Jugendämter am Limit, wie kann der Staat entgegen wirken?

vom 06.07.2016, 01:30 Uhr

Ich habe vor Kurzem einen Beitrag im TV gesehen, wo es um die Arbeit der Jugendämter geht. Es ging dort um einen Fall von Kindesmisshandlung, wo man erneut dem Jugendamt schwere Vorwürfe macht, dass es nicht rechtzeitig eingegriffen hat. Diese Fälle haben sich in der Vergangenheit gehäuft, sodass der Ruf der Jugendämter alles andere als gut ist.

Es wurde darauf hin eine Jugendamtmitarbeiterin begleitet, die in Berlin arbeitet. Normalerweise ist es üblich, dass eine Mitarbeiterin zwischen 5 und maximal 10 Familien betreut. So sagte sie es zumindest für den örtlichen Bezirk. Es ist allerdings schon Alltag, dass sie 30 Familien hat, die Zeit nicht mehr hat, um genauer zu kontrollieren, wirklich zu helfen usw.

Ihr Job bestünde im Augenblick darin, die Notfälle stets zu beachten, reingekommene Notfälle abzuarbeiten und die Familien, die sie eigentlich betreuen soll, etwas hinten anstehen zu lassen. Gleichzeitig fallen viele andere Mitarbeiter krankheitsbedingt aus, wo auch sie deren Arbeit teilweise mit übernehmen musste.

Ich war erschrocken und fühlte irgendwie mit der Dame mit. Es ist doch logisch, dass bei wenigen Mitarbeitern und derart hoher Anzahl von Familien die Mitarbeiter kaum hinterher kommen. So passieren offenbar einige Fehler und am Ende ist das Jugendamt der Leidtragende und der Ruf leidet so sehr, dass auch das Vertrauen der meisten Familien fehlt, selbst wenn sie Hilfe bräuchten.

Nun weiß ich natürlich, dass eigentlich Studium für derartige Berufe mit Sozialpädagogik notwendig sind. Doch gäbe es nicht die Möglichkeit, dass der Staat hier endlich einmal richtig einlenkt? Unter Umständen das Studium vielleicht auch bei Seite lässt, aber ähnlich einer Ausbildung agiert, um die Jugendämter wieder mit Kräfte zu befüllen, die agieren wollen und können, damit Fehler sich nicht weiter einschleichen?

Was kann der Staat tun, damit dem Jugendamt wieder mehr Vertrauen, Mitarbeit und Freiraum für die Familien gewährt werden kann, was denkt Ihr?

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Hier in Mecklenburg Vorpommern arbeitet das Jugendamt mit Vereinen, Kindergärten etc zusammen. Z.B. unterschreibt der Sportverein eine Vereinbarung mit dem Jugendamt, dass bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung eine Weiterleitung ans Jugendamt erfolgt. Das Jugendamt bildet sofort einen Arbeitskreis und bespricht das Vorgehen (meistens sind die Familien schon bekannt, liefern aber bei Hausbesuchen ein falsches Bild ab). Danach entscheidet das Jugendamt über das weitere Vorgehen.

Ich finde es eher problematisch zu unterscheiden wann eine Vernachlässigung los geht. Da hat jeder ja ein anderes Empfinden. Es ist auf alle Fälle wichtig das der Staat alle Institutionen die mit Kindern arbeiten, zusammeln koppelt damit ein engmaschiges Netzwerk entsteht.

Zum Thema Ausbildung fürs Jugendamt: das ist in meinen Augen sehr wichtig, sich psychisch drauf vorzubereiten, damit man das erlebte selber für sich auch verarbeiten kann.

» flori0502 » Beiträge: 100 » Talkpoints: 0,74 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Kätzchen14 hat geschrieben:Nun weiß ich natürlich, dass eigentlich Studium für derartige Berufe mit Sozialpädagogik notwendig sind. Doch gäbe es nicht die Möglichkeit, dass der Staat hier endlich einmal richtig einlenkt? Unter Umständen das Studium vielleicht auch bei Seite lässt, aber ähnlich einer Ausbildung agiert, um die Jugendämter wieder mit Kräfte zu befüllen, die agieren wollen und können, damit Fehler sich nicht weiter einschleichen?

Studium wäre generell schön, aber das das Personal vorne und hinten nicht reicht werden nun auch Mitarbeiter eingestellt die diese Qualifikationen eben nicht erfüllen und vielleicht nur eine Ausbildung gemacht haben. So hängen hier inzwischen einige gelernte Erzieher ohne Studium auf dem Jugendamt herum oder auch einfache Verwaltungsfachangestellte, die einfach nur die Akten vorarbeiten, eine Empfehlung aufgrund der Aktenlage aussprechen und der pädagogische Mitarbeiter nur noch die Entscheidung treffen muss. Auf der einen Seite kann man so die Mitarbeiter entlasten die das zu Entscheiden haben, aber zum anderen ist eine Fallbeurteilung einfach nur nach Akten auch nicht immer das wahre und kann mitunter auch zu Fehlentscheidungen führen.

Dazu kommt noch, dass der Staat kosten sparen will. Somit fallen Schlüsselstellen weg, das Personal wird reduziert und so fallen mehr Fälle auf die Mitarbeiter zurück. Daher ist es auch kein Einzelfall, dass eine Mitarbeiterin am Ende 30 oder gar 50 Familien zum betreuen hat. Oftmals geht es gut, aber wenn das Kind dann getötet wird ist das Geschrei groß und man möchte die Sachbearbeiter dann lynchen weil sie nicht eingegriffen haben.

Bei der Menge ist es gar nicht möglich sich täglich über den Stand der Dinge zu informieren oder auch jede Woche mindestens einen Kontrollbesuch zu machen. Damit kann doch einiges unentdeckt bleiben, was ansonsten direkt dafür sorgen würde, dass die Kinder aus den Familien genommen werden würden.

Zum anderen sollten diese Stellen auch finanziell lukrativer gestaltet sein. Nirgendwo verdient man weniger als in dem sozialen Bereich, egal ob es sich nun um eine Pflegekraft mit einer 3 jährigen Ausbildung handelt oder einen studierten der hinterher auf dem Amt sitzt. Allgemein wird diese soziale Arbeit von unserem Staat zu wenig anerkannt und auch gelobt, obwohl sie essentiell wichtig ist.

Leider ist diese finanziell weniger lukrativ, daher wird lieber weiter in die Wirtschaft subventioniert, anstatt in die Gesellschaft an sich. Denn was bringt es dem Staat hinterher, wenn Familie X mit ihren Kindern alleine klar kommt? Sie haben Kosten verursacht durch die Betreuung und bringen hinterher nur wenig ein durch ihre Steuerzahlungen. Da ist es doch lukrativer, wenn eine komplette Sparte gefördert wird, sich hier Betriebe festsetzen und somit mehr Steuern durch die Industrie und das Handwerk eingenommen werden kann.

Diese Entwicklung wird in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen, während die Stellen eingespart werden, kein Personal nach kommt wenn Stellen vorhanden sind, da einfach "grottiger" Job mit sehr viel Arbeit für wenig Gehalt dann sucht man doch doch etwas neues. Zeitgleich werden aber die Anfragen und Betreuungen zunehmen die vom Jugendamt gestemmt werden sollen. Solange also keine Stellen geschaffen werden und auch kein besseres Gehalt geboten wird, wird sich die Lage noch verschlimmern. Entsprechend müsste der Staat intervenieren und Geld dafür in die Hand nehmen, anstatt es an anderen Sinnlosen Projekten wie dem Berliner Flughafen zu verschleudern.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



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