Sich schämen zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen?

vom 17.11.2016, 22:23 Uhr

Ein Bekannter von mir hat wegen Alkoholproblemen, von seinem Arbeitgeber wohl eine Aufforderung bekommen, ihm eine Teilnahmebescheinigung von Kursen oder Gesprächen bei den Anonymen Alkoholikern vorzulegen. Obwohl ich ihm gesagt habe, dass das doch jetzt nicht weiter schlimm ist und man so etwas ja auch nicht an die große Glocke hängen muss, will er dennoch nicht hingehen, weil er sich so schämen würde.

Ich kenne ja solche Gesprächskreise ja nicht, aber muss man sich denn da schämen? Schließlich ist man dort doch bestimmt unter „seines Gleichen“. Könnt ihr solch eine Scham nachvollziehen und wie könnte man diese jemandem noch ausreden?

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» mikado* » Beiträge: 3037 » Talkpoints: 1.002,67 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Solange er nicht selber einsieht, dass er ein Problem hat, welches er lösen möchte, bringt die Aufforderung vom Chef überhaupt nichts und auch der Gang zu den anonymen Alkoholikern bringt nichts. Dein Bekannter hat scheinbar sein Problem noch gar nicht erkannt. Sonst würde er auch da hin gehen ohne sich Gedanken des Schams zu machen. Die Scham ist dann völlig unbegründet und nicht umsonst heißt es ja auch "anonym". Da gibt man nur das Preis was man sagen will.

Der Chef sollte auch wissen, dass ein Zwang dort hinzugehen gar nichts bringt. Dein Bekannter muss selber einsichtig werden. Ich denke, wenn er selber sieht, dass es doch ein großes Problem ist, welches auch schon sein Umfeld mit bekommt, dann wird er auch hingehen. Ich kenne einen Alkoholiker, der mittlerweile trocken ist. Der Gang zu den anonymen Alkoholiker sollte aber auch nicht ohne eine Therapie vonstatten gehen. Die Anonymen sind eine Begleitung zur Therapie.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Auch wenn ich Diamante zustimme, das eine Therapie auf Zwang des Arbeitgebers nicht wirklich sinnvoll ist, solange der Erkrankte nicht selber einsieht, das er ein Problem hat, so sollte dein Bekannter doch mal über die Konsequenzen nachdenken, die seine Alkoholsucht haben kann, vor allem, wenn sein Arbeitgeber bereits davon weiß.

Alkoholsucht kann nämlich durchaus auch zu einem Kündigungsgrund werden, wenn zum Beispiel die sozialen Möglichkeiten dem Arbeitnehmer zu helfen, ausgeschöpft sind, dazu gehören auch erfolglose Therapieversuche und ähnliches. Je nach Beruf kann auch eine fristlose Kündigung erfolgen (Berufskraftfahrer der aufgrund von Alkohol seinen Führerschein abgeben musste wäre da ein Beispiel).

Dein Bekannter sollte also mal überlegen, was jetzt wohl peinlicher ist, den Job auf Grund von Alkoholproblemen zu verlieren und das im nahen Umfeld erklären zu müssen oder zu den anonymen Alkoholikern zu gehen, wo jeder das gleiche Problem hat, man sich aber nicht kennt, weil es eben anonym ist und wo auch das besprochene nicht nach außen dringt. Außerdem muss man dort nicht seinen Lebensweg offenbaren oder ähnliches, sondern man kann über das reden, was einen belastet und wenn man mal nicht reden will, dann ist das auch völlig in Ordnung.

» StarChild » Beiträge: 1405 » Talkpoints: 36,05 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Eine Therapie, die vom Arbeitgeber in Auftrag gegeben wird hat sicherlich keinen Erfolg. Der Betroffene muss seine Krankheit akzeptieren und auch etwas daran ändern wollen. Vorher kann er viel reden, aber machen wird er es nicht. Natürlich kann man nun dazu raten, dass die Person sich rational Gedanken machen soll um den nahenden Jobverlust und so weiter, aber das ist eine Sucht, der man nicht mit Logik zur Pelle rücken kann.

Allgemein finde ich, dass man stolz darauf sein kann, wenn man zu so einer Gruppe geht. Das heißt immerhin, dass man sich dem Problem stellt und daran arbeiten möchte von der Sucht wegzukommen. Peinlich muss einem das nicht sein. Dort sitzen auch nur Leute mit dem selben Problem und wenn der Arbeitgeber auch schon von der Sucht weiß kann es mit so einer Gruppe nur besser werden.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ist schon eine schwierige Frage. Als Außenstehender hat man da sicher gut reden. Mein Vater war Alkoholiker, und ist letztendlich auch daran gestorben. Der wäre sicher niemals zu den Anonymen Alkoholikern gegangen. Wenn einer nicht will, kann man ihm das auch nicht eintrichtern.

Alkoholismus ist eine schwerwiegende Krankheit, und führt in Deutschland zu wesentlich mehr Leid als Heroin oder Kokain. Meine Familie und ich hatten damals alles versucht, um meinen Vater zu retten. Aber jede Entziehungskur führte nur zur vermehrten Alkoholaufnahme. Und das seltsamste war eigentlich, dass mein Vater niemals zugeben wollte, dass er alkoholabhängig war. Und er war schwerstabhängig. Er trank pro Tag ca. einen Kasten Bier und zwei Flaschen Schnaps. Die erste Flasche zur Hälfte morgens auf Ex.

Mir war bis dato gar nicht bekannt, dass ein Mensch alleine so viel trinken kann! Das alles ist jetzt schon über 20 Jahre her, aber ich kann mich noch sehr gut und lebhaft an die Dramen erinnern, die damals an der Tagesordnung waren. Und eines wurde uns allen bereits damals klar: Nur wer sich selbst zugesteht, dass er Alkoholiker ist, hat eine Chance trocken zu werden.

Nur wer es selber will. Und nur so eine Person geht auch zu den Anonymen Alkoholikern. Aber zwingen kann man Niemanden und die Scham nehmen auch nicht. Nur wenn er selber bereit ist für den Schritt, dann funktioniert es. Ich glaube, das kann einem Jeder bestätigen, der einmal mit einem Alkoholiker zu tun hatte.

» Freidenker28 » Beiträge: 749 » Talkpoints: 1,02 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Er hat die Wahl bekommen. Entweder er stellt sich seinem Problem und sucht das ganze auf, ansonsten wird der Arbeitgeber seine Konsequenzen ziehen müssen. Denn Alkohol hat in der Berufswelt nichts verloren und es gibt genug Stellen, bei denen alleine die Kenntnis davon reicht, dass man keinen Job mehr hat. Geholfen ist damit niemanden, denn durch den Jobverlust saufen sich viele noch weiter in den Abgrund als es vorher schon war.

Man mag nun sagen, es bringt nichts wenn jemand anderes darauf hinweist und quasi die Pistole an den Kopf setzt, stell dich deinem Problem und geh dahin. Aber genau das ist einer der Anstöße die manche brauchen damit sie selbst zur Einsicht kommen und mal darüber nachdenken. Gerade wenn das Bier zur Gewohnheit geworden ist, wird das für einen selbst als "normal" angesehen was es aber noch lange nicht ist. So denkt der eine oder andere schon mal darüber nach, ob das wirklich normal ist oder nicht und wird auch seine eigene Einstellung verändern.

Wieso man Stolz sein sollte solch eine Gruppe aufzusuchen weiß ich nicht, auch wenn sie das gleiche Problem teilen ist die Selbsthilfegruppe noch lange nicht für jeden die richtige Therapie um dem Alkohol auch zu entsagen. Schon mal da gewesen? Niemand kennt sich, man kann einen anderen Namen angeben und auch Lügen, dass sich die Balken brechen. Ich will gar nicht wissen, wie viele sagen ich bin seit 5 Tagen trocken und am morgen die Flasche Wodka auf Ex leer gezogen haben. Kontrolle erfolgt keine, man vertraut auf die Wahrheit des anderen was in diesem Fall aber komplett unangebracht ist, wenn jemand solch ein schweres Problem damit hat. Von ein bisschen reden wird sich das nicht lösen lassen.

Ich kann aus eigener Erfahrung auch sagen, dass das zwingen funktionieren kann. Meine Mutter hat auch über Jahre Alkohol in rauen Mengen getrunken und ich habe sie ins Auto gesetzt und dorthin gebracht. Ich bin jedes mal mitgegangen und habe sie hin geschleift. Die ersten male hat sich rein gar nichts verändert, nach einigen Wochen wurde der Alkoholkonsum weniger und inzwischen hat sie wieder die Kontrolle darüber und trinkt aus Genuss und nicht weil sie es muss. Freiwillig wäre sie nie mitgekommen wenn ich ihr gesagt hätte wo es hin geht oder ihr Vorgaben gemacht hätte mit "bring eine Unterschrift mit, dass du auch da warst". Das umdenken fand nach und nach selbst statt nach den Besuchen und das sie ihre Probleme nicht damit ersäufen kann ebenfalls.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge


Ramones hat geschrieben:Eine Therapie, die vom Arbeitgeber in Auftrag gegeben wird hat sicherlich keinen Erfolg. Der Betroffene muss seine Krankheit akzeptieren und auch etwas daran ändern wollen. Vorher kann er viel reden, aber machen wird er es nicht. Natürlich kann man nun dazu raten, dass die Person sich rational Gedanken machen soll um den nahenden Jobverlust und so weiter, aber das ist eine Sucht, der man nicht mit Logik zur Pelle rücken kann.

Ich wollte damit auch nicht sagen, das diese Therapie zwingend zum Erfolg führen wird, wenn sie vom Arbeitgeber vorgeschrieben ist, aber wenn der Arbeitnehmer alle Ansätze vom Arbeitgeber ausschlägt, obwohl der Arbeitgeber ihn unterstützen möchte und Hilfsangebote macht, dann darf der Arbeitgeber eben auch kündigen und in dem Fall hier, ist es ja bereits so, das der Arbeitgeber Kenntnis von der Alkoholsucht hat und den Arbeitnehmer bittet etwas gegen die Sucht zu unternehmen.

Und seien wir mal ehrlich, ein Besuch der anonymen Alkoholiker alleine ist in der Regel auch nicht das Mittel um die Sucht wirklich zu heilen. Vielmehr ist es der erste Schritt in die richtige Richtung für den Kranken und auch für den Arbeitgeber, der damit sehen kann, das zumindest etwas unternommen wird von Seiten des Arbeitnehmers. Denn auch Arbeitgeber wissen, das sie niemanden zwingen können von einer Sucht los zu kommen.

» StarChild » Beiträge: 1405 » Talkpoints: 36,05 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



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