Wie viel Verständnis mit Gesichtsblindheit haben?

vom 04.09.2015, 08:05 Uhr

Ich selbst habe ja Ansätze von Gesichtsblindheit, sodass es mir sehr schwer fällt, mir ein Gesicht dauerhaft einzuprägen. Ich brauche oftmals mehrere Wochen, teilweise sogar Monate, bei denen ich ein Gesicht wirklich jeden Tag sehen müsste um es mir endgültig einzuprägen. Da dies im Alltag aber nicht immer möglich ist, habe ich damit also meine Probleme und suche mir stattdessen irgendwelche Merkmale im Gesicht aus wie Piercings, markante Gesichtszüge (eine scheinbar gebrochene Nase beispielsweise), Muttermale, Narben oder dergleichen.

Ich habe mein Handicap früher für mich behalten und das eher mit mir selbst ausmachen wollen, aber wenn ich dann Leute nicht erkannt habe und an ihnen vorbei gegangen bin, wurde ich sehr schnell als arrogant abgestempelt, was aber nicht stimmt. Mir ist aber schon klar, wie diese Menschen darauf kommen, ich würde jemanden auch als arrogant abstempeln, wenn man sich mehrmals unterhalten hat, sich kennt und trotzdem geht diese Person wortlos und nahezu ignorant an mir vorbei.

Deswegen versuche ich mich immer vorher zu "outen", um die Leute darauf vorzubereiten. Manche Menschen scheinen wirklich Verständnis dafür zu haben und äußern sich entsprechend. Bei einigen jedoch habe ich das Gefühl, dass die mir mein Handicap nicht wirklich glauben wollen und das eher für eine "Ausrede" von Arroganz halten.

Wie ist das bei euch? Wie viel Verständnis habt ihr mit Gesichtsblindheit?

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Da ich mit diesem Problem in Ansätzen selbst geschlagen bin, habe ich sehr viel Verständnis dafür. Die Erfahrung, dass Manche das nicht nachvollziehen können und den offenen Umgang mit dem Problem als Ausrede für Arroganz abstempeln, kenne ich auch.

In den meisten Fällen versuche ich das Problem möglichst witzig zu verkaufen, damit die Menschen merken, dass es mir zwar unangenehm ist, ich es aber nicht ändern kann. Ich erkläre oft, dass ich froh sei, wenn ich die Person, die ich morgens im Spiegel sehe, mit dem richtigen Namen anspreche. Das führt meist zu Lachern, die eine eher positive Haltung zu dem Problem begünstigen.

Die Leute, die trotzdem auf mich herabschauen wollen, mich für dumm oder arrogant halten, gibt es natürlich immer. Ich habe gelernt, mich davon nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Warum auch? Ich weiß in der nächsten Woche vermutlich nicht einmal mehr, wie sie aussehen. :wink:

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich habe sehr viel Verständnis dafür. Immerhin kann man ja nichts dafür und es ist wirklich schwierig da wirklich jemanden zu erkennen, was man ja auch nicht mit Absicht macht. Das ist nun mal medizinisch nachweisbar und deswegen kann man dafür auch nur Verständnis haben, wobei es schon besser ist, wenn man auch davon weiß.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich kann mir Gesichter auch nur sehr schwer merken, und bin garantiert auch schon öfter für arrogant oder geistig minderbemittelt gehalten worden, weil ich Leute nicht wieder erkannt hatte, nachdem sie beispielsweise ihre Jacke ausgezogen oder ihren Pferdeschwanz aufgelöst hatten. Mittlerweile merke ich mir die Größe und Haarfarbe, um zumindest beurteilen zu können, ob ich die Person am selben Tag zweimal sehe.

Meistens mache ich mir wirklich keinen Kopf darüber, dass ich dieses kleinere Problem habe. Und wenn ich jemanden ein bisschen kennenlerne, erwähne ich eben beiläufig, dass ich es nicht persönlich meine, wenn ich jemanden in ungewohnter Umgebung nicht mehr erkenne. Ich mache kein Riesentheater darum und versuche es meistens mit Selbstironie. Bisher habe ich damit noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Andererseits kann ich aber auch verstehen, dass einige wenige Leute genervt reagieren. Das kann an deren aufgeblasenem Ego liegen, aber auch daran, dass manche Leute, die minimal von der Norm abweichen, geradezu den Eindruck erwecken, sie hielten sich für etwas Besonderes, weil sie sich Gesichter nicht merken können, oder Linkshänder sind oder farbenblind oder was auch immer.

Da heutzutage ja fast jeder eine Diagnose zu haben scheint oder sich mit einer bestimmten Subkultur identifiziert (manchmal auch beides kombiniert), habe ich deswegen auch ein gewisses Verständnis dafür, dass es manchmal nerven kann, wenn beispielsweise zu "laktoseintolerant", "vertikal herausgefordert" und "Pescetarier" noch weitere Label wie "gesichtsblind" ergänzt werden.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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