Mit Charakter aus Serie oder Film identifizieren können?
Ich habe mal gehört, dass viele manche Serien und Filme mögen, weil dort ein Charakter drin vorkommt, mit dem man sich selbst identifizieren kann. Ich muss sagen, dass mir das eigentlich bei keiner Serie oder einem Film so gegangen ist. Natürlich sieht man da manchmal durchaus Situationen, die man auch schon selbst im realen Leben so erlebt hat.
Aber ich würde nicht sagen, dass ich in einer Serie schon einen Charakter gesehen habe, bei dem ich dachte, dass ich da anscheinend mitspiele. Habt ihr euch schon mit einem Charakter aus einem Film oder einer Serie identifizieren können?
Ich denke nicht, dass es dabei darum geht, dass man glaubt, dass man da praktisch selbst mitspielt. Vielmehr geht es darum, dass man die Entscheidungen, die diese Rolle trifft, nachvollziehen kann. Dass man sich ebenso entschieden hätte, ebenso verhalten hätte. Oder auch dass man ebenso fühlt.
Dabei ist es schwer, eine Rolle zu entdecken, die sich tatsächlich immer so verhält, wie man das selber auch tun würde. Es geht eher um einzelne Situationen oder um das große Ganze.
Nehmen wir mal die Serien "The Walking Dead". Die überlebenden Menschen müssen sich in einer vollkommen neuen Welt zurechtfinden, in der die Bedrohung durch die Zombies allgegenwärtig ist. Da gibt es dann Rick, der eine ganze Gruppe anführt. Maggie, die vom Mädchen vom Land zur richtig guten Kämpferin wird. Ricks Ehefrau Lori lässt sich lieber beschützen.
Rick schützt und rettet auch immer wieder Personen, die er gar nicht kennt. Seinem bester Freund hingegen sind fremde Personen egal, er schützt nur die wenigen, die zu seinem Kreis gehören. Dale versucht immer zwischen Streitenden zu vermitteln und die Gruppe zusammenzuhalten. Einige Personen töten Zombies, weil es nötig ist. Andere machen sich einen Sport daraus.
Da gibt es so viele unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Strategien, wie sie mit der Situation fertig werden und überleben. Wenn man sich nun überlegt, wie man selber in dieser Welt vorgehen würde und ob man eher wie diese oder wie jene Rolle handeln würde. Dann würde ich das schon Identifizieren nennen. Einfach nur: "Ich würde auch wie Maggie das Kämpfen lernen und schauen, dass ich mich selbst verteidigen kann, statt wie Lori mich auf andere verlassen zu müssen."
Man kann sich ja auf ganz vielen Ebenen mit den Charakteren identifizieren, dafür muss die Person sich nicht einmal ähnlich zu einem selbst verhalten oder ähnliche Erfahrungen machen, wobei das meines Erachtens nach mit das stärkste Identifikationspotential bietet. Auch gegeben ist Identifikation, wenn der Charakter etwas hat, kann oder darstellt, das man sich für sich selbst wünscht. Die schöne Protagonistin, die mutig und stark ist, jene, die den Prinzen für sich gewinnt, die einen schweren Schlag meistert und erstarkt daraus hervorgeht, jemand mit Super-Kräften, der sich so gar nichts gefallen lässt.
Oft interpretiert und projiziert man auch seine eigenen Sachen in die Figur. Am stärkten ist eine Serie für mich immer dann, wenn ich den Charakter emotional aus eigenem Erleben nachvollziehen kann, weil unglaublich viel Raum für die eigenen Vorstellungen bleibt und mir nichts vorgekaut wird. Dabei kann die Situation völlig konträr zu meinem eigenen Leben stehen, aber die Gefühle, die die Figur gerade durchlebt, können mir vertraut sein. Paradebeispiel für eine Serie, die das auf exzellente Weise schafft, ist "Mad Men".
The Walking Dead ist auch ein sehr gutes Beispiel für Identifikation, wobei da für mich eher das Setting als solches den Boden liefert, weniger die Figuren. Vermutlich hat sich jeder Zuschauer der Show schon unzählige Male die Frage gestellt, was man selbst in der Situation täte, es wirft einfach total existentielle Fragen auf, die den unglaublichen Erfolg erklären und letztlich ist das alles wieder Identifikation, der Bezug auf sich selbst.
Als letztes Beispiel fallen mir die Helden ein, die wir zutiefst bewundern, weil man vielleicht insgeheim auch etwas von diesem Kuchen hätte. Wohl nur wenige können nachvollziehen, wie es ist ein Mann mit Krebs im mittleren Alter vor dem finanziellen Ruin zu sein oder Drogen zu kochen. Und doch können wir die existentielle Not der Figur aus Breaking Bad nachvollziehen und bewundern sie für ihre Raffinesse, die immens hohe Begabung und die Fähigkeit sich von einem Nichts an die Spitze zu arbeiten. Kompetenz wird vom Zuschauer belohnt, weil er sich damit identifizieren möchte.
Ich denke auch, dass man nicht zwingend denken muss, dass man scheinbar selber mitspielt, um sich mit einem Charakter identifizieren zu können. Für mich reicht es auch, dass da ein Charakter Entscheidungen trifft, wie ich sie in der Situation vielleicht auch treffen würde oder etwas in der Art. Das führt dann schon dazu, dass ich mich mit einem Charakter identifiziere und wenn so etwas nicht gegeben ist, dann interessiert mich eine Serie eigentlich nicht so wirklich.
Barbara Ann hat geschrieben:Das führt dann schon dazu, dass ich mich mit einem Charakter identifiziere und wenn so etwas nicht gegeben ist, dann interessiert mich eine Serie eigentlich nicht so wirklich.
Das stimmt. Da sitzt man dann vorm Fernseher und denkt sich immer, dass sich doch kein normaler Mensch so verhält, weil man es einfach nicht nachvollziehen kann.
Wobei das im Endeffekt ja das Schema ist, nach denen Sendungen wie "Die Geissens" oder "Schwiegertochter gesucht" funktionieren. Dass die so von der Norm abweichen. Also ich kann mir solche Sendungen schon deshalb kaum anschauen. Weil ich immer denke, dass man sich zum Kuckuck doch so einfach nicht verhält.
Funktionieren diese Sendungen also wegen dem Nicht-Identifizieren? So wie wenn man sich für andere Spezies im Zoo und ihre Andersartigkeit interessiert? Oder weil man dann vielleicht doch hier und da kleine Dinge findet, die man dann doch auch so gemacht hätte? Wie wenn der Affe eine Banane schält und man ans eigene Frühstück erinnert wird?
Wenn ich mich mit einem Charakter aus einem Film oder einer Serie identifiziere, bedeutet das, dass ich ähnliche Entscheidungen getroffen hätte, wenn ich mich in derselben Situation befunden hätte. Auch kann ich bestimmte Handlungsweisen und Einstellungen nachvollziehen und der Charakter ist mir nicht zu abstrakt. Bei manchen Figuren frage ich mich ernsthaft, ob so überhaupt ein normaler, echter Mensch handeln würde, aber das steht dann auf einem anderen Blatt.
Wenn ich mich mit einer Figur oder einem Charakter nicht wirklich identifizieren kann, dann verfolge ich diese Serie oder den Film auch nicht weiter. Der wird dann automatisch langweilig für mich. Aus diesem Grund mag ich auch Sendungen wie die Geißens nicht, weil es mich eher nervt, wenn man seinen Reichtum so zur Schau stellt und sich selbst so inszeniert wie ein Pfau auf dem Laufsteg.
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