Wer sollte auf Asad folgen?

vom 29.11.2015, 21:54 Uhr

@derpunkt: Vielen Dank für das inhaltliche Auseinanderreisen meines Postings. Ohne jetzt jedes beanstandete Zitat wieder aufzuführen, ist es ganz einfach Quatsch, einzelne Sätze als Quatsch zu bezeichnen, wenn man sie völlig aus dem Zusammenhang nimmt und versucht zu bewerten.

Mein Posting stellte ja ganz klar zwei Sichtweisen dar, die ich persönlich als konsequent sehen würde. Zum einen eben, die wirkliche moralische Betrachtung als quasi utopisches Weltbild. Wenn es also wirklich darum geht, Lebensbedingungen zu verbessern und Leid zu beenden. Das geht nun mal ganz einfach nicht, wenn man mit jemandem zusammenarbeitet, der Teile seiner Bevölkerung unterdrückt oder foltern lässt. Und dabei spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob es in den Nachbarländern noch schlimmer ist.

Was man aber auch ganz klar dazu sagen muss und das dachte ich eigentlich, wäre wohl verständlich gewesen, ist dass dies wohl nicht mit den wahren Motiven der Interventionsmächte deckungsgleich ist. Ebenso sind die angesprochenen UN-Truppen ja nicht dazu da, einen neuen Staat zu gründen. Aber wenn man Asad absäbelt und ebenso Teile des Militärs rauswerfen würde, dass gegen die eigene Bevölkerung gekämpft hat, braucht man noch immer eine einigermaßen neutrale Armee, die die Bevölkerung vor dem IS und der ein oder anderen Rebellengruppe beschützt. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.

Aber um dich da zu beruhigen, du brauchst gar keine Angst haben, dass das funktionieren könnte, weil man dazu echte Kampftruppen bräuchte, die dort über Jahre oder Jahrzehnte sicher auch hohe Verluste hinnehmen müssten und das will ja keiner aus dem Westen, wird es also auch nicht versuchen.

Natürlich kann man auch sagen, Asad hat gewissermaßen für Ruhe gesorgt und sicherlich dem ein oder anderen Syrer auch Bildung und Wohlstand gebracht, aber eben auch genauso gefoltert und unterdrückt. Natürlich kann man behaupten er ist beziehungsweise war ein gewisser Stabilitätsfaktor und mit etwas weniger Konfrontationskurs von Außen, wäre die Lage nie so instabil geworden. Dann muss man aber auch so ehrlich sein und zugeben, dass man für seine eigene Ruhe bereit ist Folter und Leid in Kauf zu nehmen. Es wird ja nunmal moralisch gesehen nicht besser Leute zu foltern und zu töten, wenn ich dafür Jungen und Mädchen zusammen zur Schule gehen lasse.

Ich glaube auch dein Vergleich mit der französischen oder russischen Revolution hinkt gewaltig. Die Zeiten haben sich ja dramatisch geändert. Zum einen ist es ja nicht so, dass der Westen jetzt von ganz allein auf die Idee kam, mal eben Syrien umkrempeln zu wollen. Die Revolution aus dem Inneren hat ja stattgefunden und findet statt. Es gibt ja genug eigene syrische Kräfte die Asad stürzen wollen. Aber auf der anderen Seite hat eben auch Asad Unterstützung von Außen, genauso wie der IS ja eine multinationale Armee beschäftigt. Die Revolution hatte also auch ohne den Westen schon begonnen, genauso wie das Krisenfeld Syrien auch schon lange eine internationale Angelegenheit ist.

Schlussendlich plädiere ich ja eigentlich eh nur dafür, dass man vor allem auch zu den Syrern ehrlich ist. Entweder man hält sich wirklich mal an das was man sagt, dass es wirklich um die Syrer selber geht oder man sagt eben klipp und klar, man will nur die Krise so schnell wie möglich beenden und für Ruhe sorgen und hört mit dem Moralgequatsche auf, wenn man doch mit Leute wie Asad zusammenarbeiten will. Das sollte man dann halt nur ganz einfach ehrlich sagen. Ich selbst hab ja wie gesagt auch keine richtige Idee für den Königsweg, zumal da ja sowieso zu viele verschiedene Interessen und skurrile extremistische Weltanschauungen aufeinander treffen.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



@ derpunkt: Deine Meinung erinnert mich an das Gerede vieler älterer Deutscher, wonach Hitler schließlich die Arbeitslosigkeit beseitigt hat und die Autobahnen baute. Inzwischen hört man es kaum noch, da nur noch wenige aus dieser Zeit leben. Irgendwie scheint man das Böse verdrängen zu wollen, wenn man nicht das Opfer ist.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


@Klehmchen: Ich hatte mich in meinem Beitrag letztlich nicht auf "was wäre wünschenswert" sondern auf "wie funktioniert die Weltgemeinschaft" bezogen. Und es ist eben etwas seltsam, hier in Syrien in Asad das große Böse zu sehen und gegen ihn eine Koalition mit Saudi Arabien, der Türkei usw. usf. einzugehen. Das ist schlicht der Schritt, der die Welt in einen Weltkrieg stürzt. Denn hier machen sich ein paar Mächtige auf, darüber zu entscheiden, welcher Herrscher genehm ist und welcher nicht.

Nach "moralischen Maßstäben" die hier gegen Asad ins Feld geführt werden, steht ein Krieg auch gegen Nordkorea, China, Jemen, Saudi Arabien, Iran, Kuwait, Katar, Swasiland, Ruanda, Somalia, Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan und Simbabwe aus. Und in einem "Ranking" der Staatsverbrechen sind das nicht mal alle aber wohl alle die mindestens ebenso brutal gegen "die eigene Bevölkerung" vorgehen.

Was solle uns das lehren? Den relativen Frieden seit 1945 haben wir deshalb, weil die UNO klipp und klar die Nachkriegsordnung als den Status angenommen hat, der nicht durch äußere Kräfte zu verändern ist! Grenzen dürfen ausschließlich innerstaatlich und einvernehmlich durch die beteiligten Parteien vorgenommen werden. Ebenso kann kein Staatsherrscher "beliebig" gestürzt werden. So etwas kann, wenn überhaupt, nur durch einen inneren Umsturz (der dann letztlich oft genug schon auch im geheimen durch das Ausland befeuert wird) geschehen. So wurde auch ein Ceausescu durch "sein Volk" gestürzt.

Asad ist der "legitime" Herrscher und erster Ansprechpartner. Fakt ist aber, dass es eine massive Opposition gibt, welche auch vor Gewalt nicht zurückschreckt (was zum Bürgerkrieg führt!), Asad zu stürzen. Ob das letztlich "besser" ist, ist wohl schwer zu entscheiden. Geht es der Bevölkerung im Irak nach Hussein jetzt besser? Was sollte in Syrien dazu führen, dass es da besser wird?

@Juri1877: Das ist tatsächlich ein selten unkluger Vergleich. Jedenfalls dann, wenn - aber das ist eine Geisteshaltung die sich immer mehr breit macht - der Holocaust nicht als einzigartiges Verbrechen verstanden und "unterschlagen" wird. Was macht Asad im Verhältnis zu Erdogan (der die "eigene Bevölkerung" im Südosten durchaus nicht schont) oder im Verhältnis zum Königshaus in Saudi Arabien so viel verwerflicher, so dass hier ein Eingriff "legitim" scheint? Gab in Syrien weniger Hinrichtungen als z.B. in Saudi Arabien, wenn man den Asad-Freunden von "amnesty" glauben schenken kann. Und im Jahr 2010 auch weniger als in den USA. (Wobei solche Vergleiche mit den USA tatsächlich quatsch sind.)

Noch zur Klarstellung: ich unterstütze keine Diktaturen, halte sie auch nicht für legitim oder gerechtfertigt. Sehe aber im Aufzwingen von "genehmen Lösungen" leider nur eine Verschlimmerung der Lage für weite Teile der Bevölkerungen, es werden nur Unterdrücker durch andere Unterdrücker ersetzt, die brutaler vorgehen müssen, um dem Schicksal des Vorgängers zu entgehen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



@ derpunkt: Du kannst hier noch so viele Halbwahrheiten verkünden, aber Asad ist schon längst keine Option mehr. Mit schätzungsweise 260.000 Toten, von denen gut 90 Prozent auf das Konto von Asad gehen dürften, hat sich die Lage endgültig verändert. Nur deshalb konnte der IS so schnell voran kommen und sich ausbreiten. Für die Sunniten ist es eben aktuell 100 mal wahrscheinlicher, durch Asad als durch den IS zu sterben. Die werden Asad nie und nimmer verzeihen. In Syrien haben die Sunniten mit 90 Prozent die absolute Bevölkerungsmehrheit. Soll der Westen etwa helfen, die sunnitische Bevölkerungsmehrheit zu unterdrücken?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



@Juri1877: Leider beginnst du schon wieder mit einem Vorwurf, der dann aber auf dich zurück fällt. Wer um alles in der Welt hat dir davon erzählt, die Bevölkerung in Syrien würde zu 90% aus "unterdrückten sunnitischen Moslems" bestehen? Das ist ganz egal wie oft du das von dir gibst - eine Lüge. Sogar weit weg davon, wenigstens als "Halbwahrheit" zu gelten. Im Grunde das eher unter Propaganda zu verstehen.

Selbst der Deutschlandfunk (was jetzt wirklich keine neutrale Quelle ist) traut sich nur von "bis zu 85%" zu sprechen. Auch wenn Wiki keine wirklich gute Quelle ist, deckt sich die hier Zahl eher mit anderen "Quellen" wie z.B. Welt-Auf-Einen-Blick und liegt im besten Fall bei 74%. Wo hast du die 90% her? Evtl. damit verwechselt, dass es in Syrien 90% Araber sein sollen?

Vollkommen lustig, wenn du mehrfach auch von "Unterdrückung" schreibst, leider ohne auch nur einen Hauch eines Hinweises, wie diese Unterdrückung aussehen könnte. Unterdrückt hat Assad (wie schon sein Vater) die Islamisten. Richtig ist auch, dass zusammen mit der Türkei auch Kurden unterdrückt wurden. Aber nicht dadurch, dass ihnen Arbeit oder Bildung verwehrt wurde, weil sie Kurden sind. Es wurde lediglich jede Autonomie-Bestrebung massiv bekämpft. Ansonsten spielte die religiöse Ausrichtung eben nicht die Rolle. Aktuell aber rufen tatsächlich sunnitischen Kräfte den Konflikt zu einem Religionskrieg aus. Dabei ist doch klar, dass eine Herrschende Elite schlicht ihren Herrschaftsbereich verteidigt. Unabhängig vom eigenen Glauben.

Die letzte Frage stellt sich mir: wie warst du in der Lage, den vielen Toten (in einem Bürgerkrieg) zuzuordnen, welche Seite hier für den Tot verantwortlich war? Was wäre hier die Quelle? Der IS? Und selbst wenn es hier "gegen Unterdrückung" gehen würde: auf der einen Seite steht Assad - auf der anderen der "Islamische Staat". In Assads Syrien gibt es sehr wohl auch Christen und Juden (immerhin ca. 10% der Gesamtbevölkerung). Wie steht in der Frage der IS und wie sollte sich hier der "Westen" positionieren?

Alles, was du bisher zu Syrien geschrieben hast, war im besten Fall zweifelhaft ansonsten schlicht falsch. Aber tatsächlich bist du schnell dabei, anderen "Halbwahrheiten" zu unterstellen. Mir ist zwar deine Position "Assad muss weg" jetzt klar aber leider lässt du niemanden hier im Forum wissen, auf welcher Grundlage du dies willst, welchen Weg du dahin vorschlagen würdest und wie du dir die Folgen vorstellen könntest. Immerhin wären ja deine Wunschvorstellungen nicht der Gefahr ausgesetzt, unwahr zu sein.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


@ derpunkt: Deine Wunschvorstellung ist es doch, dass Asad trotz all der Bürgerkriegstoten und der Giftgaseinsätze bleiben könnte. Und im Gegensatz zu Saddam hatte er Giftgas! Es gibt eben nicht nur Bagdhadi oder Asad, sondern auch noch andere Oppositionelle.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


derpunkt hat geschrieben:Was macht Asad im Verhältnis zu Erdogan (der die "eigene Bevölkerung" im Südosten durchaus nicht schont) so viel verwerflicher, so dass hier ein Eingriff "legitim" scheint?

Lassen wir mal meine moralische Betrachtung beiseite und stützen uns lieber auf deine pragmatische Sichtweise. Dann würde ich jetzt sagen Erdogan unterdrückt nur eine Minderheit und wähnt die Mehrheit des türkischen Volkes hinter sich. Asad dagegen wird nur von der salawitischen Minderheit (10-15% Anteil an der Bevölkerung) gestützt und unterdrückt die Mehrheit des Volkes.

Ob es dadurch besser wird, würde ich ganz klar verneinen. Aber gemäß deiner pragmatischen Herangehensweise, wie man die Welt befriedet, getreu dem Motto, wir werfen die Moral beiseite und es regiert das Recht des Stärkeren, hätte Erdogan eine Legitimation, Asad nicht. Und Asad wäre damit auf Dauer auch der schwächere Part in Syrien und müsste daher weichen. Zumal ich dir ja auch im speziellen syrischen Fall eben nicht folgen kann, wenn du immer wieder anfängst, dass ein Umsturz nicht von Außen geschehen kann, sondern von der eigenen Bevölkerung eingeleitet werden muss. Genau das passiert doch seit 5 Jahren. Den Bürgerkrieg hat doch nicht die USA oder die Türkei oder Russland oder sonstwer angefangen. Den Bürgerkrieg haben die Syrer selber angefangen.

Ich sehe das Problem viel eher darin, dass sich die ausländischen Mächte nicht darin einig sind, wen sie wirklich unterstützen wollen. Asad kann man nur nachhaltig stürzen, wenn man an seiner Stelle eine andere Macht etablieren kann, die auch stark genug ist, sich gegen Asads Truppen, den IS und andere radikale Oppositionsparteien durchzusetzen, damit das ganze nicht in dem Chaos endet, das jetzt schon in Syrien herrscht.

Aber genauso wird es keine dauerhafte Lösung sein, Asad an der Macht zu halten. Das würde doch nur gehen, wenn er den Großteil der Bevölkerung hinter sich hätte. Das hat er aber eben nicht. Sicher mag es möglich sein mit der russischen Unterstützung wieder die Oberhand zu gewinnen, aber das verschiebt das Problem doch höchstens wieder um ein paar Monate oder Jahre. Syrien bleibt dennoch ein zerstörtes Land und die große Mehrheit der Syrien bleibt dennoch arm und arbeitslos. Und dann hat man auch noch einen Führer von dem jeder glaubt, dass er sich nur für eine Minderheit des Volkes einsetzt. Das ist das reinste Pulverfass.

Naja ich weiß auch nicht, vielleicht sollte man einfach die Grenzen im Nahen Osten neu ziehen und jeder verschiedenen Religionsgruppe ihren eigenen kleinen Flecken Land geben. Ja ich weiß dass das nicht so einfach geht und sicherlich auch keine echte Lösung ist. ;)

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



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