"Aus Versehen" als Entschuldigung für alles nutzen?

Ich hatte einmal eine Freundin, wobei die Freundschaft irgendwann im Sand verlaufen ist. Wir hatten uns öfter gestritten, was aber zum großen Teil mit ihrem extremen Gebrauch von dem Wort "Versehen" zusammenhing. Sie nutze den Ausdruck "aus Versehen" immer als Entschuldigung, egal was passiert war. Das nervte mich nach einiger Zeit wirklich so extrem, dass wohl auch die Freundschaft deshalb kaputt gegangen ist.

Wenn sie beispielsweise zu spät zu einem Treffen kam, drückte sie sofort auf die Tränendrüse und meinte, das sei ein Versehen, weil sie nicht auf die Uhr geschaut hatte. Genauso war es auch, wenn sie mich ganz versetzt oder wenn sie irgendwelche Sachen von mir kaputt gemacht hatte. Sie pochte dann extrem darauf, dass es ein Versehen war, und dass ich ihr deshalb nicht böse sein dürfte. Immerhin sei es ein Versehen von ihr gewesen und sie hätte es ja nicht mit Absicht gemacht.

Im Endeffekt war dann quasi immer ich die Dumme, weil ich sie beschuldigte, obwohl sie immer nur alles "aus Versehen" gemacht hatte. Ich kam mir richtig blöd vor, da sie sofort auf die Verteidigungsschiene setzte und "aus Versehen" als Entschuldigung für alles verwendete.

Kennt ihr auch Leute, die den Ausdruck "aus Versehen" als Entschuldigung für alles verwenden? Wie sollte man in so einem Fall reagieren?

So etwas kann ich nicht verstehen und ich sehe es ein, dass es dich total genervt hat. Sicher kann einem versehentlich mal etwas passieren, aber immer würde ich das nicht so sagen. Natürlich wird man nicht unbedingt extra zu spät zu einer Verabredung kommen, aber man ist es doch immerhin selber schuld. Wenn man diese Schuld nicht eingestehen kann, dann finde ich, dass das nicht gerade von Charakterstärke zeugt.

Ich kenne mittlerweile niemanden mehr, der so reagiert und darüber bin ich auch froh. Ich komme auch viel besser damit zurecht, wenn mir jemand direkt sagt, dass er Mist gebaut und nicht auf die Uhr gesehen hat, weil er abgelenkt war. Damit kann ich leben, weil es bedeutet, dass derjenige sich bewusst ist, dass es nicht in Ordnung war, mich zu versetzen. Aber wenn jemand darauf beharrt, keine Schuld zu haben, weil es doch ein Versehen war, dann sehe ich das vor allem auf Dauer auch nicht ein.

Es wäre ja schön, wenn "das habe ich nicht mit Absicht gemacht" als Universal-Entschuldigung funktionieren würde. Nur leider sieht es im wirklichen Leben ganz anders aus. Nicht umsonst gibt es auch im deutschen Rechtssystem den Begriff "Fahrlässigkeit", sodass man auch dann bestraft wird, wenn man "aus Versehen" jemanden beispielsweise über den Haufen fährt oder Sachbeschädigung begeht.

Außerdem ist "aus Versehen", wie du schon erkannt hast, ein sehr dehnbarer Begriff und eignet sich schon deshalb nicht als Entschuldigung. Es kommt ja schließlich kaum jemals vor, dass jemand beispielsweise mit Absicht zu spät kommt oder ein geliehenes Buch verbummelt und das dann auch noch zugibt. Die meisten kleinen Ärgernisse des Alltags passieren "aus Versehen", und das heißt ja noch lange nicht, dass man sich dafür nicht entschuldigen muss, wenn jemand anderem daraus Unannehmlichkeiten entstanden sind.

Ich nehme einfach mal an, dass die Dame noch sehr jung war und die Erfahrung gemacht hat, dass sie mit ihren Mitmenschen umspringen kann, wie sie will, wenn sie hinterher ein bisschen rumjammert und darum bettelt, man möge ihr bitte nicht böse sein, weil sie es ja auch nicht "böse" gemeint hat. Viele Menschen kommen mit vergleichbaren Strategien relativ weit, aber irgendwann wird vielleicht ein Chef oder eine Verkehrspolizistin nicht darauf eingehen, dass die gute Frau "nicht mit Absicht" 20000 Euro veruntreut oder eine rote Ampel ignoriert hat, und dann wird es interessant.