Als Leser den Protagonisten wachrütteln wollen?
Normalerweise kann ich mich schon meistens in die Protagonisten von Büchern hineinversetzen und mit ihnen mit fühlen. Das ist nun jedoch bei dem Buch, welches ich jetzt lese, gar nicht so. Es geht dabei um eine Alkoholikerin, die immer tiefer in ihre Sucht stürzt, nachdem ihr Mann sie verlassen hat. Sie gesteht sich ihre Sucht aber nicht ein und nimmt sich immer wieder vor, mit dem Trinken aufzuhören, was nicht klappt.
Im Endeffekt telefoniert sie ihrem Ex-Mann im betrunkenen Zustand ständig hinterher, sucht ihn zu Hause auf und belästigt ihn mit Nachrichten. Dieser ist nicht nur genervt, sondern mittlerweile auch verängstigt von seiner "Stalkerin", genauso wie auch seine Frau, da die beiden auch ein Baby gemeinsam haben, welches die Protagonisten im betrunkenen Zustand kidnappen wollte.
Mir geht es bei dem Buch nun wirklich so, dass ich die Protagonisten am liebsten wachrütteln würde. Ich kann es gar nicht verstehen, wie sich solche dummen Fehler bei ihr ständig wiederholen können und warum sie einfach nichts macht, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Geht es euch auch manchmal so, dass ihr den Protagonisten am liebsten wach rütteln und schütteln würdet?
Wenn es dir so geht, dann hat der Autor ganze Arbeit geleistet. Denn wenn ein Protagonist ständig alles richtig macht, entsteht die langweiligste Geschichte der Welt, völlig ohne Spannung und Konflikte.
Klar würde die Identifikation mit so einer Figur leichter fallen, wenn man selbst schon Probleme mit Drogen oder Alkohol gehabt hätte. Aber deshalb soll das auch kein Rat sein, da Experimente zu starten, damit man das nachvollziehen kann.
Ich habe das Buch nicht gelesen und weiß nicht, welches du meinst. Aber letztlich muss man halt bei einem Alkoholiker eben davon ausgehen, dass man durch die Sucht nicht mehr normal funktioniert. Klar erscheint es von außen logisch, dass man langsam mal was tun sollte.
Aber der Figur selbst in ihrem Universum ist das eben entweder nicht so klar oder sie schafft nicht, sich von der Sucht zu befreien. Von daher finde ich es schon logisch, wie der Protagonist angelegt ist. Ob dir das gefällt, wie die Hauptfigur sich verhält, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Solange es sich logisch aus der Gesamthandlung ergibt, kann ich mit unvollkommenen und fehlerhaften Protagonisten in der Literatur auch eher mitfiebern und Emotionen investieren als in die ewigen perfekten Abziehbildern, bei denen jeder halbwegs sensible Leser sofort merkt, dass der Verfasser oder die Verfasserin des Buches auch nur zu gern so wäre wie der Protagonist. Idealisierte Versionen des Verfassers machen in meinen Augen die langweiligsten und ungeschicktesten Hauptfiguren aus.
Wenn der Protagonist also halbwegs überzeugend und mit gutem Grund immer wieder die gleichen Fehler macht, kann ich mich auch in diese Art Figur gut hinein versetzen. Lästig wird es jedoch, wenn ich mir aus dem Hintergrund heraus nicht erklären kann, wieso sich die Figur so verhält. Manchmal habe ich nämlich auch den Eindruck, dass eine Romanfigur willkürlich eine Charakterschwäche zugeteilt bekommt, die sie dann bis zum bitteren Ende behält. Ein bisschen Charakterentwicklung habe ich schon ganz gerne. In dieser Hinsicht bin ich konservativ.
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