Epilepsie in Kindergarten und Schule verschweigen?

vom 23.08.2015, 19:02 Uhr

In der Gemeindeverwaltung unserer Gemeinde gab es Aufruhr. Ein Kind, das bereits seit drei Jahren problemlos eine Regelschule besucht, wurde durch einen blöden Zufall als Epileptiker identifiziert. Die Aufregung war groß, die Eltern wurden sofort angerufen und in die Schule zitiert, ein Gespräch mit einer Gemeindevertreterin und der Schule wurde anberaumt.

Die Mutter ist total aufgelöst und regt sich auf, weil sie genau dieses Theater vermeiden wollte. Sie sagte, dass ihr zwei Neurologen unisono geraten haben, die Epilepsie ihres Sohnes in der Schule zu verschweigen. Nach Meinung der Fachleute war das Risiko eines Anfalls in der Schule sehr gering. Dagegen seien die gruppendynamischen Prozesse durch Überbehüten, übervorsichtig sein und falsche Rücksichtnahme für diese Kinder oft die viel größere Katastrophe.

Wenn ich sehe, welche Hexenjagd jetzt veranstaltet wird, kann ich den Neurologen nur recht geben. Der Junge hatte nie einen Anfall in der Schule und wird vermutlich dort auch nie einen haben. Aber alle sind in heilloser Aufregung, Manche Lehrerinnen haben sogar Angst, "ES" könnte ja in ihrer Unterrichtsstunde passieren.

Ich staune, dass so etwas in unserer modernen Welt, in der sich jeder zuerst informieren kann, bevor er losschreit, passieren kann. Besonders regt man sich darüber auf, dass die Erkrankung verschwiegen wurde. Wie seht ihr das? Früher habe ich an eine aufgeklärte Gesellschaft geglaubt und hätte für einen offenen Umgang auch mit dieser Erkrankung plädiert. Wenn ich jetzt aber dieses Drama sehe und mit welcher Panik die Leute reagieren, kann ich eigentlich nur bedauern, dass es versehentlich ans Licht gekommen ist.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Irgendwo ist das ein zweischneidiges Schwert. Sicherlich mag es für den Jungen leichter sein, wenn niemand von seiner Krankheit weiß. Auf der anderen Seite aber, wenn er doch mal einen Anfall hätte, wüssten die Lehrer eben Bescheid und müssten nicht an Panik ausbrechen. Dass so extrem reagiert wird, zeigt für mich im Grunde eigentlich nur, dass das gesamte Schulpersonal einfach überhaupt nicht über Epilepsie Bescheid weiß, sondern irgendwelche uralten Horrorvorstellungen im Kopf hat.

Wenn sogar die Ärzte der Mutter geraten haben, so vorzugehen, dann hätte ich das wahrscheinlich auch getan, aber ich denke, spätestens wenn das Kind mal mit auf Klassenfahrt fahren soll, sollte man das schon sagen. Eventuell werden ja auch Medikamente eingenommen.

In einem Kindergarten hätte man vielleicht eher noch das Glück, das entspannt damit umgegangen wird. Bei der Schulung der Erzieherinnen scheint auf Integration usw. nämlich mehr Wert gelegt zu werden. Das Thema ist da auch nicht mehr so neu wie in den Schulen.

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» Jessy_86 » Beiträge: 5456 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich denke, das Entsetzen ist jetzt so groß, weil alle das Gefühl haben, dass es auch ganz schrecklich hätte ausgehen können. Der Junge hätte einen Anfall haben können, keiner hätte davon gewusst und daher hätte keiner richtig reagiert. Dieses "das wäre mir fast passiert"-Gefühl.

Ich glaube nicht, dass die Reaktion die gleiche gewesen wäre, wenn man ganz am Anfang das Gespräch mit den Erziehern und Lehrern gesucht hätte. Dann kommt eher ein "das könnte auf mich zukommen, aber bis dahin habe ich noch Zeit und kann mich vorbereiten"-Gefühl auf. Und das macht nicht so sauer.

Und im Zuge dessen hätte man dann alle über die Krankheit aufklären können und was zu tun ist, wenn der Junge doch mal einen Anfall bekommt. Und richtig aufgeklärt, hätte sich es sich auch recht bald gegeben, dass er wie ein rohes Ei behandelt wird. Aber von staatlicher Seite, in der Ausbildung sollte natürlich auch noch viel mehr geschehen.

Also ich finde es nur fair, wenn alle "vorgewarnt" werden. Lehrer so ins Messer laufen zu lassen, ist doch auch fies. Auch wenn wahrscheinlich nie etwas passieren wird. Ausschließen kann man es nie. Dafür ist die Krankheit zu tückisch. Meine Schwester hat auch damit zu kämpfen und wird auch nach 20 Jahren noch von Anfällen überrascht.

Und wenn man die Krankheit verschweigt, bringt man auch etliche Erzieher und Lehrer um eine Erfahrung, die dazu beitragen kann, dass die Krankheit Epilepsie eben mehr Bekanntheit erlangt und die Gesellschaft die Furcht davor verliert.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich sehe die Sache auch etwas zwiegespalten. Wenn die Gefahr eines Anfalls in der Schule wirklich so gering ist, dann verstehe ich die Ärzte schon, dass sie dazu geraten haben, die Krankheit in der Schule zu verschweigen. Ich denke auch, dass es für das Kind nicht gut ist, wenn es über behütet wird. Das wird es einem Kind auch nicht gerade leicht machen, Freunde zu finden und allgemein dürfte es viele Dinge erschweren.

Andererseits denke ich auch, dass es schon immer sinnvoll ist, mit offenen Karten zu spielen. Natürlich ist es gut, wenn die Wahrscheinlichkeit eines epileptischen Anfalls in der Schule gering ist, aber es ist eben möglich, dass es passiert. Und für den Fall ist es doch besser, wenn die betreuenden Lehrer zumindest ansatzweise wissen, was zu tun ist. Das würde den Lehrern den Umgang vielleicht auch erleichtern.

Irgendwie verstehe ich die Lehrer jetzt auch, dass sie ihre Bedenken äußern, was hätte passieren können. Sie sind einfach besorgt, dass sie im Falle eines Falles falsch reagiert und die Situation verschlechtert hätten. Wenn man weiß, was man tun muss, kann man doch viel entspannter mit dem Kind umgehen.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



Zweischneidig ist das Schwert allemal. Was die Kindergartenzeit angeht, haben die Eltern bereits ihre Erfahrungen gesammelt. Die Erkrankung ist bei dem Jungen im Kindergartenalter diagnostiziert worden. Dort haben sich die Eltern um Aufklärung bemüht und sind offen damit umgegangen. Es war ein Drama.

Eine Erzieherin wollte sich weigern, den Jungen weiter zu betreuen. Ihrer Meinung nach gehörte er in eine "entsprechende Einrichtung". Wohlgemerkt hatte er auch dort niemals einen Anfall. Man musste ihr erst einmal klar machen, dass es keine juristische Begründung gibt, ein Kind wegen Epilepsie vom Kindergartenalltag auszuschließen.

Ich kann die Eltern verstehen. Sie wollten für ihr Kind nicht das gleiche Spießrutenlaufen, wie sie es im Kindergarten erlebt hatten. Die ständige Sonderposition des Kindes. Immer die Aufregung, wenn es um Ausflüge ging, die dauernde Besorgnis. Das Kind hätte sich über einen ganz normalen Alltag gefreut und hätte davon auch profitiert.

Stattdessen mussten die Eltern immer wieder das Gleiche erklären. Besonders schlimm war wohl die Reaktion einiger anderer Eltern. Es ist vermutlich nicht so toll, dem eigenen Kind erklären zu müssen, dass er beim Geburtstag seines Freundes plötzlich nicht mehr eingeladen wird, und so weiter.

Was die Vorbereitung auf einen Anfall angeht: Im Falle eines Anfalls kann man außer den Kopf zu schützen und den Notarzt zu alarmieren in seinem Fall ohnehin nichts tun. Und das wäre auch ohne Information geschehen. Wem hätte die Information also genützt?

Natürlich verstehe ich auch viele Reaktionen der Lehrer und Eltern. Aber ich finde die meisten völlig überzogen. Das Kind ist Epileptiker, er hat kein HIV, Hepatitis oder sonst irgendetwas, worauf man im Falle einer Verletzung hätte vorbereitet sein müssen.

Ich selbst habe Respekt vor der Entscheidung der Eltern, die sie sich mit Sicherheit nicht leicht gemacht haben. Sie tun mir furchtbar leid und ich kann nur hoffen, dass die Leute sich möglichst bald beruhigen.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge


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