Besonders gebildet wenn man Pflanzen als Hobby hat?
Neulich gab es ein Familientreffen von der Seite der Familie meines Freundes. Eine Tante von meinem Freund hält sehr viel auf ihren Sohn, den Cousin meines Freundes. Dieser hat die Schule abgebrochen und hat es bislang noch zu nichts gebracht, aber die Tante hat dennoch eine tolle Meinung von ihm und hält ihn für den Besten. Seit neustem hat er eine Pflanzenzucht als Hobby und hält sich seitdem für ganz besonders schlau.
Viele in der Familie sehen das ähnlich, Pflanzenzucht ist ein Hobby für Bildungsbürger und für die ganz Schlauen. Man braucht Geduld und am Ende erhält man eine tolle Pflanze an der sich auch nur jemand erfreuen kann der sich damit auskennt. Ein eher langweiliges und spezielles Hobby also. Ich selbst züchte seit einer Weile Orchideen in Reagenzgläsern, aber besonders toll kam ich mir deswegen bislang nicht vor.
Findet ihr auch das Pflanzenzucht als Hobby eher etwas für die besonders gebildeten ist? Denkt ihr auch direkt, dass eine Person sicherlich besonders schlau und gebildet sein muss, wenn sie so ein Hobby hat? Oder könnt ihr diesen Gedankengang nicht nachvollziehen?
Ich wüsste jetzt nicht, für was man da genau besonders viel Bildung brauchen würde. Ich habe eine Menge Zimmerpflanzen und einen Garten und bei mir gedeiht das meiste gut, obwohl ich nur ein Buch gelesen habe, das wirklich mit Zucht und Pflege zu tun hatte, und bei Fragen ansonsten schnell mal das Internet befrage.
Natürlich sind Pflanzen eher ein Hobby für Leute, die sich das leisten können, denn wenn man schauen muss, dass das Geld bis zum Ende des Monats für Essen reicht gibt man kein Geld für Pflanzen, Samen, Aufzuchterde und so weiter aus. Aber schlauer ist der Pflanzenfreund deshalb doch noch lange nicht.
So eine Meinung habe ich bislang noch nicht gehört, dass jemand besonders gebildet ist, weil er als Hobby die Pflanzenzucht für sich entdeckt hat. Ich wüsste auch gar nicht, warum das so sein sollte. Selbst dann, wenn man sich mit besonderen Pflanzen gut auskennt, würde ich nicht von besonderer allgemeiner Bildung sprechen. Dann hat man sich vielleicht zu den Pflanzen belesen, was ja schon gut ist, aber ich würde so etwas besonderes dabei auch nicht finden, wenn ich ehrlich bin.
Bei Pflanzenzucht als Hobby und Bildung besteht doch gar kein Kausalzusammenhang, nicht mal eine Korrelation wie ich finde. Mir erschließt sich diese Logik nicht offen gesagt.
Ich sehe mir da meine Großeltern an. Mein Großvater hat in seinem ganzen Leben nur drei Schulklassen besucht, dann kam leider der Krieg und er konnte das Thema Bildung vergessen. Also rein vom objektiven Standpunkt aus betrachtet (kein richtiger Schulabschluss etc.) wäre er ja eigentlich total ungebildet, genau genommen. Trotzdem sind Pflanzen sein großes Hobby und der Garten seine Leidenschaft.
Bei meiner Stiefoma, also seiner Frau war es ähnlich. Sie hat zwar ein paar Schulklassen mehr besucht als er, aber so wirklich gebildet ist sie auch nicht (was Schulbildung angeht). Natürlich kann man sich auch privat weiterbilden und Wissen aneignen, aber das ist ja in der Regel ganz anderes Wissen als das, was man in der Schule lernt.
Ich bin sowieso nicht der Meinung, dass Hobbys als Intelligenz- oder Bildungsindikator geeignet sind. Warum will jeder immer überdurchschnittlich begabt oder intelligent sein? Man kann es doch sowieso nicht ändern. Ich bin ganz zufrieden damit, durchschnittlich zu sein und muss mich nicht irgendwie schlauer reden.
Es ist sehr schön für den Cousin deines Freundes, wenn er wenigstens mit der Pflanzenaufzucht zurecht kommt, wenn es schon mit der Schule nicht klappte. Was soll den die Tante von ihrem Sohn sagen? Soll sie als Mutter zugeben, dass er die Schule nicht geschafft hat, was ihr sicherlich nicht gefällt und peinlich ist? Also hebt sie das hervor, was er anscheinend ohne fremde Hilfe schafft, seine Pflanzen. Wenn er sich wirklich so sehr dafür interessiert, könnte er ja einen Beruf ergreifen, der mit Pflanzen zu tun hat, falls er arbeiten will.
Für jemanden, der sich mit der Pflanzenzucht befasst, wird das auf keinen Fall langweilig sein. Aber etwas ganz Besonderes, das schlauen, gebildeten Personen vorbehalten bleibt, ist es ganz sicher nicht. Wenn jemand das so hervorhebt, ist meistens im Werdegang irgendetwas faul, sonst könnte man ganz normal damit umgehen. Wenn die Tante den Sohn schützen will, soll sie nicht so dick auftragen, sondern normal damit umgehen.
Ich frage mich auch, wieso die Zucht von Pflanzen etwas mit dem Bildungsstand zu tun haben sollte. Sicherlich braucht man viel Geduld und auch etwas Übung dazu, um Pflanzen aufziehen zu können. Allerdings muss man dafür nun auch nicht besonders gebildet sein. Umgekehrt wird man ja auch nicht schlauer, nur weil man Pflanzen züchten kann. Man kennt sich irgendwann gut in dem Bereich aus, aber das hat ja nichts mit der Intelligenz oder Bildung an sich zu tun.
Ich denke schon, dass ich einigermaßen gut gebildet bin, wobei ich leider keinen grünen Daumen habe und mich da gar nicht auskenne. Meine Mutter kennt sich wiederum sehr gut mit Pflanzen aus. Sie besitzt auch viele Pflanzen und ihr macht es grundsätzlich sehr viel Spaß, Pflanzen zu züchten. Dabei ist sie aber weniger gebildet als ich, zumindest, wenn man die Schulbildung betrachtet.
Das eine hat mit dem anderen also nun gar nichts zu tun. Ob man nun Pflanzen züchtet, Fahrrad fährt oder Briefmarken sammelt, sagt ja nichts über die Bildung oder Intelligenz einer Person aus. Allerdings finde ich es immer gut, wenn man ein Hobby hat und solange man etwas hat, was einem Spaß macht und was man gerne macht, dann ist das natürlich klasse.
Ich denke, dieser Glaube stammt noch aus dem viktorianischen Zeitalter, als Blumen und deren Aufzucht als Steckenpferd für die bessere Gesellschaft galten. Da liegt die Assoziation von Bildung, Geld und dieser Freizeitbeschäftigung nahe. Wie hätte ein einfacher Arbeiter oder Bauer in jener Epoche schon die Zeit oder das Geld für so etwas aufbringen wollen?
Das ist natürlich heute nicht mehr so. Alle Menschen, die ich kenne, denen ich den grünen Daumen zuschreibe, sind bis auf eine Ausnahme, Hauptschulabsolventen. Deswegen würde ich ja nun auch nicht die Korrelation zulassen, dass weniger Bildung den grünen Daumen begünstigt, zumal im Umkehrschluss wiederum der begabteste Mensch in dem Gebiet, den ich kenne, eine sehr gebildete Freundin mit akademischem Abschluss ist.
Warum die Tante da jetzt so darauf pocht, könnte man sich damit erklären, dass ein gewisser Standesdünkel in manchen Familien ja nicht unwichtig zu sein scheint. Da wird dann in der familiären Gesamtheit auf die eigene Besonderheit und Bildung vielleicht über die Maßen soviel Wert gelegt, dass einzelne Mitglieder sich berufen fühlen, die eigene Daseinsberechtigung mit solchen konstruierten Ansichten zu untermauern.
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