Egoistisch wenn man seine Ruhe haben möchte?

Meine Freundin ist gerade ziemlich genervt von ihrer Mutter. Ständig schreibt sie und möchte bei meiner Freundin vorbei kommen. Meine Freundin muss dann heute zum Kaffee zu ihrer Mutter und hat eigentlich gar keine Lust darauf. Allerdings meinte sie, dass es ja schon egoistisch wäre, wenn sie mal ihre Ruhe haben wollte.

Ich finde es legitim, dass man auch mal einfach niemanden sehen oder hören möchte und seine Ruhe braucht. Daran finde ich ehrlich gesagt eigentlich nichts egoistisch. Ich würde es es eher als normal und menschlich ansehen. Meine Freundin meint aber, dass sie nicht egoistisch sein möchte und sicherlich irgendwann auch mal einen Tag Ruhe haben wird.

Findet ihr es egoistisch, wenn man einfach mal seine Ruhe haben möchte? Würdet ihr das auch deutlich sagen? Oder würdet ihr still schweigend alles hinnehmen, um eben nicht egoistisch zu sein oder zu wirken?

Auf mich wirkt das eher so, als hätte deine Freundin zu wenig Selbstbewusstsein und würde sich daher immer an anderen Bedürfnissen orientieren und nicht an eigenen. Ich finde es überhaupt nicht verkehrt, wenn man mal seine Ruhe haben möchte und der Körper das in dem Moment dann auch braucht. Der Körper sendet ja auch entsprechende Signale und wenn man das Bedürfnis nach Ruhe hat, sollte man sich diese Ruhe verschaffen.

Ich weiß jetzt nicht wie nervig die Mutter deiner Freundin ist oder wie oft diese eben vorbeikommen möchte oder auch schreibt. Vielleicht würde da mal eine Ansage helfen oder dass man mal für ein paar Tage wegfährt und da das Handy ausmacht, um nicht erreichbar zu sein.

Ich kann schon verstehen, dass man auch einmal seine Ruhe haben möchte und das ist durchaus egoistisch. Aber jeder darf auch einmal egoistisch sein und nur an sich denken oder was ist daran falsch? Nur leider lässt sich das manchmal nicht umsetzen und dann muss man sich damit einfach abfinden.

Ich hätte auch gerne mal Ruhe vor meinem Kind, denn neben Haushalt, Job steht das Kind immer parat und ich habe keinen Tag im Jahr meine Ruhe. So heißt es hier immer früh aufstehen, weil das Kind sein Frühstück spätestens um 8 Uhr will und ich habe dann auch nicht meine Ruhe im Bett um einmal auszuschlafen, sondern muss springen. Allerdings ist mein Sohn auch noch in einem Alter, in dem er das ganze nicht versteht, dass die Mama auch einmal Zeit nur für sich braucht. Von daher ist mir das bewusst und ich arrangiere mich einfach damit.

Wenn ich aber meine Ruhe von anderen Personen möchte die durchaus geistig in der Lage sind so etwas zu erfassen und auch zu verstehen, dann habe ich auch keine Scheu davor so etwas offen und ehrlich zu sagen. Denn was bringen denn diese Treffen wenn man gar keine Lust darauf hat und immer nur gute Mine zum bösen spiel macht. Auch die Mutter sollte doch merken, dass sie einfach lästig fällt wenn sie dabei nicht komplett ignorant ist und auch nur an sich selbst denkt, indem sie ihre Tochter mit Kaffeetrinken dauerhaft behelligt.

Mir stellen sich immer schnell die Nackenhaare auf, wenn jemand mit dem Vorwurf kommt, eine Person sei "egoistisch". In meinen Augen handelt es sich hier um einen oft gebrauchten Pauschalvorwurf, der in erster Linie dazu verwendet wird, andere Leute emotional zu erpressen und/oder zu manipulieren und sich nur in seltenen Fällen auf tatsächlich egoistisches Verhalten bezieht.

Schließlich wurde uns allen (den Frauen vor allem) von klein auf beigebracht, dass es etwas ganz Schlimmes sei, sich egoistisch zu verhalten und dass man an sich selber gefälligst immer zuletzt denken soll. Aber oft genug möchte die Umwelt nur nicht auf die handfesten Vorteile verzichten, die sie erhält, weil man vor lauter Angst, als egoistisch zu gelten, für undankbares Gesockse im Quadrat springt und ihnen jeden Wunsch von den Augen abliest.

Der Vorwurf des "Egoismus" bietet sich zudem ideal dazu an, Menschen nach der eigenen Pfeife tanzen zu lassen, weil er sich praktisch auf jedes Verhalten und jede Tätigkeit anwenden lässt und bei allen Altersklassen funktioniert. Egal, ob man den letzten Keks isst, eine Fernsehsendung anschaut, zum Einkaufen fährt oder ein Nickerchen macht - man kann immer als egoistisch beschimpft werden, weil jemand anders den Keks vielleicht auch gemocht hätte, oder eine andere Fernsehsendung lieber gesehen hätte, oder weil man nicht gefragt hat, ob man etwas vom Einkaufen mitbringen soll oder oder oder. Das hat mit der Realität oft kaum noch etwas zu tun sondern eher dabei, hilfsbereite und engagierte Mitmenschen zu tyrannisieren.

In meinen Augen ist es also mitnichten egoistisch, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und auch mal "Nein" zu sagen, weil man offensichtlich seine Ruhe braucht. Man kann schließlich nur dann für andere da sein, wenn man genug Kraft und Energie hat, um mehr zu tun als nur zu überleben und zu funktionieren. Und diese Kraft fällt nicht vom Himmel, sondern muss aktiv getankt werden.

Wenn ich denken würde, dass das Ablehnen einer Einladung zum Kaffee egoistisch ist würde ich ja auch denken, dass das Annehmen dieser Einladung eine extrem selbstlose Tat ist. Da ich eigentlich ganz gerne Kaffee trinke und mich unterhalte muss das also extrem schrecklich sein bei dieser Mutter. Und das würde ich mir dann bestimmt nicht antun.

Ich würde dann natürlich sagen, dass ich keine Zeit habe zum Kaffee zu kommen weil ich noch andere Sachen zu tun habe. Aber ich finde diesen Glauben, dass man es als Frau unbedingt immer allen Recht machen muss - von Männern wird das nie erwartet - eh total bescheuert und das wissen auch alle, die mich kennen.