Anthroposophie - Könnt ihr die Konzepte verstehen?

vom 17.05.2013, 21:25 Uhr

Meine Schwester ist Sozialpädagogin und arbeitet mit Behinderten. Seit zwei Jahren macht sie eine Zusatzausbildung für Waldorfeinrichtungen. Sie hat das nie groß erwähnt und ich hatte auch nie ein klares Bild vom Waldorfkonzept. Vor ein paar Wochen hab ich aber mit meiner Schwester telefoniert, kurz nachdem sie ein viertägiges Seminar zum Thema Karma besucht hat. Und das hat mich dann stutzig gemacht und ich habe mich ein paar Tage über Rudolf Steiner, dem Erfinder des Waldorfkonzepts, informiert.

Rudolf Steiner war ein Philosoph und starb 1925, aber seine Konzepte für Kindererziehung, Medizin und Landwirtschaft sind bis heute sehr lebendig. Als junger Mann war er mit Friedrich Nietzsche befreundet, bewunderte ihn sehr und war wie Nietzsche sehr unreligiös. Neben dem Philosophieren musste Steiner aber Geld verdienen und verdingte sich mehr schlecht als recht als Privatlehrer.

Als Nietzsche starb, war Steiner plötzlich sehr gefragt und wurde für Vorträge über seinen verstorbenen Freund bezahlt. Besonders interessiert war die Theosophische Gesellschaft, die sich sehr mit dem Buddhismus verbunden gefühlt hat. Steiner passte sich dem an und übernahm z.B. das Konzept des Karmas und der Wiedergeburt aus dem Buddhismus in seine Philosophie auf. Schnell wurde er der Leiter dieser Theosophischen Gesellschaft und hatte fortan keine Geldsorgen mehr.

Neben diesen allgemeinen Philosophien über das Leben entstanden die Konzepte für die Schulbildung und die Landwirtschaft praktisch auf Bestellung. Der Besitzer der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria bat Steiner ein Konzept zu entwickeln, mit denen die Kinder seiner Arbeiter erzogen werden können. Und ein paar Landwirte fragten ihn nach Ideen, wie das Gemüse wieder so lecker wie in ihrer Kindheit schmecken könnte. Und so hat er sich einfach hingesetzt - im Fall der Landwirtschaft und der Medizin ohne jegliche Vorbildung - und hat sich Konzepte dazu ersonnen.

Hinter dem Waldorfkonzept steckt seine Ansicht, dass der Mensch verschiedenen Phasen der Entwicklung durchläuft. In den ersten 7 Jahren entwickelt sich nur der Körper und nicht der Geist. Es geht nur um das Erlernen durch Nachahmung. Erst in den Jahren 7 bis 14 entwickelt sich auch das Denken, dann erst wird die Fantasie gefördert. Ich denke aber, dass diese Ansichten etwas aufgeweicht wurden und in Waldorfkindergärten auch schon die Fantasie gefördert wird.

Das Konzept des biologisch-dynamischen Landbaus, das Steiner entwickelt hat, hat bis heute unter dem Markennamen Demeter überlebt. Einige Vorschläge sind ganz brauchbar und Demeter-Höfe haben auch nachweislich gute Böden. Aber ich bezweifel sehr, dass das daran liegt, dass im Herbst immer gefüllte Kuhschädel vergraben werden. Eigentlich ging es Steiner darum, kosmische Kräfte in den produzierten Lebensmitteln zu konzentrieren. Nur als Mittel zum Zweck wurden dabei einige sinnvolle Ideen umgesetzt. So ist es auf Demeter-Höfen üblich, die Vielfalt von Pflanzen und Tieren zu fördern, daher werden viele Hecken und andere Pflanzen gepflanzt. Außerdem wird auf Chemie verzichtet.

Die anthroposophische Medizin, nach der in Deutschland immerhin fünf Krankenhäuser geführt werden. Dabei wird wieder auf die vier Wesensglieder zurückgegriffen, die in den ersten Jahren eines Menschen entwickelt werden. Krankheit bedeutet demnach, dass diese vier Körper - der physische, der ätherische, der astralische Körper und das Ich - nicht im Einklang miteinander stehen. Die zur Anwendung kommenden Mittel sind nicht wissenschaftlich. Als besondere Therapierichtung, ebenso wie die Homöopathie, muss sie ihre Wirksamkeit aber auch nicht beweisen. Steiner hat aber trotzdem immer darauf bestanden, dass es sehr wohl wissenschaftlich wäre.

In all seinen Konzepten benutzte er Wörter auf seine ganz eigene Weise. Er nannte seine Ansichten z.B. "Geisteswissenschaft". Dieses Wort wird natürlich schon auf eine andere Weise genutzt, aber er hat es sich einfach ausgeliehen, was total verwirrend ist. Seine Ansichten sind nämlich überhaupt nicht wissenschaftlich. Ein weiteres Problem ist, dass es wirklich unendlich viele Seiten an Mitschriften seiner Vorträge gibt, die nach seinem Tod als Grundlage für die Forschung genommen wurden. Steiner selber hat diese Mitschriften aber gar nicht mehr gesehen, geschweige denn korrigiert.

Also ich kann Rudolf Steiner einfach nicht ernst nehmen. Ständig hat er seine Meinung geändert, je nachdem was ihm Vorteile verschaffte. Sicher kann jemand seine Meinung ändern, aber von "Gott ist tot" (Nietzsche) zum Erfinder einer "Christengemeinschaft" zu werden, ist schon ein gewaltiger Schritt. Was genau hinter der Christengemeinschaft steckt, hab ich aber noch nicht nachgelesen. Das war mir dann doch zu viel.

Habt ihr euch schon mal mit Rudolf Steiner und seiner Philosophie beschäftigt? Gehen eure Kinder womöglich auf eine Waldorfschule? Kennt ihr jemanden, der der Christengemeinschaft angehört? Was haltet ihr von den Konzepten Waldorf, Demeter und anthroposophische Medizin? Ich würde gerne mehr aus der Praxis erfahren, da ich nur über die Theorie gelesen habe.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Das was ich in der Lehramtsausbildung über das Konzept gehört hatte, hat mich gar nicht überzeugt. Ich kann mich zwar nicht an die Theorie erinnern, dass die Kinder vor dem vollendeten siebten Lebensjahr nur körperlich wachsen, aber wenn das wirklich seine Aussage war, dann zeigt das erschreckend deutlich, wie wenig wissenschaftlich das Konzept an dieser Stelle zumindest ist. Denn nie wieder lernen Kinder so schnell und so viel, wie in den ersten Jahren ihres Lebens. Alleine der Spracherwerb ist eine enorme Denkleistung. Meine Kinder würde ich nicht auf eine Waldorfschule schicken. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wenn Nahrungsmittel nachhaltig erzeugt werden finde ich das gut. Aber beim Thema Landwirschaft kenne ich mich zu wenig aus um einschätzen zu können, ob seine Methoden zielführend sind oder ob andere Methoden der biologischen Landwirtschaft besser sind. Möglicherweise liegt ja hier seine Kernkompetenz.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


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