Trotz fotografischem Gedächtnis nur mittelmäßige Noten?

vom 12.09.2015, 16:38 Uhr

An der Uni habe ich einen jungen Mann kennengelernt, der behauptet ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Ich kenne auch eine andere Person mit einem fotografischen Gedächtnis und diese kann beispielsweise Klausuren aus dem Kopf rekonstruieren und sich nachweislich an viele Dinge erinnern, die sie nur überflogen hat.

Der junge Mann aber hat eigentlich eher mittelmäßige Noten und einen Dreierschnitt. Er glänzt auch nicht in den Vorlesungen oder in den Seminaren. Es gibt zwar einige Leute die behaupten, dass er sich tatsächlich an viele Sachen erinnert, die er irgendwo gesehen hat, aber ich habe es selbst noch nie erlebt.

Findet ihr es logisch, dass jemand mit einem fotografischen Gedächtnis dennoch nur mittelmäßige Noten hat? Müsste einem das nicht eigentlich bei vielen Vorlesungen Tür und Tor öffnen, da man nichts auswendig lernen muss? Denkt ihr, dass der junge Mann nur flunkert oder gibt es eine andere Erklärung für seine schlechten Noten?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Also ich denke nicht, dass der besagte junge Mann tatsächlich ein "vollständiges" fotografisches Gedächtnis hat. Es kommt mir wahrscheinlicher vor das er flunkert um Aufmerksamkeit zu heischen oder aus anderen Gründen. Immerhin ist jetzt ein ganzer Talkteria Thread ihm gewidmet (auch wenn wir weder ihn selbst noch seinen Namen kennen).

Jeder Mensch hat, denke ich, einen Ansatz eines fotografischen Gedächtnisses nur das man sich eben nicht an den genauen Text oder an genaue Daten erinnern kann.

Vielleicht hat der besagte junge Mann auch ein fotografisches Gedächtnis mit dem er Daten nur für kurze Zeit speichern kann. Deshalb denken Menschen denen er demonstriert hat das er auf kurze Zeit Daten speichern kann das er tatsächlich ein fotografisches Gedächtnis hat.

Sollte das tatsächlich der Fall sein dann ist seine Leistung in der Universität vielleicht nicht so gut weil er nicht lernen will und nicht die nötige Motivation hat wirklich sich hinzusetzen und zu lernen da er seinen Lernstoff nach 5 Minuten gelernt hat es nur nach längerer Zeit wieder vergisst.

Ich denke schon das ein wirkliches und ausgeprägtes fotografisches Gedächtnis gerade in der Universität und in der Schule einem sehr helfen würde und kann mir eigentlich nicht vorstellen das man dann nur einen Dreierschnitt schafft. Aber ich kann mich auch irren denn ich selber habe definitiv kein fotografisches Gedächtnis und habe dementsprechend auch keine eigenen Erfahrungen damit gemacht.

» Fanatickerhoch3 » Beiträge: 53 » Talkpoints: 19,87 »


Warum sollte das nicht stimmen? Denn allein das Merken der Dinge, die man gesehen hat, reicht noch nicht aus, um wirklich gute Noten zu haben. Denn muss diese Dinge ja auch entsprechend anwenden können. Wenn das nicht so richtig klappt, dann kann es zwangsläufig auch keine guten Noten geben.

Spontan fällt mir da eine komplexe mathematische Aufgabe ein, die man zwar in der Form, wie man sie gesehen hat, exakt wiedergeben kann. Sobald man sie aber auf andere Beispiele anwenden soll, klappt das eben nicht, wenn das logische Verständnis dafür fehlt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Sollte diese Person tatsächlich über ein voll ausgeprägtes und funktionierendes fotografisches Gedächtnis verfügen, kann ich durchaus verstehen, dass man seinen Notendurchschnitt ein wenig merkwürdig findet. Wirklich schlecht ist dieser ja anscheinend (noch) nicht, aber man würde erwarten, dass nur Bestnoten bei den Prüfungen solcher Personen herausspringen. Diese recht häufig verbreitete, ziemlich verallgemeinernde Vermutung, ist aber nur zu einem Teil zutreffend.

Dazu muss man wissen, dass man beim fotografischen Gedächtnis zwei auftretende Typen unterscheidet. Unterschieden wird in diesem Fachbereich in ikonisches Gedächtnis und eidetisches Gedächtnis. Je nachdem, welche Art von fotografischen Gedächtnis der junge Mann hat, könnte sich sein Notendurchschnitt dadurch durchaus erklären lassen - und er müsste auch kein Lügner sein und könnte diese seltene Fähigkeit tatsächlich besitzen.

Das ikonische Gedächtnis ermöglicht dem Besitzer dieser Fähigkeit, sich beispielsweise die kompliziertesten Zahlenreihenfolgen einzuprägen, obwohl er das entsprechende Dokument nur kurz überfliegt. Allerdings speichert das Gedächtnis diese Informationen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum ab, häufig nicht einmal mehrere Minuten. Man ist also für beispielsweise 30 Sekunden oder eine Minute dazu in der Lage, eine Zahlenreihenfolge mit mehr als 100 Zeichen fehlerfrei wiederzugeben - vergisst sie dann aber auch schnell wieder.

Wird diese als Beispiel angesprochene Information allerdings länger im Gedächtnis abgespeichert, wird von einem eidetischen Gedächtnis gesprochen. Dieses funktioniert erst einmal auf selbe Art und Weise wie das ikonische Gedächtnis. Jedoch können die entsprechenden Informationen - wie in diesem Beispiel die extrem lange Zahlenreihenfolge - auch noch nach mehreren Tagen fehlerfrei wiedergegeben werden.

Es kann also sehr gut möglich sein, dass die angesprochene Person über ein ikonisches Gedächtnis verfügt, sich die eingeprägten Informationen also nicht über einen längeren Zeitraum hinweg merken kann. Jedoch ist seine Aussage richtig, ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Dieses an sich hilft einem aber in vielen Studiengängen nicht, auch gute Leistungen zu erzielen. Der Erfolg während des Studium hängt nicht nur vom sturen Auswendiglernen ab, sondern auch davon, ob man die entsprechenden Zusammenhänge herstellen und die sich angeeigneten Informationen auch verarbeiten kann.

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» TamiBami » Beiträge: 2166 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich finde nicht, dass sich das eine und das andere ausschließen. Ich hatte einen Klassenkameraden früher, der wohl ein fotografisches Gedächtnis hatte. Er hat sich nur selten Notizen gemacht und auffällig war, dass er zu jeder Stunde in jedem Fach immer fehlerfrei erzählen konnte, was wir in welcher Stunde gemacht haben und was besprochen wurde. Da ja die Tafel oft benutzt wurde von unseren Lehrern, war das auch gar nicht so schwer. Einmal im Gedächtnis abrufen und fertig. Der hatte diese Informationen wirklich langfristig gespeichert und hatte auch in fast allen Fächern gute Noten.

Sein absolutes Problemfach war Mathe, wobei er aber mit den Naturwissenschaften generell Probleme hatte. Immer, wo er mehr analysieren und logisch ableiten musste, hatte er so seine Probleme. In der Oberstufe hatte er Physik und Chemie abgewählt und er erwähnte mal, dass Mathe mit einer Schulnote 3 seine schlechteste Zensur auf dem Zeugnis sei und es war total egal, was er da gemacht und wie er sich bemüht hat, er hat es einfach nicht in seinen Kopf reingekriegt. Sogar bei einem fotografischen Gedächtnis gibt es eben Grenzen und Präferenzen.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Wieso sollte durchschnittliche Noten das ganze komplett unglaubwürdig machen? Nur weil man sich vieles merken kann und auch im Kopf die ganzen Seiten rekonstruieren, dass viele meinen man kann die Antwort quasi aus dem Buch aufschreiben und somit die vollen Punkte kassieren ist das nicht so. Denn in den Klausuren an einer Uni gibt es nicht nur ein richtig oder falsch oder schreiben sie das auf, was auf Buchseite 67 steht. Dort geht es viel mehr darum Bezüge zu erstellen und auch auf verschiedene Bereiche Stellung zu beziehen und wenn diese Fähigkeit nur minderwertig ausgeprägt ist, dann hilft einem ein fotografisches Gedächtnis auch nur sehr wenig weiter um entsprechende Noten oder Punktezahlen zu erreichen.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge


Intelligenz ist etwas anderes, als sich Dinge extrem gut merken zu können. Gerade an der Uni kommt es oft viel mehr darauf an, eigene Schlüsse ziehen zu können, kritisch und analytisch zu denken, Forschungsfragen zu formulieren und sich Mittel und Wege zu überlegen, auf sinnvolle und systematische Art mehr zu einem Thema heraus zu finden oder ein Problem zu lösen. Das hat gar nichts mehr damit zu tun, dass man auf Knopfdruck eine Schulbuchseite wortwörtlich wieder aushusten oder dem Lehrer/Dozenten exakt vorbeten kann, was er oder sie in der vorherigen Stunden von sich gegeben hat. Man muss schon auch verstehen, worum es dabei geht.

Zumindest in geisteswissenschaftlichen Studiengängen von vor ein paar Jahren hätte man mit einem "fotografischen Gedächtnis" keinen Blumentopf gewinnen können, aber es kann natürlich auch sein, dass mittlerweile auch die Unis zu verdummenden Auswendiglernanstalten verkommen sind, bei denen es tatsächlich nur darauf ankommt, vorgekautes Wissen wieder auszuhusten.

Und selbst in diesem Fall könnte ich mir vorstellen, dass der Herr Superhirn sich zu sehr auf seinem ungewöhnlichen Talent ausruht und trotzdem nur das Nötigste an Arbeit investiert, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, auf die Leute herab zu schauen, die nicht so toll auswendig lernen können. Ich halte die Fähigkeit, Dinge auswendig zu lernen, selber sowieso für weder besonders attraktiv noch nützlich, wenn man nicht gerade Schauspieler oder Ähnliches ist.

» Gerbera » Beiträge: 11317 » Talkpoints: 49,13 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Es hängt ja vom Fach ab wie groß der Vorteil wirklich ist wenn man sich Sachen besser merken kann als der Durchschnitt. Ich habe es in meiner Schulzeit erlebt, dass Mitschüler, die früher mit tollen Noten geglänzt haben weil sie viel auswendig gelernt haben nur noch guter Durchschnitt waren als die Anforderungen komplexer wurden und das auswendig gelernte auch angewendet werden sollte.

Nehmen wir mal Geschichte als Beispiel. Solange die Klausuren nur aus der Wiedergabe von Daten und Fakten bestehen ist es natürlich einfach eine Eins zu bekommen wenn man sich das alles gemerkt hat. Wenn man sich aber in die Zeit hinein versetzen soll und sich überlegen soll, wie eine Person wohl bei einer anderen politischen Konstellation gehandelt hätte und das dann auch noch begründen soll hilft das Faktenwissen zwar, aber es ist keine Garantie mehr für eine gute Note.

Ich selber habe ein gutes Gedächtnis und kann mir auch Sachen merken, die willkürlich bis total sinnlos erscheinen, ohne, dass ich eine besondere Anstrengung unternehme. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass mir das in den höheren Klassen oder im Studium wirklich viel gebracht hätte. Hilfreich war das hauptsächlich bei den Grundlagen, wenn man sich zum Beispiel in einer Fremdsprache die Rechtschreibung der Vokabeln merken muss und noch kein gutes Gefühl für die Sprache und deren Regeln hat.

Ganz davon abgesehen habe ich nun schon öfters gehört, dass ein fotografisches Gedächtnis eh ein Mythos ist und sich auch gar nicht auf Informationen in dem Sinne bezieht sondern tatsächlich auf visuelle Erinnerungen. Also zum Beispiel, wenn ein Kind jeden Erwachsenen im Memory schlagen kann.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Sicherlich kann es durchaus sein, dass er einfach nur liegt und in Wahrheit gar kein fotografisches Gedächtnis hat. Allerdings könnte ich mir trotz seiner schlechten Noten auch vorstellen, dass er trotzdem ein fotografisches Gedächtnis hat. Nur weil jemand ein fotografisches Gedächtnis hat muss dies ja nicht automatisch bedeuten auch gute Noten zu haben. Vielleicht ist derjenige einfach faul und lernt nicht.

Selbst mit einem fotografischen Gedächtnis muss man doch zumindest ein wenig lernen beziehungsweise eine Sache zumindest einmal gesehen haben, bevor sich diese im Gedächtnis einprägen kann. Eine andere Möglichkeit wäre auch, dass er schlichtweg einfach unterfordert ist. Er könnte in dem Studium eben aufgrund seines fotografischen Gedächtnisses einfach keine große Herausforderung sehen und seine Zeit deshalb eher anderen Herausforderungen widmen.

» Kami » Beiträge: 265 » Talkpoints: 0,23 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ob der Mann ein fotografisches Gedächtnis hat oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber das Beispiel zeigt eigentlich, dass allein ein gutes Gedächtnis eben nicht ausreicht, um gute Noten zu bekommen. Und das finde ich gar nicht so schlecht, denn ich möchte doch auch, dass die führenden Persönlichkeiten in der Lage sind, logische und wichtige Entscheidungen zu treffen und nicht nur zu memorieren, was die Vorgänger getan haben.

Ich hatte eine Bekannte im Studium, die toll auswendig lernen konnte, aber keine Ahnung und auch kein Gefühl dafür hatte, wie sie dieses Wissen anwenden sollte. Wenn man ihr sagte, dass immer im Fall A Lösung B angewendet werden muss, dann war es kein Problem. Aber wenn in Fall A manchmal Lösung B und manchmal Lösung C angewendet wird und dafür nur Beispiele genannt wurden, konnte sie dies zwar noch einigermaßen lösen, wenn einer der Beispielsfälle vorlag, aber sie hatte keine Ahnung mehr, was sie tun sollte, wenn ein neuer, nicht auswendig gelernter Fall vorlag.

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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