Brauchen wir ein Mindesthonorar?

vom 27.08.2015, 23:56 Uhr

Weasel_ hat geschrieben:Hier bei uns sind übrigens Erzieher, Versicherungsvertreter, Sportlehrer, Fahrlehrer, Pflegekräfte und viele anderen Beispiele, die du genannt hast, Festangestellte oder Selbstständige mit fest angestellten Mitarbeitern. Als echter Selbstständiger kann man sich hingegen seinen Arbeitsort selbst heraus suchen und könnte dabei noch vom niedrigeren Lohnniveau profitieren.

Bei euch ist die Situation ja auch eine andere. Da lässt sich niemand auf einen Werkvertrag ein. Das ist hier aber anders. Und wenn alle Arbeitslosen nach Baden-Württemberg und Bayern stürmen, dann habt ihr auch keine Jobs für die. Dann geht es bei euch auch los, dass die Mieten steigen und gleichzeitig die Löhne sinken. Umziehen kann eine Lösung für den Einzelnen sein, die Beschäftigungsproblematik löst das aber nicht.

Und ein echter Selbstständiger kann sich seinen Arbeitsort aussuchen? Das trifft auch viele zu, aber nicht auf alle. Wahrscheinlich ist ein Arzt für die kein Selbstständiger, aber die freie Wahl des Arbeitsortes hat er ganz gewiss nicht. Auch wer als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger arbeitet, kann sich seinen Arbeitsort in der Regel nicht aussuchen. Und wer ein Ladenlokal sucht, ist auch nicht frei in seiner Entscheidung. Das trifft auch auf viele Handwerker zu. Aber die sind ja nach deiner Definition alle nicht selbstständig.

Wobei die Freiheit oft auch relativ ist. Ich kann überall meinen Job machen. Arbeite ich selbstständig, dann ist der Ort egal, übernehme ich eine Interim-Leitung, dann muss ich sowieso irgendwo im In- oder Ausland in das Unternehmen. Aber, wenn ich Aufträge haben möchte, dann ist eine regionale Nähe zur Werbeagentur-Hochburg Düsseldorf unerlässlich. Ansonsten wäre ich schlechter aufgestellt. Denn Kontakte bringen Aufträge und reine Kontaktpflege online reicht nicht aus. Also bin ich wohl auch nicht selbstständig, verdammt.

Übrigens sind in Deutschland 57,1% aller Selbstständigen Solo-Selbstständige, die keine Angestellten beschäftigen. In den letzten 15 Jahren ist deren Anteil um satte 40% gestiegen. Für die meisten bedeutet das eine prekäre Beschäftigungssituation. Die würden mit Kusshand die Festanstellung nehmen, wenn sie sie nur erreichen könnten.

Und auch bei den Beschäftigungsverhältnissen sieht es übel aus. In Supermärkten, Drogieriemärkten, etc. werden mittlerweile 10 % der vormals vorhandenen Jobs über Werkverträge mit Fremdarbeitern zu deutlich schlechteren Konditionen erledigt. in der Getränkeindustrie arbeiten 55% aller Beschäftigen über Werkverträge. In der Nahrungsmittelindustrie sind es 57%. Und ein Werkvertrag ist für die Mitarbeiter des Auftragnehmers im Vergleich zur Arbeitnehmerüberlassung eine Katastrophe.

Und diese Tendenzen gibt es auch in den Regionen, wo Vollbeschäftigung herrscht.Auch dort sind mittlerweile mehr als 40% der Arbeitnehmer von atypischen Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Die Aussagen, wenn man nur möchte, dann findet man auch einen gut bezahlten Job, gilt nicht für alle (und ich meine qualifizierte Kräfte). 20% der Beschäftigten in diesem Bundesland beziehen nur Niedriglöhne. Dort meint die Landesregierung, die Lehrkräfte nur während des Schuljahres anstellen zu müssen, in den Ferien müssen Lehrer sich arbeitslos melden und werden dann zum Schuljahresbeginn wieder eingestellt.

Es ist ja sehr schön für dich, dass du einen gut bezahlten Job hast, den habe ich auch. Aber du meinst fälschlicher, dass das allen Menschen möglich ist. Und das ist eben nicht so. Ganz viele fallen trotz aktiver Bemühungen und guter Qualifikationen durch das Raster und finden eben nichts.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Mir war klar, dass du die Frage nur gestellt hattest, um meine Aussagen zu kritisieren und gar nicht an einer Diskussion interessiert warst. Du hast deine fixe Meinung und die musst du mit allen Mitteln verteidigen. Und da suchst du dir eben nur die Branchen heraus, die zu deiner Argumentation passen und ignorierst diejenigen, die ich genannt habe (und die außerdem noch viel größer sind).

Auf freiberuflichen Ärzte (bei denen man sicher nicht über ein Mindesthonorar diskutieren muss) und Ladenbesitzern (die ja als Händler genauso ein ortsunabhängiges Internetgeschäft gründen könnten) ist das eine andere Situation. Und für Selbstständige wie Handwerker kann es normal sein, entsprechende Reisetätigkeit in Kauf zu nehmen. Das ist in vielen anderen Berufen doch auch normal, dass man häufig unter der Woche unterwegs ist. Das hat aber keinen Einfluss darauf, wo man seine Heimatbasis aufschlägt.

Es ging hier übrigens nicht darum, wer einen wie guten Job findet. Es ging um ein Mindsthonorar für Selbstständige. Und das wird die ganzen Probleme, die du da auflistest, nicht lösen sondern eher verschärfen. Viel mehr sollte sich der Staat einmal darum kümmern, bei den ganzen Pseudoselbstständigen aufzuräumen. Damit könnte man auch die Sozialkassen weiter entlasten und Altersarmut verhindern, weil diese "Selbstständigen" nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Das wäre viel effektiver als ein Mindesthonorar, das eine enorme Bürokratie bedeutet und man es dann doch auch wieder umgehen kann.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Weasel_ hat geschrieben: Viel mehr sollte sich der Staat einmal darum kümmern, bei den ganzen Pseudoselbstständigen aufzuräumen. Damit könnte man auch die Sozialkassen weiter entlasten und Altersarmut verhindern, weil diese "Selbstständigen" nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Das wäre viel effektiver als ein Mindesthonorar, das eine enorme Bürokratie bedeutet und man es dann doch auch wieder umgehen kann.

Ich vertrete meinen Standpunkt durchaus vehement, weil du schlichtweg verdammt wenig Ahnung von der Materie hast. Die von dir als Pseudoselbstständige bezeichnete Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen ist rentenversicherungspflichtig. Und da in Deutschland jeder eine Krankenversicherung haben muss, zahlen sie auch brav Beiträge oder sind privat versichert. Rente und Pflege ist abgedeckt, auch wenn dir das bisher nicht klar gewesen ist.

Bei den Autoren, Textern, Künstlern, Journalisten, Musikern etc. ist es sogar noch drastischer. Bereits ab einem Jahreseinkommen von 3.900 Euro sind sozialversicherungspflichtig in der Künstlersozialkasse. Damit sind sie schon dann versicherungspflichtig, wenn die Hausfrau mit ihrem Kleingewerbe noch familienversichert ist. Sie zahlen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.

Dazu noch dein nettes Beispiel mit 3.000 Euro. Falls du 3.000 Euro brutto meinst, würde ich, wenn ich beispielsweise alleinerziehend wäre, garantiert nicht umziehen. Das ist eine ganz einfache Rechnung: Wäre ich mit meinen 3 Kindern allein und länger als ein Jahr arbeitslos, dann bekäme ich jeden Monat 2.050 Euro vom Amt. Das bezieht sich allerdings auf eine Miete von etwa 5,50 Euro pro Quadratmeter kalt. Ich brauche kein Auto und keine Kinderbetreuung.

Jetzt ziehe ich zum tollen Job für 3.000 Euro brutto. Netto habe ich dann 1,900 Euro plus 558 Euro Kindergeld, also 2.458 Euro. jetzt sind aber die Mieten im Süden höher, ich brauche ein Auto damit ich zum Job komme und in der geringen Freizeit für vier Personen einkaufen kann. Damit stehe ich dann insgesamt schlechter da und bin immer noch bei Wohngeld und Kinderzuschlag. Dafür verlässt man nun nicht unbedingt seine Heimat.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



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