Männer nur wenig Verständnis für psychische Erkrankungen?

vom 05.04.2017, 08:38 Uhr

Gestern habe ich mitbekommen, dass jemand erzählt, dass ein gemeinsamer Bekannter ja seit einem halben Jahr nicht mehr arbeiten ginge, weil dieser Burnout hätte. Der Mann machte sich mehr oder weniger darüber lustig und zog dies irgendwie ins Lächerliche. Als wäre Burnout nur eine neumodische Erkrankung und eher ein anderes Wort dafür, dass jemand einfach keine Lust auf Arbeiten hätte.

Bei mir ist der Mann damit auf taube Ohren gestoßen. Ich mache mich nämlich sicherlich nicht über jemanden lustig, der eine psychische Erkrankung hat. Dabei ist es mir auch egal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Es kam schon sehr abwertend herüber, so als wenn es irgendwie besonders komisch wäre, dass auch ein Mann eine psychische Erkrankung wie ein Burnout bekommen könnte.

Auch habe ich mal die Aussage eines Mannes gehört, dass es psychische Krankheiten ja eigentlich gar nicht gäbe. Dann frage ich mich, was diese Krankheiten denn ansonsten sein sollen? Alles Einbildungen?

Meint ihr, dass Männer weniger Verständnis für psychische Krankheiten haben? Ist euch da schon selbst mal etwas aufgefallen? Wie erklärt ihr euch das? Meint ihr das Frauen in solchen Dinge einfach feinfühliger sind und deswegen auch mehr Verständnis haben?

Benutzeravatar

» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Ich denke, das ist weitgehend kulturell geprägt und anerzogen. Es liegt meiner Meinung nach höchstens zum Teil daran, welches Geschlecht jemand hat, wenn er sich so äußert. Ich versuche das mal zu erläutern.

Ich habe Kinder beiderlei Geschlechts und bemühe mich als Mutter, ihnen von Klein an ein modernes Rollenverständnis zu vermitteln. Allerdings findet Erziehen nie im luftleeren Raum statt. Die weitere Familie, Kindergarten, Schule und auch ganz fremde Leute erziehen immer mit. Und natürlich merken das die Kinder, dass es da tradierte gesellschaftliche Normen gibt, die viele einfach teilen und gut finden. Nur ein Beispiel: Kinder fallen gelegentlich auch mal hin oder tun sich sonst wie in der Öffentlichkeit weh. Der erste Reflex von kleinen Kinder ist dann zu weinen und Trost bei den Eltern oder Bezugspersonen zu suchen. Ich habe alle meine Kinder dann getröstet und dann irgendwann nach einer angemessenen Weile auch aufgemuntert, mit dem Weinen wieder aufzuhören.

Auf Dauer hilft das ja nicht, höchstens als Ventil gegen den ersten Schreck. Kaum ist man aber mit den Kindern in der Öffentlichkeit und so etwas passiert, mischen sich immer auch außenstehende mit ein. Bei einem weinenden Mädchen wird immer Mitleid geäußert (außer das Kind hat offensichtlich extrem leichtsinnig gehandelt) und von Fremden Trost zu gesprochen. Bei Jungen kommt entweder gar kein Kommentar oder gleich die Anweisung an das Kind nicht zu heulen, weil Jungen oder Männer nicht heulen. Egal wie weh das wirklich tut, was passiert ist. Natürlich lernen das die Kinder dann, dass bei dem einen Geschlecht Weinen und Schwäche als legitim angesehen wird, bei dem anderen Geschlecht nicht. Uns selbst, wenn man als Eltern da widerspricht, hört der kleine Junge, dass da Uneinigkeit besteht und verinnerlicht den Anspruch an sich selbst, Gefühle der Schwäche besser nicht zu zeigen.

Klar wirkt das nicht nur beim Hinfallen. Die Jungen lernen so auch, dass man psychische Schwäche besser nicht zeigt, weil man sonst gesellschaftlich ermahnt wird, dass es unmännlich sei. Und irgendwie ganz unterbewusst fängt man dann ja auch selbst an, so ein Verhalten bei anderen Männern nicht zu tolerieren, wenn die Schwäche zeigen und den dann wahlweise als schwul oder als Weichei zu betiteln.

Das Verrückte ist ja, dass seit über dreißig Jahren immer wieder Eltern versuchen, dieses alte Rollenmuster aufzubrechen, aber es lebt erstaunlich hartnäckig weiter. Es sind noch genug Senioren da, die das anders gelernt haben, die sich einmischen. Und auch andere Jungen in Einrichtungen der Kinderbetreuung und in Schulen tragen das weiter, indem sie andere Jungen ächten, die sich vermeintlich zu emotional sensibel verhalten.

Dass das nicht gesund sein kann, wenn man Schmerz, Trauer und Schwäche nicht zeigen und thematisieren darf, wundert mich nicht. Und dass dann diejenigen, die es nicht geschafft haben, ihre Emotionen mit Gewalt zu unterdrücken mit wenig Verständnis kommentiert werden, ist auch nicht weiter verwunderlich. Aber so schnell wird sich da nichts ändern, so lange man den Männern nicht zubilligt, auch schwach sein zu dürfen, wenn das Leben mal zu viel auf einmal auf einem abwälzt.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Ich glaube nicht, dass das vom Geschlecht abhängt. In diesem Forum habe ich die Aussage einer Userin gelesen, die doch tatsächlich meinte, dass Depressionen doch nur Einbildung und in "Mode" wären und dass die gar nicht existieren würden. Ich denke daher eher, dass es etwas mit dem eigenen Erfahrungsschatz zu tun haben wird.

Jemand, der nie psychisch krank war und das nie erlebt hat, wie es jemandem dabei wirklich geht, wird dafür wenig Verständnis haben. Genauso kann man das aber auf andere Situationen beziehen. Ein Mann wird nie verstehen wie es ist, schwanger zu sein, weil das anatomisch gar nicht möglich ist und ein Einheimischer wird nie verstehen, was ein Mensch mit Migrationshintergrund durchmachen musste. Man hat vielleicht das theoretische Wissen, aber das richtige Verständnis kommt meiner Ansicht nach erst mit der entsprechenden Erfahrung. Vorher macht man sich nur etwas vor.

Benutzeravatar

» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^