden. Wenn das Arbeitsamt keine Umschulung bezahlen möchte, dann sollen sie halt weiterhin bezahlen.
Wenn Leute arbeiten und weniger als ein Hartz IV Empfänger bekommen, kann ich das auch durchaus verstehen, wenn man nicht arbeiten möchte, das ist einfach nur eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht für jeden, der arbeiten tut. Gibt es ja zum Beispiel oft bei den Paketzustellern.
Vielleicht wäre ja ein eigenes Geschäft für sie gut oder sie könnte einen Blog führen und zum Beispiel Produkte vorstellen. Da gibt es Leute, die leben davon ganz gut und man ist sein eigener Boss.
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