Sich das Leben mit einem jetzt Verstorbenen schön reden

vom 18.05.2016, 11:44 Uhr

In meinem Bekanntenkreis ist es passiert, dass ein Mensch verstorben ist, der nicht gerade nett zu seinen nächsten Angehörigen gewesen ist. Die Witwe des Verstorbenen aber redet nur in den höchsten Tönen von ihm, wie gut er doch war und dass er doch alles für jeden gemacht hat usw. Sie trauert sehr und wenn man nicht wüsste, dass sie geprügelt wurde und dass er auch die Kinder ziemlich hart angepackt hat, so dass der älteste Sohn nicht mal zur Beerdigung gekommen ist, dann würde man als Außenstehender meinen, dass es wirklich ein guter Mensch gewesen ist.

Ich frage mich bei so etwas, warum man sich das Leben mit einem jetzt verstorbenen Menschen so schön redet, wo er doch zu Lebzeiten wirklich ein schlechter Mensch gewesen ist. Diese Sätze, dass man nicht schlecht über einen Toten reden soll finde ich absurd. Denn was soll man denn gut reden, wenn nicht viel Gutes dabei war?

Könnt ihr nachvollziehen, dass man sich das Leben zu Lebzeiten eines jetzt verstorbenen Menschen so schön redet, dass man vor Trauer das eigene Leben bald vergisst? Warum ist man dann nicht im Innern doch was froh, dass es vorbei ist und man endlich aufatmen kann?

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» MissMarple » Beiträge: 6786 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich kann es schon verstehen, wenn nicht wirklich Gravierendes vorgefallen ist. Also wenn man halt nur ab und zu Knatsch hatte und Uneinigkeit bestand. Das kann man ja alles nicht mehr lösen, wenn derjenige vor einem klärenden Gespräch gestorben ist. Da redet man sich das eben schön, damit man nicht ständig darüber nachdenkt, was man eh nicht mehr ändern kann.

Wenn man allerdings vom Ehemann jahrelang missbraucht wurde, ist das etwas anderes. Da wäre eh nie eine Klärung erfolgt. Da kann ich mir nun nur vorstellen, dass sie insgeheim erleichtert ist, dass er tot ist. Das aber nagt an ihrem Gewissen, so dass sie eben die tief trauernde Witwe mimt.

Aber was heißt schon "mimen". Das ist meist gar keine bewusste Entscheidung. Man reagiert halt instinktiv auf den Tod dieses Menschen, so wie es einem am meisten gut tut. Mit der Zeit wird da ein Prozess in Gang kommen, währenddessen sie die Sache wieder klar sieht und dann wird sie es hoffentlich wenigstens für sich klären, warum sie das alles so lange ertragen hat.

Im Moment würde ich daher gar nicht viel dazu sagen. Die engsten Angehörigen dürfen so reden und handeln, wie es ihnen am besten passt. Wenn sie dann so weit sind, kann man ja vielleicht durch Gespräche helfen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Man sagt ja immer, dass es sich nicht gehört, schlecht über einen Verstorbenen zu reden und für die Frau ist es vielleicht ihre Art, um irgendwie mit der Trauer fertig zu werden. Sie redet sich das vielleicht selbst alles schön, um eben auch mit der Vergangenheit besser klar zu kommen.

Man könnte nun sagen, dass man selbst in so einer Situation ganz anders reagieren würde. Aber wer kann das schon sagen, wenn er sich nicht in dieser befindet. Ich würde das gar nicht weiter hinterfragen und es der Frau einfach lassen, dass sie von ihrem verstorbenen Ehemann in den höchsten Tönen spricht.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Mit der Zeit verblassen und verschwimmen die Erinnerungen ja auch immer ein bisschen, so dass man nach einiger Zeit vieles auch nicht mehr so schlimm wahrnimmt, wie es früher war. Man kann sich zwar an schlechte Tage, schlechte Zeiten, Schmerzen und so etwas alles erinnern, aber so richtig nachempfinden, wie man sich damals in diesen Situationen gefühlt hat, kann man ja nicht. Von daher ist es ja auch normal, dass man eben nicht mehr so schlimm über jemanden denkt, wie früher.

Man sagt ja auch, dass man über Verstorbene nicht schlecht reden soll, zumindest kenne ich diese Denkweise von meinen Eltern und Verwandten. Da wird grundsätzlich auch nie schlecht über Verwandte geredet. So war der Vater meiner Mutter auch nicht immer so gut zu ihr, wobei meine Mutter direkt wütend wird, wenn man das anspricht. Sie meint dann auch gleich, dass man nicht schlecht über Tote reden darf und bricht das Gespräch dann auch gleich ab, sofern man nichts Nettes sagen möchte.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Wer wird auf einer Beerdigung oder danach schon sagen, dass man mehr als erleichtert ist das der Drecksack das zeitliche Gesegnet hat? Das wird doch niemand machen, denn zum einen bekommen wir alle beigebracht, dass man über die Toten nicht schlecht redet und zum anderen ist das auch ein Thema bei dem viele Berührungsängste herrschen.

Von daher empfinde ich es schon als eine Art des Selbstbelügens, wenn man hinterher alles schönredet und meint, es war nicht so schlimm, das war seine Art und mit den Schlägen hat er nur seine Zuneigung ausgesprochen. Wieso sollte ich das machen? Ich habe den Menschen erlebt aus meiner ganz eigenen Sicht, warum muss ich mich dann hinterher belügen und mir alles schön reden wenn es doch gar nicht schön war?

Sicherlich muss ich es nicht jedem auf die Nase binden was für ein Dreckschwein Person X war und was diese alles gemacht hat, aber ich muss jemanden dafür nicht loben oder gar heilig sprechen. Denn jeder andere auch hat seine Erfahrungen mit der Person gemacht und sein eigenes Bild, dass man ohnehin nicht alles was man sich selbst einredet und an Lügen verbreitet geglaubt wird. Aber aus Scham wird ohnehin vieles durchgewunken und "abgekauft" zumindest auf den ersten Blick.

Aber das kann jeder machen wie er möchte und wenn es der Frau hilft, dann soll sie sich gerne weiter selbst belügen und sich die Dinge sehr schön reden. Es war sicherlich nicht alles schlecht daran und ich wette sie hatte auch schöne Erinnerungen mit ihrem Mann, dabei sollte man die schlimmen Dinge jedoch nicht vergessen und auch nicht komplett totschweigen sondern einfach ehrlich mit sich ins Gericht gehen und auch ehrlich auf Fragen antworten.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge


Ich denke, dass es einfach nicht angenehm ist zuzugeben, dass man mit so einem Mistkerl zusammen war und man ihn eigentlich schon lange nicht mehr leiden konnte. Man sagt dann einfach das, was man erwartet sagen zu müssen und auf einer Beerdigung ist das vielleicht auch angebrachter als eine Frau, die sich über die Unarten des Mannes auslässt. Wobei ich nicht verstehen kann, wie man sich diese Lüge abseits einer Beerdigung antun kann.

Es mag sein, dass sich gewisse Leute einfach einreden, dass man nicht schlecht über Tote spricht und man deswegen nur nette Sachen sagen darf, aber das würde mich nicht dazu bringen über so einen Kerl positiv zu reden. Das kann ich dann auch nicht verstehen, aber wer sich in einer Beziehung selber schon nicht so Ernst nimmt und sich nicht trennt obwohl die Kinder auch betroffen sind, wird wohl auch nicht die Kraft haben die Wahrheit zu sagen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Wie lange ist die Beerdigung denn her? Mistkerl hin oder her, die Zeit spielt beim Verarbeiten lebensverändernder Ereignisse schon eine bedeutende Rolle, und die wenigsten Menschen können mit Veränderungen spontan gut umgehen, selbst wenn sie langfristig gesehen eine Besserung bedeuten. Eine radikalere und endgültigere Veränderung als den Tod eines (im Guten wie im Schlechten) nahestehenden Menschen kann ich mir kaum vorstellen.

Mit anderen Worten: Ich halte es gerade bei plötzlichen Todesfällen bzw. zu Beginn der Trauerphase für ganz normal, dass die Hinterbliebenen eine Zeitlang brauchen, bis sie überhaupt begreifen, was sich für sie jetzt alles geändert hat. Dazu kommt noch, dass die allerwenigsten Menschen 100 Prozent ihrer Zeit als Mistkerle zubringen, und dass wohl jeder von uns eher dazu neigt, sich schöne Erinnerungen zu merken und versucht, nicht an die Prügel und Demütigungen zu denken.

Daher gehe ich davon aus, dass sich in vielen Fällen früher oder später doch eine gewisse Erleichterung breit macht. Nur geschieht das selten schon während der Trauerfeier oder in den ersten 14 Tagen, wenn ein Todesfall noch interessant ist. Ich kann mir daher durchaus vorstellen, dass sich die Witwe in ein paar Monaten oder Jahren durchaus bei dem Gedanken ertappt, dass das Leben doch sehr viel leichter geworden ist, wenn man nicht immer den Haustyrann im Nacken hat. Nur wird sie diese Erkenntnis kaum an die große Glocke hängen, und es wird sich zu diesem Zeitpunkt sowieso kaum noch jemand dafür interessieren, ob sie sich etwas "schön redet" oder nicht, weil der Todesfall schon längst Schnee von gestern ist.

» Gerbera » Beiträge: 11315 » Talkpoints: 48,61 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Wenn eine Frau von ihrem Mann geprügelt wurde, muss das nicht bedeuten, dass sie ihn als einen schlechten Menschen sieht. Oftmals kann es im Laufe des Lebens passieren, dass geschlagene Frauen sich mit ihrer Rolle abfinden, dem Partner beipflichten, dass sie es verdient haben und mehr. Das passiert nicht selten und sie finden immer wieder eine Begründung, wieso sie es verdient hätten.

Das würde somit nicht zwangsläufig erklären, wieso sie ihren jetzigen Verstorbenen Mann weiterhin schön redet. Doch es wäre eine Möglichkeit, dass sie selber noch nicht realisiert hat, dass sie teilweise das Opfer war. Manche Frau nimmt sich selber auch nicht wichtig genug und lässt das Schlagen als "Okay" durch, solange der Rest in ihren Augen stimmt. Von dieser Art Frau kenne ich auch zwei bis drei Paradebeispiele und auch wenn es schwer zu verstehen ist, die trennen sich nicht, betteln, wenn er sich trennt und mehr.

Der Sohn hat offenbar das gemacht, was man von ihr jetzt erwartet hätte. Erst gar nicht zur Beerdigung zu gehen. Sie kann es offenbar nicht, weil sie die Geschehnisse entweder als "normal" abgetan hat, selber mit dem Thema anders abschließen möchte oder es wirklich als alles gerechtfertigt fand. Was auf uns "Scheiße" wirkt, muss für Betroffene noch längst nicht Scheiße sein.

Es ist ein schleichender Prozess, ehe sich wirklich liebende Menschen immer sofort vom Partner trennen und es kommt auf den Charakter sowie die Einstellung an, was das Thema Mann schlägt Frau angeht. Deswegen verwundert es mich nicht, dass sie ihn doch noch in den höchsten Tönen lobt. Das kommt vor und wird sich vielleicht erst ändern, wenn eine andere Beziehung ihr zeigt, dass es anders geht.

Es kann aber auch natürlich nach dem Motto sein "über Tote spricht man nicht schlecht". Davon kenne ich auch eine Menge Menschen, die alles zu Lebzeiten vergessen, weil man einfach nicht über Tote lästert oder sie schlecht reden möchte. Muss man selber wissen, aber ich bin die Sorte Mensch, der das nicht tut.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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