Gedenktag für Vertriebene gerechtfertigt?

vom 21.05.2013, 09:35 Uhr

Es ist mal wieder Pfingsten und der sog. "Bund der Vertriebenen" kommt zusammen, um sich selbst Leid zu tun und sich als vermeintliches Opfer der Geschichte zu präsentieren. Gerade das konservative Bayern ist hier immer wieder bereit, der in erster Linie von ehemaligen Größen der Nationalsozialismus gegründeten Organisation zur Seite zu springen. Und aus Reihen der CSU wird ein bundesweiter Gedenktag für die Vertriebenen gefordert (siehe hier) - immer mit dem Unterton des angeblichen Unrechts, welches hier der "deutschen Bevölkerung" insbesondere in der ehemaligen Tschechoslowakei zugefügt wurde.

Leider kommt bei der Geschichte regelmäßig etwas zu kurz, was alles zu der Geschichte beigetragen hat, wer hier die Opfer sind und was die Benesch Dekrete sind, auf die immer wieder zurückgegriffen wird.

Auch wenn es natürlich zynisch klingt, kann man durchaus sagen, dass die Deutschen "Heim ins Reich wollten" und Bensch dafür gesorgt hat. Hätte man die deutschen Maßstäbe für "Vaterlandverrat" angesetzt, hätten die Tschechen durchaus auch das Recht gehabt, die beteiligten Personen "an die Wand zu stellen". Diese Tatsache wird ja regelmäßig vergessen. Und auch, dass die Benesch Dekrete (jedenfalls das letzte - es gab hier verschiedene), die Deutschen explizit ausgenommen haben, die sich nicht am Naziterror beteiligt haben und eben nicht an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt haben.

Die Forderung, die Benesch Dekrete aufzuheben oder gar als illegitim darzustellen, würde praktisch das Handeln der Deutschen während der Zeit vor 1945 in der Tschechoslowakei legitimieren! So will man jedenfalls die Geschichtsschreibung ändern und man beginnt nicht zuletzt mit so einem Gedenktag. Hier darf auch nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass man natürlich auch die "von den Nazis" begangenen Gräueltaten bedauert (wobei da so getan wird, als wäre dies eine unbekannte dritte Kraft gewesen, die losgelöst wäre, von dem was die "deutschen Vertriebenen" waren).

Kann man sich vorstellen, das so ein Gedenktag wirklich auch auf Bundesebene eine Chance hätte? Und ist man sich hier überhaupt im Klaren, dass das ein Affront wäre - nicht nur gegen das heutige Tschechien?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich finde einen solchen Gedenktag schon gerechtfertigt. Immerhin handelt es sich hierbei um die größte Vertreibungsaktion in der Geschichte der Menschheit mit Millionen Toten und 15 Millionen Vertriebenen.
Man hat schlichtweg alle Deutschen im Osten für die Verbrechen der Nazis bestraft. Es gab im Osten Massenmord und Massenvergewaltigungen an Deutschen und auch dies ist ein Verbrechen.
Natürlich darf man auch der deutschen Opfer gedenken.

Es wäre doch sicher auch möglich, ein Gedenktag für alle Opfer des letzten Krieges zu machen. Warum geht es denn nicht auch so?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich bin gelinde gesagt erschüttert wenn du scheibst dass dieser Bund sich trifft um sich selbst Leid zu tun. Schade dass meine Oma nicht mehr lebt, sie musste mit ihren kleinen Kindern flüchten, die Tschechen und Russen vergewaltigten sie mehrfach, raubten sie aus, misshandelten die Kinder und so weiter. Die Oma meiner Frau kommt aus Pommern und berichtete Ähnliches.

Was können die Frauen und Kinder dafür? Das war einfach nur feige wehrlose Menschen derartig zu behandeln wenn niemand da ist der sie beschützt.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



hooker hat geschrieben:Was können die Frauen und Kinder dafür? Das war einfach nur feige wehrlose Menschen derartig zu behandeln wenn niemand da ist der sie beschützt.

Das ist vielleicht feige, aber es ist eben Krieg. Und die Russen haben nun nicht die Erfahrung gemacht, dass die Deutschen vorher besser mit ihren wehrlosen Frauen und Kindern umgegangen sind. Schön ist das sicherlich nicht, es ist auch nicht ehrenvoll, aber es ist verständlich und menschlich. So funktionieren Menschen in Ausnahmesituationen wie Krieg.

Und Leid ist keine Einbahnstraße. Wer vertrieben wurde, der hat gelitten. Dafür darf es auch ein Gedenken geben. Ab diesem Jahr gibt es in Deutschland einen bundesweiten Gedenktag für die Vertriebene. Und der soll generell das Thema aufgreifen und die Opfern auf der ganzen Welt anmahnen.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Juri1877 hat geschrieben:Es wäre doch sicher auch möglich, ein Gedenktag für alle Opfer des letzten Krieges zu machen. Warum geht es denn nicht auch so?

Ein Vorschlag, dem sich der Bund der Vertriebenen, die NPD, die CDU und alle mit der Schlussstrich-Haltung anschließen können. Es wird nur übersehen, dass das bedeutet, die Rollen zu verkehren und die Geschichte umzudeuten! Wer so denkt, verkennt Ursache und Wirkung. Wer so denkt, verhöhnt die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkriegs! Wer so denkt, erhebt die Täter zu Opfern. Geschichtsrevisionismus in Reinkultur. Das geht übrigens schon mit den von dir genannten Zahlen los - aber das sei jetzt nicht das Thema.

Juri1877 hat geschrieben:Schade dass meine Oma nicht mehr lebt, sie musste mit ihren kleinen Kindern flüchten, die Tschechen und Russen vergewaltigten sie mehrfach, raubten sie aus, misshandelten die Kinder und so weiter.

Niemand findet Anstoß daran, wenn hier auf die individuelle Trauer von Betroffenen verwiesen wird. Natürlich hat auch die Familie eines Wehrmachtssoldaten das Recht, um den gefallenen Sohn zu trauern - selbst wenn der z.B. mit seinen Kameraden nach der Eroberung einer ostpolnischen Stadt dort in einer Schule Kinder und Alte zusammengetrieben und anschließend das Gebäude angezündet hat. Fakt ist aber, dass diese Trauer nicht geeignet ist, im Kollektiv zur Schau gestellt zu werden - insbesondere nicht als offizieller Trauertag. Das würde völlig außer Acht lassen, dass eben der Soldat hier den Angriff geführt hat und bewusst sein Leben riskiert hat - anders als die überfallene Bevölkerung.

Wenn man sich jetzt überlegt, dass die deutsche Minderheit in diesen Gebieten hier unterstützt hat (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien), dann kann dies - gemessen an der Gesetzgebung in Deutschland - als Vaterlandsverrat gesehen werden. Schließlich waren diese "Volksdeutschen" Staatsbürger dieser Staaten. Statt der Vertreibung wäre auch die Ermordung denkbar gewesen. Aber dies hatte Benesch ja mit seinen Dekreten explizit nicht gewollt. Und in den Benesch Dekreten zur Rückführung sind all jene Deutsche EXPLIZIT ausgenommen, die sich nach der Invasion der Deutschen NICHT bereichert haben. Das wird gerne übersehen, wenn es um die Kritik der Vertreibung geht. Ebenso, dass mit dem Vorrücken der Wehrmacht die ursprüngliche Bevölkerung von der Wehrmacht vertreiben wurde.

Dann stellt man sich die Frage, wie hier die Stimmung z.B. innerhalb der Roten Armee bzgl. der deutschen Bevölkerung war, wenn Soldaten der Roten Armee bei ihrem Vormarsch das Ergebnis der "verbrannten Erde" haben sehen müssen. Das soll nichts rechtfertigen und z.B. Vergewaltigungen sind schlicht ein Verbrechen. Und innerhalb der Armee der UdSSR wurden sehr wohl Soldaten auch hart bestraft, die sich an solchen Verbrechen beteiligt hatten.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Die Forderung, die Benesch Dekrete aufzuheben oder gar als illegitim darzustellen, würde praktisch das Handeln der Deutschen während der Zeit vor 1945 in der Tschechoslowakei legitimieren!

Das stimmt doch nicht. Den Deutschen, die da gelebt haben, gehörten die Grundstücke auch schon vorher. Selbst wenn es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben hätte, wären das die Grundstücke derjenigen Deutschen gewesen, die etwa im Sudetenland gelebt haben. Und dieses Gebiet wurde dann einem anderen Staat zugerechnet. Es hat als ein Wechsel der offiziellen Nationalität stattgefunden, der eigentlich nichts an den Grundstückseigentümerschaften geändert hat.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Zugehörigkeit der Region zu einem Staat wieder gewechselt. Eigentlich hätte auch das die Eigentümerschaft der Grundstücke nicht beeinflussen dürfen, die Grundstücke gehörten genau wie vor und während des Krieges den Deutschen die da lebten. Aber nun wurden sie aus Rache enteignet.

Wer so denkt, verhöhnt die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkriegs! Wer so denkt, erhebt die Täter zu Opfern.

Du tust so als wären alle Deutschen Täter gewesen. Das kann man doch echt nicht behaupten. Es war eine gewisse Menge an Menschen, die das System so unterstützt haben, aber genau wie heute interessierten sich bestimmt auch damals die meisten nicht wirklich für Politik und haben unabhängig davon, welche Politik gerade um sie herum gemacht wird, so ihr Leben vor sich hin gelebt. Es gibt da doch keine Kollektivschuld.

Es hat doch nicht jeder Deutsche irgendwelche Verbrechen begangen, das war doch nur ein kleiner Teil. Aber es wurden eben alle Deutschen aus den betroffenen Gebieten vertrieben und nicht gerade nett behandelt.

Das würde völlig außer Acht lassen, dass eben der Soldat hier den Angriff geführt hat und bewusst sein Leben riskiert hat - anders als die überfallene Bevölkerung.

Da tust du auch wieder so, als ob jeder einzelne Soldat irgendwelche Verbrechen begangen hätte. Das hat es gegeben, aber da sich die Männer damals meines Wissens nach nicht aussuchen konnte, ob sie Kriegsdienst leisten möchten, sondern mussten, kann man nicht jedem Soldaten unterstellen, dass er Freude an Verbrechen hatte oder welche begangen hat. Vielleicht haben die meisten nur versucht heil wieder nach Hause zu kommen.

Wenn man sich jetzt überlegt, dass die deutsche Minderheit in diesen Gebieten hier unterstützt hat (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien), dann kann dies - gemessen an der Gesetzgebung in Deutschland - als Vaterlandsverrat gesehen werden.

Auch hier denke ich, dass die meisten einfach nur in Ruhe leben wollten und es vielleicht ganz gut gefunden hätten, wenn sie offizielle Deutsche sind, das würde ich nicht als etwas Schlimmes ansehen. Du machst immer aus einfachen Leuten irgendwelche Verbrecher. Das ist so eine extremistische Betrachtungsweise die ich absolut nicht gut finde.

Das wird gerne übersehen, wenn es um die Kritik der Vertreibung geht. Ebenso, dass mit dem Vorrücken der Wehrmacht die ursprüngliche Bevölkerung von der Wehrmacht vertreiben wurde.

Es können aber die später Vertriebenen nichts dafür, was andere vorher in anderen Längern gemacht haben. Das ist nicht deren Schuld.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


derpunkt hat geschrieben:
Juri1877 hat geschrieben:Schade dass meine Oma nicht mehr lebt, sie musste mit ihren kleinen Kindern flüchten, die Tschechen und Russen vergewaltigten sie mehrfach, raubten sie aus, misshandelten die Kinder und so weiter.




Das Zitat stammt von hooker und nicht von mir!

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ja, das wollte ich auch gerade richtig stellen. Diese Oma hatte exakt 15 Minuten Zeit um ihre Kinder zu schnappen und einen Nachtschrank mit Lebensmittel zu packen den sie auf dem Rücken trug. Den gibt es heute noch zur Erinnerung. Sie hatte immer hart beim Bauern gearbeitet und sich nie bereichert und wurde trotzdem vertrieben.

Bei der anderen Oma aus Pommern vergass ich noch zu erwähnen dass ihre kleine Schwester erst nach der Schneeschmelze mit entblößtem Unterkôrper gefunden wurde. Die Russen und Polen nahmen sich was sie wollten und nicht immer ging es um Rache sondern um Bereicherung oder einfach nur sexuelle Gier oder um Machtdemonstrationen.

Und das Argument das so etwas von so was kommt ist für mich nicht haltbar. Gerade die Polen taten einiges um einen Krieg zu provozieren, Stichwort Zugang Danzig. Auch wenn unsere Lieblingskanzlerein für immer und ewig die deutsche Alleinschuld in die Geschichtsbücher schrieben ließ, das ist nicht so und wird auch durch etliche Historiker belegt.

Ein anderes Kapitel sind die auf beiden Seiten verübten Kriegsverbrechen, so etwas war schon immer strafbar und ich finde so etwas furchtbar.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


@Juri1877 und @hooker: für das falsche Zitieren bitte ich um Entschuldigung. Das passiert, wenn man nicht noch einmal drüber schaut. Soll so nicht wieder vorkommen!

hooker hat geschrieben:Diese Oma hatte exakt 15 Minuten Zeit um ihre Kinder zu schnappen und einen Nachtschrank mit Lebensmittel zu packen den sie auf dem Rücken trug.

Das sehe ich auch als dramatisch an und würde es natürlich auch als Verbrechen sehen. Diesen Hergang aber losgelöst davon zu sehen, wie viel Zeit die Wehrmacht der polnischen Bevölkerung gelassen hat, die sich den Besatzern nicht ergeben wollten, gehört in den Bereich der Geschichtsfälschung!

hooker hat geschrieben:und nicht immer ging es um Rache sondern um Bereicherung oder einfach nur sexuelle Gier oder um Machtdemonstrationen.

Und das solche Verbrechen passiert sind, wir durch zahlreiche Verurteilungen von Sowjetsoldaten belegt, welche vor sowjetischen Gerichten gefällt wurden. Natürlich ist Stalin in vielen Bereichen ein Verbrecher gewesen. Aber solche Taten wurden auch durch ihn nicht legitimiert.

hooker hat geschrieben:Gerade die Polen taten einiges um einen Krieg zu provozieren, Stichwort Zugang Danzig.

Die Frage der Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu stellen, mag naiv aber nicht verboten sein. Natürlich darf sie gerne von jedem hinterfragt werden. Aber solche Schlussfolgerungen (gerne mit dem Gipfel des Präventiven Schlags gegen die Sowjetunion - ähnliches Kaliber) werden eigentlich nur in dunkelbraunen Kreisen gezogen.

Dabei muss man sich nur die Frage stellen, was - insbesondere nach den Ereignissen die zum Ersten Weltkrieg geführt haben - einen Krieg rechtfertigen könnte. Nebenbei gibt es durchaus klare Belege, dass von Deutsche Seite der Kriegt gegen Polen gut vorbereitet war – die polnischen Reiterheere aber wohl noch nicht wirklich damit gerechnet haben, dass die Deutschen ab jetzt zurück schießen würden.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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