Wie viel Unselbstständigkeit im Alltag ist noch normal?

vom 24.04.2015, 08:48 Uhr

Eine meiner Schwägerinnen ist ein paradoxes Phänomen. Einerseits ist sie sehr selbstständig und macht viele Dinge im Alleingang. Andererseits ist sie wegen Kleinigkeiten überfordert und weiß nicht, was sie tun soll.

Das fängt beispielsweise im Alltag an. Ihr Mann und sie haben dieselbe Arbeitsstelle, aber unterschiedliche Arbeitszeiten. So muss er regulär arbeiten, während sie auf Minijob-Basis die Firma putzt. Ihre genauen Arbeitszeiten kenne ich nicht, aber ich habe genug mitbekommen um zu wissen, dass diese sich mit ihrem Mann teilweise überschneiden und sie am frühen Nachmittag hin muss. Ihr Mann nimmt morgens das einzige Auto zur Arbeit und wenn sie am späten Vormittag dann aufsteht, ist sie überfordert und weiß nicht wie sie zur Arbeit kommen soll. Mit dem Bus fahren will sie nicht aus irgendwelchen Gründen, mit dem Fahrrad will sie auch nicht fahren.

Stattdessen ruft sie dann immer meinen Freund an oder unseren Schwiegervater ob man sie nicht zur Arbeit fahren könnte. Eine alternative Lösung wäre ja, dass sie früher aufsteht, ihren Mann zur Arbeit fährt und anschließend wieder nach Hause fährt, damit sie später das Auto auf dem Weg zur Arbeit nutzen könnte. Ihr Mann könnte dann nach Hause fahren und sie später abholen. So würden die beiden das ganze selbstständig regeln und keine anderen Menschen in ihre Probleme mit hineinziehen. Auf so eine Idee kommen die aber in über 15 Jahren nicht und es ist jedes Mal das gleiche. Mein Freund ist schon tierisch genervt davon, was ich verstehen kann.

Meine Schwägerin ist außerdem auch komplett überfordert, wenn sie einen Brief bekommt. Wenn sie beispielsweise einen Brief aus der Schule bekommt, in dem ausdrücklich steht, wann und wo Elternsprechtag ist, dann ruft sie verzweifelt meine Schwiegermutter an und weiß nicht, was sie tun soll. Wir sprechen hier wohl bemerkt von einer Frau, die schon seit über 20 Jahren in Deutschland ist, hier auch zur Schule ging und der solche Phänomene eigentlich bekannt sein müssten.

Vor kurzem bekam sie auch einen Brief von der Schule, der über irgendwelche „Girl's Days“ informieren sollte bei dem Mädchen mit Männerberufen vertraut gemacht werden sollen. Es stand alles auf dem Zettel drauf, aber dennoch hat sie die halbe Umwelt damit belästigt, was sie bitte tun soll. Am Ende stellte sich heraus, dass alles genauso auf dem Zettel stand und sie ihr Umfeld gar nicht hätte belästigen müssen, wenn sie den Zettel nur gelesen hätte. Dementsprechend ist beispielsweise mein Freund immer sehr genervt, wenn die schon wieder anruft und irgendetwas will. Einzige Ausnahme ist, wenn es sich um technische Probleme mit dem Computer handelt.

Ich hatte schon die Theorie aufgestellt, dass meine Schwägerin in ihrer Kindheit zu wenig Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen hat und deswegen jetzt den innerlichen Drang hat, das alles nachzuholen. Sie stammt aus einer Problem belasteten Familie, in der der Vater Alkoholiker war und die Eltern sich oft gestritten haben. Möglicherweise ruft sie deswegen so oft um Hilfe, weil sie das Gefühl nicht kennt, dass man sich unterstützt wenn man Hilfe braucht und dass man im Normalfall auch da ist und sich in einer Familie nicht nur mit sich selbst beschäftigt und alles andere vernachlässigt.

Dennoch finde ich es maßlos übertrieben, wenn man mit dieser Unselbstständigkeit dermaßen übertreibt und dann wirklich wegen jedem „Piep“ die ganze Telefonliste abarbeitet um Hilfe zu bekommen. Gerade bei den oben genannten Beispielen kann man auch gut alleine zurecht kommen wie ich finde.

Wie seht ihr das? Findet ihr das noch normal? Wie viel Unselbstständigkeit und Hilflosigkeit ist in euren Augen für einen Erwachsenen im Alltag noch normal und warum?

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich kann verstehen, dass euch das nervt. Ich würde irgendwann auch mal was sagen. Schließlich müssen andere Leute auch sehen, wie sie von A nach B kommen. Früher hatte ich einmal eine Stelle, welche vierzig Kilometer entfernt war. Als mir da einmal das Auto versagte, konnte mich auch keiner fahren. Dann heißt es eben Bus und Bahn benutzen.

Nicht erlernte Selbständigkeit hat aber viel mit Erfahrungen in der Kindheit zu tun. Das ist Job der Eltern, es ihren Kindern beizubringen.

Wenn ich etwas nicht weiß, schaue ich erst irgendwo nach, eventuell auch im Internet. Wenn das nicht hilft, frage ich meinen Partner. Aber meist lässt sich eine Lösung irgendwo finden. Man kann auch manche Dinge einfach versuchen, statt hilflos davor zu stehen. Das hat auch den sogenannten Aha-Effekt und man weiß das nächste Mal besser, wie man bestimmte Dinge am besten angehen sollte.

» YariXxX » Beiträge: 635 » Talkpoints: 21,58 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Normal finde ich solche Dinge sicher nicht und ich würde in so einem Moment auch meinen, dass man mit solchen Dingen, wie du sie hier beschrieben hast, alleine zurecht kommen sollte. Woher eine solche Unselbstständigkeit kommt, das weiß ich nicht, aber ich muss sagen, dass ich von einem solchen Verhalten auch ziemlich genervt wäre, wenn ich solchen Menschen bei einfachen Briefen helfen oder diese durch die Gegend fahren müsste.

Das würde ich vielleicht ein- oder zweimal mitmachen und dann würde ich aber etwas dazu sagen. Wenn es Busse gibt, mit denen diese Frau zur Arbeit kommen kann, dann würde ich mich nicht immer wieder bereit erklären, sie zur Arbeit zu fahren. Irgendwie muss man es solchen Menschen doch mal klar machen, dass sie solche Dinge selber klären müssen.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



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