Von Ethnie auf Erziehung, Charakter und Ansprüche schließen?
Ich besuche zur Zeit eine Übung in einem meiner Nebenfächer und muss bei der jeweiligen Dozentin auch eine Hausarbeit schreiben. Ich hatte dieselbe Dozentin schon letztes Semester in einer Übung und sie macht auf mich einen sehr liberalen, aufgeschlossenen und freundlichen Eindruck. Diese Dozentin kommt jedoch aus Russland und ist mit 16 nach Deutschland gekommen. Mittlerweile lebt sie etwa ihr halbes Leben in Deutschland und scheint sich auch gut angepasst zu haben.
In der Pause hatte ich die Gelegenheit, mit einer anderen Kommilitonin aus dieser Übung über die Dozentin zu sprechen. Ich habe mich gefragt, wie streng und anspruchsvoll die Dozentin bei der Hausarbeit sein wird, da ich bei diesem Nebenfach absolut keine Ahnung habe wie das hier läuft. Ich bin es eher gewohnt, bei den Naturwissenschaften Hausarbeiten zu schreiben und bin das mittlerweile auch gewöhnt.
Aber bei den Geisteswissenschaften ist ja auch vieles anders, was schon bei der Zitiertechnik und der Literaturangabe anfängt. Dementsprechend wollte ich wissen,wie pingelig die Dozentin sein würde, wenn sich wegen naturwissenschaftlicher Routine einige Fehler einschleichen würde. Die Kommilitonin hatte keine Erfahrung was Hausarbeiten bei dieser Dozentin angeht, meinte dann aber, dass die Dozentin bestimmt extrem streng und pingelig wäre, mit der Begründung, dass sie ja aus Russland wäre und alle Russen hätten ziemlich hohe Ansprüche und wären sehr pingelig und streng.
Ich finde nicht, dass man das so pauschal sagen kann und ich bin erstaunt, dass sich Vorurteile immer noch so hartnäckig halten. Selbst wenn das stimmen sollte, dass viele Russen so streng und anspruchsvoll sind, muss das ja nicht auf alle zutreffen. Außerdem ist die Dozentin schon 15 Jahre in Deutschland, das prägt sicherlich auch ein Stück weit. Ich kann aber aus Beobachtungen sagen, dass wirklich viele Russen ihre Kinder nach dem Leistungsprinzip drillen und die besten Noten und Leistungen oft „gerade gut genug“ sind. Dennoch finde ich es falsch, so eine Einstellung direkt allen zu unterstellen.
Was meint ihr dazu? Kann man von der Ethnie und ohne eine Person näher zu kennen, direkt auf die Erziehung, Prägung, die Ansprüche und den Charakter schließen?
Vorurteile und Stereotypen sind zwar im allgemeinen Umgang nicht vermeidbar, sollten jedoch durchweg als solche erkannt und identifiziert werden. Hier handelt es sich eindeutig um ein Vorurteil über "die Russin an sich", welches natürlich so nicht haltbar ist, da nicht alle Russen (oder alle Frauen oder alle Ausländer usw.) gleich sind.
Ich versuche mich vor Verallgemeinerungen und Stereotypien in Bezug auf anderer Leute Herkunft so gut es geht zu hüten, da der Schritt von "alle Russen sind XY" zu Rassismus und Feindlichkeit gegenüber so ziemlich allen und jedem nur sehr klein sein kann. Außerdem versäumt man so viele Gelegenheiten, Menschen näher kennen zu lernen und Freunde zu finden, wenn man von vorn herein davon ausgeht, dass alle Mitglieder einer Ethnie den gleichen, meist miesen, Charakter haben.
Da würde ich einfach anfragen, wie denn die Charakterisierung "der deutschen" Lehrerinnen und Lehrer bzw. Dozentinnen und Dozenten wäre. Ich kann mir z.B. kaum vorstellen, dass hier nicht ein "pingeliges" und "nicht-pingeliges" Exemplar gefunden werden kann. Was würde das über die Aussagekraft der anderen Einschätzung sagen?
Offenbar ist der Wert des Abiturs tatsächlich gesungen, wenn auch solche Menschen mit einem wohl eher schlichten Gemüt in den Genuss von Vorlesungen kommen ohne jemals so weit denken zu können, dass die eigene Geisteshaltung eine ganz andere Form von Lehre bedarf. Fakt ist aber, dass solche Akademiker produziert werden, die letztlich nicht in der Lage sein werden, eigene Gedanken frei zu entwickeln sondern sich im besten Fall in bestehenden Produktionsprozessen einsetzen lassen.
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