Die Flucht aus der ehemaligen DDR in die BRD

vom 03.02.2012, 13:52 Uhr

Als ich geboren wurde war Deutschland schon wieder vereint. Aber auch heute sind immer noch Unterschiede zwischen den Bürgern der damaligen DDR und der BRD zu erkennen. Das Thema Mauerbau und Wiedervereinigung ist auch gerade unser Thema im Geschichtsunterricht. Wir haben uns auch schon angesehen, wie es politisch in der DDR aussah und haben die Gründe kennengelernt, warum es zum Untergang der DDR kommen musste.

Während auf der östlichen Seite der Kommunismus und die Planwirtschaft herrschte, waren die Menschen auf der westlichen Seite frei. Dort gab es die freie Marktwirtschaft und die Demokratie. Es gab nicht wie im Osten nur eine Einheitspartei, die über alles bestimmte, sondern es gab verschiedene Parteien, die gewählt werden konnten. Genauso war es jedem Händler in der BRD freigestellt, in welcher Preiskategorie er seine Preise ansetzen möchte. Wie heute herrschte auch damals der Konkurrenzkampf zwischen jedem Hersteller. Jeder wollte die meisten Kunden anlocken, die Preise möglichst niedrig halten und trotzdem qualitativ hochwertige Dinge herstellen. In der DDR gab es meist nur einen Hersteller für eine bestimmte Sache, deswegen waren lange Wartezeiten vorprogrammiert. Es gab keinen Konkurrenzkampf und deswegen auch keinen Grund sich großartig anzustrengen. Man hatte keine andere Firma, die man qualitativ übertrumpfen musste.

Vor und auch nach dem Mauerbau kam es deswegen zu zahlreichen Fluchten über die innerdeutsche Grenze. So haben laut Wikipedia insgesamt 3,8 Millionen Menschen die DDR verlassen, was ja schon eine beachtliche Zahl ist. Doch der Bau der Mauer hielt die Bürger der DDR trotzdem nicht davon ab zu flüchten. Die Grenze wurde zwar bewacht, aber trotzdem riskierten einige Bürger ihr Leben, um zu flüchten, weil sie es einfach nicht mehr aushielten. Ich habe schon auf Galileo diesbezüglich eine Reportage gesehen. Es ging um die kuriosesten Fluchtversuche aus der DDR. Egal ob eine Familie mit einem Heißluftballon über die Grenze flog, ob ein Mann durch die Ostsee in den Westen schwamm oder ob man über andere Länder wie Tschechien geflohen ist.

Die Eltern meiner Tante sind ebenfalls aus der ehemaligen DDR. Sie sind jedoch schon bevor meine Tante auf die Welt kam von Thüringen nach Bayern geflüchtet. Dort wurde auch meine Tante geboren und nun leben die beiden bis heute im ehemaligen Westen. Sie hatten echtes Glück nicht erwischt zu werden, erschossen oder verhaftet zu werden oder in irgendein Minenfeld zu treten.

Kennt ihr auch Leute, die damals aus der DDR in die BRD geflüchtet sind? Habt ihr vielleicht selbst damals den Fluchtversuch gestartet? Hattet ihr schon einmal den Gedanken zu flüchten und es euch nur nicht getraut oder hat es euch in der DDR gefallen? Warum seid ihr oder die Leute, die ihr kennt, damals geflüchtet? Was war der ausschlaggebende Grund? Wart ihr oder diese Leute unzufrieden mit dem ganzen Staatssystem oder störte es sie von der Stasi ausspioniert zu werden? Ist die Flucht damals gelungen oder wurdet ihr oder eure Bekannten damals erschossen oder verhaftet? Von wo sind sie nach wo geflüchtet? Und zu welcher Tageszeit? Am Tag oder nachts? Was könnt ihr heute alles darüber berichten? Haben sie euch von ihrem Abenteuer erzählt?

» iCandy » Beiträge: 1584 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Bei uns auf der Schule war so einer und wenn ich das richtig in Erinnerung habe dann war das ein richtig unangenehmer Typ. Seine Eltern waren überzeugte Kommunisten und sie meinten dass sie nur in der DDR die Freiheit hätten so zu leben wie es ihren ideologischen Vorstellungen entspricht. Ich hatte kaum Kontakt zu diesem Schüler und zu seinen Eltern schon gar nicht. Ob sie in der DDR wirklich glücklich waren kann ich deshalb überhaupt nicht einschätzen. Es wurde aber gemunkelt dass die Familie in allem unterstützt wurde und Privilegien hatte von denen ein normaler DDR-Bürger nur träumen konnte wie zum Beispiel eine Neubauwohnung, ein Auto ohne lange Anmeldung und einen Studienplatz für Sohnemann obwohl seine Zensuren wirklich nicht die besten gewesen sein sollen.

Ich sehe es noch wie heute vor mir als im September 1989, dass war der Zeitpunkt wo das mit den Botschaften los ging, mich mein damaliger Chef anrief und nachfragte welche Kollegen alle auf Arbeit waren. Als ich ihn auf den aktuellen Stand gebracht hatte klärte er mich auf dass eine Kollegin gerade aus der bundesdeutschen Botschaft in Budapest angerufen hatte und nicht mehr wieder kommt. Für mich brach da eine Welt zusammen, ich mochte die Kollegin sehr und ich hätte niemals gedacht dass sie die DDR verlassen würde. Wir sind immer gemeinsam mit dem Zug in unsere Heimatorte gefahren und da hatten wir uns noch ein paar Gedanken über die ganzen Flüchtlinge gemacht.

Ich sagte noch dass ich mir niemals vorstellen könnte abzuhauen weil ich dann niemals mehr in meine Heimat gedurft hätte, ich hätte meine Eltern und Geschwister nie mehr gesehen und das wollte ich einfach nicht. Sie schluckte damals nur und wenn ich das richtig in Erinnerung hatte, dann hatte sie auch feuchte Augen. Man hätte die Zeichen bei ihr nur richtig deuten müssen, ein paar Tage vorher hatte sie noch unseren Aktenschrank auf der Arbeit mit einem Westaufkleber verziert auf dem stand „ich brauche Luftveränderung“. Den Schrank mit dem Aufkleber gibt es immer noch, immer wenn ich bei uns auf Arbeit im Keller dort vorbei gehe dann muss ich daran denken.

Eigentlich hatte die Kollegin ein gutes Auskommen in der DDR, sie hatte einen sehr bequemen Job und so viel Geld dass sie sich alles leisten konnte was es in der DDR für Geld zu kaufen gab. Ihr Mann als Fahrer eines Kombinatsdirektors verdiente auch nicht schlecht, noch wichtiger waren aber die Kontakte die er dabei aufgebaut hatte und die viele freie Zeit um rare Dinge überall verstreut in der DDR einzukaufen und gegen andere Dinge zu vertauschen. Sie hatten sich also wirklich gut eingerichtet und ich bin wirklich überzeugt dass die mangelnde Freiheit für sie kein Grund war die DDR illegal zu verlassen. Wie gefährlich das war wusste jeder und wenn noch Kinder dabei waren dann drohte neben einem jahrelangen Gefängnisaufenthalt auch noch eine Zwangsadoption. So etwas würde kaum eine Mutter riskieren.

Wie auch immer, Auslöser für ihre Flucht war ein Urlaub in Ungarn mit einem befreundeten Ehepaar. Diese setzten sich ab und die Kollegin kam mit ihrem Lebensgefährten wieder pflichtgemäß zurück. Ich vermute ganz einfach dass die ständigen Verhöre der Staatssicherheit sie zu diesem Entschluss gebracht haben. Vielleicht hat man ihr auch gedroht die Kinder wegzunehmen oder man wollte sie als inoffiziellen Mitarbeiter anwerben damit sie sich „reinwaschen“ kann. Die Stasi war da nicht wählerisch in ihren Methoden.

Wie auch immer, die Kollegin verkaufte heimlich ihren Hausstand, heirate schnell ihren Lebensgefährten (inzwischen wurden die Ausreisebedingungen für die Urlaubsreisen der DDR-Bürger verschärft) und buchte eine viertägige Hochzeitsreise nach Budapest. Der Rest ist Geschichte. Wie sie es schaffte ihren Hausstand zu verkaufen ohne dass es jemand mitbekam ist mir immer noch ein Rätsel. Wir auf Arbeit hatten sogar ein offizielles Schreiben von der SED-Kreisleitung bekommen wo man aufgefordert wurde das zu melden wenn man mitbekommt das Arbeitskollegen Gegenstände aus ihren Hausrat veräußern. Sie wohnte in einem Neubaugebiet mit tausenden Augen, auch innoffizieller Augen und ewig wachenden Abschnittsbevollmächtigten. Das muss schon alles sehr konspirativ abgegangen sein.

Ob es für sie gut im Westen war weiß ich nicht, wir haben uns nie mehr gesehen. Sie fand sofort einen sehr guten Job, trennte sich später von ihrem Mann und heiratet wieder, bekam noch ein Kind und hatte dann später einen schweren Autounfall der sie zum Invalidenrentner machte.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich selbst bin noch zu jung um die DDR wirklich miterlebt zu haben, außerdem bin ich im tiefsten Westen geboren. Allerdings war ich trotzdem (naja, ein kleines bisschen) an einer Fluchtgeschichte beteiligt - obwohl ich gerade mal anderthalb oder zwei Jahre alt war. Meine Eltern sowie ein befreundetes Ehepaar hatten Freunde, die damals in der DDR lebten, aber sie unbedingt verlassen wollten.

Das war 1989 und zu dem Zeitpunkt durften Bürger der DDR noch Reisen in osteuropäische Länder unternehmen, darunter auch Ungarn. Eigentlich waren die Ostblockstaaten ja alle in Richtung westlicher Staaten quasi abgeriegelt, doch Ungarn öffnete 1989 seine Grenzen nach Österreich und erlaubte sogar DDR-Bürger die Ausreise dorthin. Genau zu diesem Zeitpunkt sahen die Bekannten ihre Chance gekommen, und sie begaben sich sofort nach Ungarn.

Meine Eltern sowie die befreundete Familie machte sich dann direkt auf nach Österreich. Meine Mutter blieb mit mir und meinem Bruder dort in einem Gasthaus, ebenso die Frau und das erste Kind der befreundeten Familie, weil sie die weitere Reise als zu gefährlich mit den Kindern einstuften. Mein Vater und sein Freund fuhren von Österreich weiter nach Ungarn und trafen sich dort mit den Noch-DDR-Bürgern.

Mit Papieren aus der West-Deutschen Botschaft in Ungarn kamen sie dann doch ziemlich problemlos über die Grenze nach Österreich zurück, sammelten Frauen und Kinder ein und fuhren mit den Flüchtlingen zusammen in unsere Heimat nach Niedersachsen. Die Freunde kamen zunächst kurzfristig in unserer kleinen Wohnung unter, bis mit den Behörden der BRD alles geregelt war und sie schließlich nach Nordrhein-Westfalen zogen und dort ihr weiteres Leben verbrachten.

Obwohl ich dabei war kenne ich die Geschichte natürlich nur vom Hörensagen von meinen Eltern und von den Freunden, die uns Jahre später mal wieder besuchten. Ehrlich gesagt bin ich aber ziemlich stolz auf meine Eltern und ihr Wagnis, das sie damals eingegangen sind - noch dazu in solch einer Situation mit einer jungen Familie mit zwei kleinen Kindern hätte sich das bestimmt nicht jeder getraut, immer hin war es trotz Ungarns Einlenken immer noch recht gefährlich.

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» Taline » Beiträge: 3594 » Talkpoints: 0,75 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ist die Flucht damals gelungen oder wurdet ihr oder eure Bekannten damals erschossen oder verhaftet? Von wo sind sie nach wo geflüchtet?

Dir ist schon klar, dass jemand, der erschossen wurde, das hier nicht berichten könnte oder?

Gerade viele ältere Menschen, die ja gewissermaßen drei Systeme kennen gelernt haben (vor 45, DDR und dann die gesamtdeutsche Republik), berichten mir, dass es ihnen in der DDR ganz gut gefallen hat. Meistens können sie das nicht so sehr an konkreten Beispielen belegen, sondern meinen nur, dass es ein anderes Miteinander war und das Sozialsystem mehr bot.

Vielleicht ist das in manchen Fällen auch nur eine gewisse Sehnsucht nach der Vergangenheit, im Sinne von „früher war alles besser“, aber es gibt eben tatsächlich Menschen, denen es in der DDR besser ging als nach der Wiedervereinigung. Es gibt Gewinner und Verlierer der Wende. Somit wird es auch viele gegeben haben, die keine Gedanken an eine Flucht hatten.

Es kommt eben darauf an, welche Wünsche und Vorstellungen man selbst vom Leben hat und wie man von seiner Persönlichkeit her gestrickt ist. Ich kann mir vorstellen, dass manche wirklich nicht damit leben können, sich (zumindest offiziell) nicht gegen bestimmte vorherrschende Meinungen und Ansichten stellen zu dürfen und nicht sagen zu dürfen, was sie möchten. Genauso wird es viele gegeben haben, für die die Einschränkungen in der Studien- oder Berufswahl ganz furchtbar waren oder die eben ihr Auto lieber sofort und nicht erst in mehreren Jahren haben wollten. D.h. ein gewisser Anteil der Bevölkerung hat sich an den reichlich vorhandenen Unannehmlichkeiten bestimmt so gestört, dass sie den innigen Wunsch gehegt haben, die DDR zu verlassen und manche haben es dann auch getan.

Aber auf der anderen Seite gab es eben auch Menschen, die sich damit arrangiert haben. Man kann sich ja, wenn man will, an alles gewöhnen und in alles hineinfinden oder mit etwas Strategie Unannehmlichkeiten umgehen. So haben dann eben Mutti oder Vati bei der Geburt des Kindes gleich mal das später Auto beantragt und wenn das Kind so alt war, stand der Wagen auch zur Verfügung oder man hat das, was es nicht gab, selbst gebaut oder ersetzt usw.

Auch mag der Gedanken, dass man etwa nach der Ausbildung einem Betrieb zugeordnet wurde, anstatt sich selbst um eine Anstellung kümmern zu müssen, für einige sicherlich angenehm sein. In der DDR gab es somit zwar weniger Freiheiten, aber wer es zu schätzen wusste, dass dafür auch gewisse Risiken – wie etwa Arbeitslosigkeit – keine Rolle spielten, der wird auch nicht an Flucht gedacht haben.

Ich denke aber in jedem Fall, dass bekannt war, was bei einem Fluchtversuch im schlimmsten Fall passieren konnte und dass viele sich diesem Risiko unüberlegt und unnötig ausgesetzt haben. Auch wenn es mir irgendwo nicht gefällt, ich hätte nie mein Leben riskiert, um ein Land zu verlassen. Es gab ja sogar Fälle, wo Eltern geflohen sind und ihre Kinder zurückgelassen haben. Was davon zu halten ist, kann sich ja jeder selbst denken.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

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Gedanklich durchgespielt haben sich früher bestimmt sehr viele DDR Bürger eine Flucht aus dem gelobten Land. Aber wirklich getraut haben es sich nur wenige, weil es einfach zu riskant war. Während meiner Ausbildungszeit ist mal ein Lehrlingskollege bei einem Fluchtversuch erwischt worden und er wurde auch inhaftiert und ich weiß bis heute nicht, was aus ihm geworden ist.

Aber die meisten Leute haben es schon über einen Ausreiseantrag versucht aus der DDR herauszukommen. Das hat zwar meistens einige Jahre bis zur Bewilligung gedauert und war auch in vielen Fällen mit kleineren oder auch größeren Repressalien verbunden, aber man war nicht solch einem großen Risiko ausgesetzt erschossen oder inhaftiert zu werden.

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» falscher fuffziger » Beiträge: 153 » Talkpoints: 30,34 » Auszeichnung für 100 Beiträge


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