Sich von familiärer Wärme erdrückt fühlen?

vom 14.12.2016, 12:53 Uhr

Ich habe schon das eine oder andere Mal geschrieben, dass ich keine berauschende Kindheit und Jugend hatte. Nicht nur, dass ich im Milieu arbeite, sondern auch aus einem komme, hat dazu beigetragen, dass familiäre Wärme sehr bedingt da war. Liebe war kaum zu spüren, wir waren als Kinder auch nie wirklich gut genug und "Hab dich lieb" usw. kam sowieso nie.

Das hat sich über Jahre gezogen und ist bis heute geblieben. Das Verhältnis zu unserer Mutter ist eher eine entfernte Bekanntschaft und keine Mutter-Kind-Beziehung. Was soll´s, damit kann ich gut leben, weil im Laufe der Jahre sich dazu eben ein gewisser Abstand bietet.

Die Familie meines Partners ist da allerdings deutlich anders. Hier ist viel das Wir zu sehen. Festlichkeiten wie Weihnachten und Muttertag werden zusammen verbracht. Eine Umarmung ist auch da, gerne mal eine Feierlichkeit zwischen durch oder ein Grillabend. Eben durchaus eine funktionierende familiäre Konstellation.

Nun bin ich immer dabei, aber mich erdrückt diese Nähe zunehmend. Meinem Partner habe ich davon natürlich berichtet. Ich kann die Feierlichkeiten & Co auch mitmachen, aber sie dürfen sich nicht häufen. Ich bekomme sonst Beklemmungen, fühle mich sichtlich unwohler, habe keine Lust und fühle mich einfach total erdrückt.

Ich habe eigentlich gehofft, dass ich es ein wenig erlernen könnte, aber das ist mir nicht gegeben. Ich kann es mir 1-2 Mal im Monat antun, aber wenn es mal 5 Tage waren, war ich gestresst, genervt, lustlos und mehr. Ich wollte einfach nicht mehr.

Mein Partner findet das gar nicht schlimm und versteht es. Doch mich selber stört es schon. Was macht das für ein Bild, wenn ich als Partnerin nicht dabei bin, nur weil die Familie zu familiär für mich ist? Sie mit dem liebkosen einer Umarmung einen Verabschieden oder Begrüßen, einen im Alkoholrausch mal hin und wieder umarmen, aber ich es nicht kann.

Könnt ihr das ein wenig nachvollziehen und kennt womöglich ähnliche Probleme? Was könntet ihr mir denn raten, was ich vielleicht mal versuchen soll, abgesehen von Therapie, denn die habe ich sowieso schon.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich finde es ehrlich gesagt schon mal ganz gut, dass du dein Problem erkannt hast und daran arbeiten möchtest. Weiß seine Familie von deinem Problem? Vielleicht würde dir das ein bisschen den Druck nehmen herzlicher sein zu müssen und das aushalten zu müssen. Wobei man das natürlich ein bisschen mitbekommen wird, dass dir das unangenehm ist.

Vielleicht kannst du dir das Ganze besser angewöhnen in dem du erst mal in einem kleinen Rahmen versuchst zuzulassen. Es kann ja sein, dass du durch die Herzlichkeit und das Öffnen deiner Person in dem Moment Angst hast verletzbar zu sein und es dir deswegen innerlich nicht passt, dass du das machen sollst, weil es ja auch nicht von dir kommt.

Solche Probleme gibt es nun mal und es ist, finde ich zumindest, durchaus in Ordnung zu sagen, dass man das nicht so kann. Das hat ja nichts mit nicht mögen zu tun und psychische Probleme sind heutzutage doch durchaus auch etwas worüber man reden kann. Dass du in Therapie bist ist schon mal eine gute Sache. Dort solltest du dir vielleicht Strategien erarbeiten wie du reagieren kannst. Immerhin sind hier keine Fachleute und diese haben dann doch noch mal ganz andere Ideen.

Es ist gut, dass du mit deinem Partner darüber geredet hast und er Verständnis hat. Das ist schon mal viel Wert. Du solltest dir auch nicht zu viel zumuten. Man kann auch immer mal aus solchen Situationen flüchten. Beispielsweise kann man kurz den Raum verlassen. Das ist schon in Ordnung. Weihnachten ist mit so einem Problem sicherlich nicht leicht, dennoch wünsche ich dir schon mal angenehme Feiertage und hoffe, dass du sie gut überstehst und für dich das richtige Maß findest damit umzugehen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich kann dich in dieser Hinsicht komplett verstehen und mir geht es dabei nicht anders. Ich wahre auch lieber den Abstand zu allen Personen und kann Umarmungen, Küsschen hier, Küsschen da und das plaudern über die privaten Probleme und einmischen in diese nicht leiden und halte mich dabei auch eher zurück.

Selbst das dauerhafte anfassen, Händchenhalten und Co mit Männern geht mir gewaltig auf die Nerven. Für eine bestimmte Zeit ist das zu ertragen, aber irgendwann ist der Punkt überschritten an dem ich meine Ruhe haben will fernab von diesen sozialen Gefälligkeiten. Dann werde ich auch anders vom Verhalten her, leicht zu reizen, unmotiviert und lustlos.

Aber im Gegensatz zu dir stört mich das in keiner Weise und die Partner haben das soweit auch immer Akzeptiert und kamen damit zurecht. Ich muss auch nicht jeden Tag bei der Familie verbringen, muss mich dort nicht dauerhaft Umarmen lassen oder mir Küsschen aufdrücken lassen. Auch das Grabbeln von Partnern kann man abstellen und wenn man sich kennt, dann weiß man auch wie der andere tickt und behält seine Flossen bei sich wenn es dem anderen gerade nicht behagt.

Was ich dir raten kann, gehe es in langsamen Schritten an. Wenn du selbst sagst 5 Tage sind zu viel, dann besucht die Familie mit der Nestwärme doch einfach ein wenig kürzer. Mach den Mund auf, wenn es dir zu viel wird und du musst bei längeren Aufenthalten auch nicht dauerhaft auf der Familie kleben. Mal alleine raus gehen für ein paar Stunden bringt schon ein wenig Distanz, damit man den Rest im Anschluss wieder besser ertragen kann. Und vor allem von heute auf morgen wird sich daran nichts ändern und ganz ablegen wird vermutlich auch nicht klappen, gerade weil du auch geprägt bist von einem anderen familiären Bild. Das musst du auch ein Stück weit akzeptieren.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



Danke für die zwei Kommentare von Euch. Ich muss schon sagen, dass es mich nur ein wenig stört. Das hat aber eher damit zu tun, dass mir gesellschaftlich von meinem Gegenüber damit immer wieder gezeigt wird, dass ich unnormal sei. Ich fühle mich eigentlich wohl, mein Partner vermeidet zu viele familiäre Termine, weil er selber von diesem "Familienknutschen und Bilderbuchspiel" die Nase voll hat.

Gleichzeitig sagt er, dass ich zu ihm durchaus auch anders bin. Ihn stört das auch an sich nicht, weil wir ja schon einmal zusammen waren und er weiß, dass es mich nervt, wenn man mir die ganze Zeit am Zipfel vom Rock hängt und mehr. Gerade wenn es Familie ist. Die mischen sich überall ein, wissen alles besser, sind aber selber der letzte Dreck usw. Ich bin da mal ruhig so ehrlich, wie es geht.

Ich hasse es einfach, wenn man mich mit über 30 Jahren knutschen will, wenn man mich die ganze Zeit anpackt, gerade auch wenn manche gesoffen haben. Wärme im Allgemeinen kann ich schon zulassen, aber von meinem Partner, weil ich sie da als normal empfinde. Die Familie meines Partners setzt natürlich alles daran, dass zu ändern, aber selbst das nervt mich.

Ich kann mich als Mensch in sofern nicht beschweren. Ich bin nett, ehrlich, direkt und glücklich. Mich stört eben nur, dass ich mich ständig erklären soll, wenn es nach anderen geht, wieso ich familiäre Wärme nicht will, wieso ich das nicht will und jenes. Ja, ich kann mir denken, dass es nicht ganz so üblich ist, aber bei mir schon.

Ich hoffe, dass ihr irgendwie versteht, was ich meine. Kann das grad echt schlecht erklären, weil man manchmal wirklich dabei sein muss, was man hier so erlebt. Das ist teilweise schon schrecklicher als das Bilderbuchimage einer Familie. Dabei kommt noch hinzu, dass es das nicht ist, aber man gerne von Außen diesen Schein wahren möchte und ausgerechnet ich spreche dagegen. Das scheint die auch zu stören.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich denke, dass jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse hat was Nähe und Distanz angeht. In meinen Augen muss das auch nicht immer zwangsläufig etwas mit schlechten Erfahrungen oder einer kaputten Kindheit zu tun haben. Ich denke, ein Stück weit hängt das auch vom Charakter an sich ab.

Mein Freund zum Beispiel ist in so einer Bilderbuchfamilie groß geworden, wo es herzlich zu ging und wo es keine Gewalt oder Vernachlässigung gab. Allerdings ist er eher die Sorte Charakter, die unabhängig sein möchte und die es nicht leiden kann, wenn man ihm zu sehr auf den Pelz rückt.

Das akzeptiert er nur bei mir und höchstens bei seiner Mutter, wenn sie ihn begrüßt oder sich von ihm verabschiedet. Er weiß, dass sie sonst nicht locker lassen würde, Aber ansonsten will er seine Ruhe haben und Gott sei Dank kommt niemand aus meiner Familie auf die Idee, ihn deswegen "umkrempeln" zu wollen.

Warum kann man das nicht einfach akzeptieren, dass jeder Mensch da anders tickt? Warum sieht man sich selbst und sein Nähebedürfnis (gerade wenn es besonders groß ist und alle Familienmitglieder einschließt wie so eine Art Gruppenkuscheln) als "normal" an und wenn jemand nur wenig Nähe erträgt ist das direkt "unnormal"? So eine Denkweise finde ich nicht normal und bin der Ansicht, dass die Vielfalt doch schön ist und alles andere als langweilig. Ich käme gar nicht auf die Idee, jemanden umkrempeln zu wollen, der in dieser Hinsicht anders ist als ich oder meine Familie. Wir sind schließlich nicht das Maß aller Dinge.

Ich habe zum Beispiel auch eher die "Macke", dass ich von Fremden nicht unbedingt angefasst werden möchte. Hände schütteln ist das höchste der Gefühle, aber mehr muss ich nicht haben. An Silvester habe ich von einem fremden Mann, der auch auf der Party gestern war, eine halbe Umarmung und einen Wangenkuss bekommen und das fand ich ziemlich unpassend. So etwas finde ich für mich persönlich nur von Menschen aus dem engsten Umfeld in Ordnung.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


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