Wird der Vertriebenen in Deutschland zu wenig gedacht?

vom 08.10.2015, 19:25 Uhr

Nach 1945 wurden 14 bis 15 Millionen Deutsche aus den Gebieten östlich der Oder-Neisse-Grenze teilweise sehr brutal vertrieben. Millionen starben dabei oder wurden schwer verletzt oder traumatisiert. Ein Tag zu deren Gedenken wurde abgelehnt. Inzwischen scheint man dies eher verdrängen zu wollen. Man fürchtet anscheinend eine Rückbesinnung auf alte Feindschaften.

Trotzdem ist auch dies Bestandteil der deutschen Geschichte. Findet ihr nicht auch, dass man hier zu wenig der eigenen Opfer gedenkt? Habt ihr auch noch Betroffene in der Familie oder Bekanntschaft? Seid ihr davon persönlich betroffen?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 08.10.2015, 19:29, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Juri1877 hat geschrieben:Nach 1945 wurden 14 bis 15 Millionen Deutsche aus den Gebieten östlich der Oder-Neisse-Grenze teilweise sehr brutal vertrieben.

Es handelt sich um eine Reaktion gegen Menschen, welche den sie beherbergenden Staat auflösen wollten. Für solche Handlungen stand in Deutschland die Todesstrafe und diese wurde auch vollstreckt! Was in der Debatte um die "deutschen Opfer" immer vergessen wird, ist das von allen Vertreibungen explizit die Deutschen ausgenommen wurden, die sich nicht an der Zerstörung der jeweiligen Staaten (Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien) beteiligt haben. Fakt ist, dass es in den Wirren nach dem Kriegt hier dennoch zu Verbrechen gekommen ist. Aber dies zu betrachten, ohne die Ursache zu würdigen, ist ausschließlich als Revisionismus zu bezeichnen.

Juri1877 hat geschrieben:Ein Tag zu deren Gedenken wurde abgelehnt.

Was "abgelehnt" wurde, ist ein staatlicher Feiertag. Der Gedenktag ("Tag der Heimat") findet sehr wohl statt. Dass das aber nicht zu einem staatlichen Feiertag wird, ist sehr zu begrüßen. Wer "unpolitisch" der deutschen Vertriebenen gedenkt, inszeniert diese hier als Opfer. Wenn man sich aber die Lebensläufe der Gründungsmitglieder des sog. "Bundes der Vertrieben" und deren Funktionäre anschaut, dann kommt schnell heraus, dass diese Personen sehr aktiv in der "Umgestaltung" des Ostens im Sinne des Dritten Reichs waren! So wird dieser Bund auch als "NS-Nachfolgeorganisation" bezeichnet.

Juri1877 hat geschrieben:Man fürchtet anscheinend eine Rückbesinnung auf alte Feindschaften.

Diese Befürchtung unterstellt, dass man die alten Feindschaften zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte aufgegeben hätte. Wer aber die Ziele des Bundes der Vertriebenen anschaut, wird recht schnell anerkennen müssen, dass der Feind klar bestehen geblieben ist!

Juri1877 hat geschrieben:Trotzdem ist auch dies Bestandteil der deutschen Geschichte.

Es ist ein Bestandteil der Tradition, sich als Opfer zu sehen. Nicht nur in Sachen Vertreibung.

Juri1877 hat geschrieben:Habt ihr auch noch Betroffene in der Familie oder Bekanntschaft?

Die persönliche Trauer um Verstorbene ist letztlich legitim und natürlich wird die Frau oder das Kind auch um einen Kriegsverbrecher trauern dürfen. Aber das ist dann eben kein Staatsakt sondern die persönliche Trauer nach einem Verlust. Das hat aber keine Bewandtnis auf die Einschätzung im Rahmen der Geschichte.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


@derpunkt: Ganz so einfach war es dann doch nicht, dass man unterscheiden wollte. Und das kenne ich nicht nur aus meiner eigenen Familie. Egal ob es das heutige Tschechien ist oder Polen. Man versuchte alles was deutsch sprach loszuwerden. Selbst wenn man schon viele Jahre vor Kriegsbeginn dort geboren wurde.

Meine Großmutter wäre da ein Beispiel. Sie war Jahrgang 1921 und damit gerade mal drei Jahre nach Ende des ersten Weltkrieges geboren. Und nur weil man von Geburt an auch die deutsche Sprache gelernt hat, wurde man von Grund und Boden verjagt. Es wurde nicht danach geschaut, ob man direkt beteiligt war an der Zerstörung oder nicht. Es wurde einfach gehandelt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



@ derpunkt: Man muss schon ziemlich verbohrt sein, um dieses Verbrechen zu leugnen. Dies gilt natürlich ebenso für Verbrechen, die von Deutschen begangen wurden. Auch Deutsche waren Opfer und dies sollte man auch sagen dürfen ohne dass man sich gleich irgendwelchen Anfeindungen aussetzt. Es geht hier auch nicht um irgendwelche Vergleich oder Versuche, Unrecht aufzurechnen.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Punktedieb hat geschrieben:Ganz so einfach war es dann doch nicht, dass man unterscheiden wollte.

Das sehen die entsprechenden Beschlüsse und Befehle sowie die jeweiligen Gesetze anders. Hier war die Absicht definitiv so, dass nur diejenigen zu verfolgen sind, welche an der Vernichtung der jeweiligen Länder profitiert hatten! Denen war die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, da sie ja letztlich die Vernichtung eben dieses Staates vorangetrieben hatten.

Wohingegen die deutschen Gegner des Naziregimes sehr wohl ausgenommen wurden! Wobei die Gegnerschaft nicht dadurch zum Tragen kommen soll, dass man nach 1945 einfach sagt, dass man ja sowieso gegen Hitler war.

Punktedieb hat geschrieben:Selbst wenn man schon viele Jahre vor Kriegsbeginn dort geboren wurde.

Es ist interessant, was du hier beschreibst. Dieses "selbst wenn" impliziert ja, dass die Vertreibung zumindest der Deutscher rechtmäßig war, die nach der Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung dort angesiedelt wurden.

Aber nochmal: richtig ist, dass es keine Rolle gespielt hat, ob jemand aus der deutschen Bevölkerung die jeweilige Staatsbürgerschaft hatte oder nicht (die Deutschen die VOR dem Überfall auf die jeweiligen Staaten dort lebten, hatten dort auch die entsprechenden Staatsbürgerschaften).

Entscheidend war die Frage, wie man sich zum Staat (eben z.B. der Tschechoslowakei verhalten hat). Wer Nutznießer des Naziregimes war, hat eben die Staatsbürgerschaft verloren. Wenn man sich die Zustimmungswerte anschaut ("Heim ins Reich"), dann war hier nicht mit einer großen Opposition unter den Deutschen zum Naziregime zu rechnen.

Punktedieb hat geschrieben:Meine Großmutter wäre da ein Beispiel.

Immer, wenn es um dieses Thema geht, werden persönliche Einzelschicksale hervorgerufen. Das ist legitim, tut aber nicht wirklich was zur Sache. Deine Oma war damals letztlich 24 Jahre alt. Deren Vertreibung galt aber vermutlich nicht mal ihr - welche Position hatten denn deren Eltern? Und wäre sie alleine geblieben, wenn eben nur ihre Eltern hätten gehen müssen?

Punktedieb hat geschrieben:Es wurde nicht danach geschaut, ob man direkt beteiligt war an der Zerstörung oder nicht. Es wurde einfach gehandelt.

Und genau hier ist der Knackpunkt! Da kam es - unbestritten - auch zu Racheaktionen. Immerhin musste die nicht-arische Bevölkerung über drei Jahre unter der Besatzung leiden, wurde entrechtet und vertrieben. Und im Zuge der sich anbahnenden Niederlage haben sie die Besatzer nicht so benommen, als ob sie eine Wiedergutmachung im Sinne hatten (Stichwort "Verbrannte Erde").

Wer diese Gräuel erleiden musste und gleichzeitig gesehen hat, dass die früheren deutschen Nachbarn durch diese Not einen relativen Wohlstand hatten, wird weniger rational handeln. Es bleibt letztlich ein Verbrechen. Aber eines, welches nicht angeordnet wurde! Anders, als bei der Planung des "Lebensraums im Osten" und bei der "Behandlung der Slavenvölker".

Juri1877 hat geschrieben:Man muss schon ziemlich verbohrt sein, um dieses Verbrechen zu leugnen.

Stimme ich dir zu und ich kenne eigentlich niemanden, der dies nicht so sieht. Nebenbei sind auch Sowjetsoldaten für Verbrechen gegen die deutsche Zivilbevölkerung z.T. ungewöhnlich hart bestraft worden. Das ging nach Kriegsende sogar bis hin zur Todesstrafe. Folgt man der Verurteilungsquote der Wehrmacht gegen eigene Soldaten für Verbrechen an der Zivilbevölkerung, gab es hingegen wohl keine Übergriffe (Partisanenbekämpfung war wohl gerechtfertigt ...).

Juri1877 hat geschrieben:Auch Deutsche waren Opfer und dies sollte man auch sagen dürfen ohne dass man sich gleich irgendwelchen Anfeindungen aussetzt.

Die "Anfeindung" kommt nicht, weil auch deutsche Opfer ausgemacht werden, sondern weil hier unmissverständlich versucht wird, die Opferrolle gleichermaßen zu verteilen, was eine ungehörige Relativierung der Taten bedeutet. Dazu bedarf es auch nur einmal der Überlegung, WO die Verbrechen begangen wurden. Keine Deutschen sind aus Bayern, Baden-Württemberg oder gar Berlin vertrieben worden.

Nach dem deutschen Überfall aber sind Polen, Tschechen, Jugoslawen in eben ihren Ländern versklavt, vertrieben oder umgebracht worden. Es ist - auch ohne aufzurechnen - definitiv eine andere Ausgangslage und ich verstehe nicht, wieso du (das unterstelle ich mal) z.B. im Strafrecht die Praxis der Würdigung der Umstände nicht kritisierst, hier aber eine Gleichmacherei betreibst.

Es ist doch die Frage legitim, wie in Deutschland der Vertriebenen gedacht wird, die eben durch das Deutsche Reich vertrieben wurden. Gar nicht! Dafür wird auf der anderen Seite vom Bund der Vertriebenen verlangt, dass die Gesetze (z.B. die Benes-Dekrete) aufgehoben werden. Um schlicht zu den gleichen Opfern zu gehören, wie die angegriffenen und vertriebenen Polen, Tschechen, Russen, Jugoslawen usw.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


@derpunkt: Zu deiner Frage was mit meinen Urgroßeltern war, kann ich dir sagen, dass Großmutter und Urgroßmutter bei einem Bauern als Mägde arbeiteten. Der Urgroßvater hingehen war seit dem ersten Weltkrieg nicht mehr arbeitsfähig. Es gab keinerlei Parteizugehörigkeit in der Familie. Und das ist nur ein Beispiel direkt aus meiner Familie, wo ich es eben genau weiß. Aber es gibt viele tausende Fälle, die auch so sind.

Und ja, ich messe da mit zweierlei Maß, dass es richtig war, die Menschen zu vertreiben, die während der Zeit des dritten Reiches andere Menschen um Hab und Gut gebracht und es sich selbst angeeignet haben. Aber doch nicht Menschen, die dort schon lange gelebt haben.

Wobei ich aber auch der Meinung bin, dass man geschichtliche Vorkommnisse auch nicht unbedingt künstlich pushen muss. Sonst könnte man ja noch ein paar Jahrhunderte früher beginnen, wo es auch schon Vertreibungen gab. Wer da lange genug sucht, wird sicherlich auch noch Vorfahren finden, die wegen ihrer Abstammung, dem Glauben oder anderen Gründen sich eine neue Heimat suchen musste.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


@Punktedieb: Die Frage war doch nicht, was deine Großeltern "generell" getan haben, sondern wie sich ihre Stellung in der Zeit der Besatzung durch die Wehrmacht entwickelt hat und inwieweit Widerstand geleistet wurde oder aber ob nicht davon profitiert wurde, "deutsch" zu sein. Wenn sie davon profitiert haben, dann sind sie im Rahmen des Gesetzten vertrieben worden. In Deutschland hätten sie für Landesverrat übrigens die Hinrichtung fürchten müssen - nicht "nur" die Vertreibung. Waren sie aber tatsächlich im Widerstand, dann ist deren Vertreibung zum Einen nicht von offizieller Seite betrieben worden und zum Anderen als Verbrechen anerkannt.

Was das "puschen" der Geschichte angeht, betreibst du damit schon die Relativierung! Hier wird nichts gepuscht und es ist eigentlich unerträglich, wenn davon "gefaselt" wird, in der Schule in Geschichte so viel vom Naziregime hören zu müssen hier aber keinen direkten Bezug zw. dem Krieg und der anschließenden Vertreibung sehen zu wollen. Jetzt zum Rundumschlag ausholen zu wollen, und das Geschehen mit z.B. der Völkerwanderung vergleichen zu wollen, ist entweder unglaublich dumm oder unglaublich dreist.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



@ derpunkt: Deine blödsinnigen Rechtfertigungsversuche kannst du dir sparen. Wer im Osten die Vertreibung mitgemacht hat, hat ebenso Massenmord und Massenvergewaltigung miterlebt. Hier ging es schlichtweg um Landraub und jeder Versuch, dies schön zureden, ist einfach nur erbärmlich. Auf 12 Millionen Flüchtlinge kamen mindestens 2 Millionen Tote. Vergnügungsfahrten waren dies jedenfalls sicher nicht.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Gio am 11.10.2015, 23:21, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

@derpunkt: Nach was willst du dabei alles unterscheiden? Jemand, der sein Dasein in der Landwirtschaft in Abhängigkeit vom Bauern gefristet hat, hat sicherlich keine Vorteile dabei gehabt. Ebenso hast du weder hier, noch im heutigen Polen oder Tschechien großartige Widerstandsbewegungen auf dem Land gehabt. Vor allem nicht mit den Menschen die von jeher der deutschen Sprache mächtig waren, da man viel zu viel Angst hatte, dass sie den Widerstand nur ausspionieren.

Du magst zwar viele Erklärungsversuche machen, aber wirkliches Wissen hast du scheinbar über solche Dinge nicht. Sorry, wenn ich dir das so direkt sage. Aber das Schulwissen aus dem Geschichtsunterricht reicht da bei weitem nicht aus, um die komplexen Vorgänge der damaligen Zeit zu begreifen und auch zu verstehen.

Es wurde damals so gehandelt, wie man es zum Teil in den gezielt gestreuten Gerüchten von heute wieder erkennen kann. Alle mit Abstammung X kommen in einen Topf. Ob es dann wirklich so ist, dass man die Sache so betrachtet, interessiert die wenigsten Menschen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Wie kommst du auf diese völlig überzogenen Zahlen von 15 Millionen Vertriebenen inklusive mehreren Millionen Toten? Hier findest du deutlich kleinere Zahlen und es ist auch nicht von Millionen Toten die Rede. An den Zahlen wird auch deutlich, dass tatsächlich nicht alle Deutschen vertrieben wurden.

Auch zu gedenken gibt es meiner Meinung nach nichts, was nicht heißen soll, dass man nicht um die individuellen Schicksale der Familien trauern darf. Die vertriebenen Deutschen, die gerne mehr Aufmerksamkeit haben wollen, stellen sich ja gerne als Opfer der Polen da und das ist einfach völlige Geschichtsverdrehung. Durch mein Ehrenamt mit vielen alten Menschen habe ich aber regelmäßig solche Leute kennengelernt, die sich gerne beklagten über die schwere Zeit auf der Flucht.

Erstens ist Polen im Osten eine ganze Menge Land weggenommen worden, genau genommen knapp doppelt so viel, wie Polen im Westen zugestanden wurde. Diese Karte zeigt das etwas unscharf, aber man kann es erkennen. Da kann man wohl kaum behaupten, dass Polen so großartig profitiert hat, als ob Deutschland hier als das wahre Opfer anzusehen wäre.

Zweitens sollte man nicht vergessen, dass Polen schon mehrmals geteilt wurde von Deutschland, Russland und Österreich und zeitweise ganz von der Landkarte verschwunden war. Dass man bei der Gelegenheit etwas zurückforderte und die Deutschen auch mal einstecken mussten, halte ich für legitim. Dass dies nicht unter schönen Bedingungen passierte und auch Menschen ihr Leben lassen mussten, ist sicher zu bedauern, aber bei den Zuständen der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich.

Ein nationaler Gedenktag im Sinne eines Feiertages oder Ähnliches ist daher völlig unnütz und dient meiner Meinung nach nur der Relativierung der Schuld.

» Cappuccino » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 15.10.2015, 22:17, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

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