Unterversorgung mit Notfallsets für Allergiker

vom 15.03.2015, 17:30 Uhr

In einem anderen Beitrag über Allergien wurde eine dramatische Unterversorgung mit Notfallmedikamenten angesprochen. Knapp 75 % der Allergiker hätten kein Notfallset verschrieben bekommen.

Ich fand diese Zahl sehr verwunderlich. Ich habe vor drei Jahren heftig auf einen Bienenstich reagiert. Als ich daher zum Arzt ging, habe ich sofort ein Notfallset verschrieben bekommen. Also nur aufgrund der Schilderung. Die Allergie war noch nicht durch einen Bluttest bestätigt worden.

Und es war auch gar nicht teuer. Ich muss nur ein bisschen Zuzahlung leisten. Es sind drei Medikamente, ich glaube, bei zweien zahle ich fünf Euro zu, bei der Adrenalinspritze 10 Euro. Da kann ich mir gar nicht richtig vorstellen, dass sich so viele Ärzte mit dem Verschreiben von Notfallmedikamenten so zurückhalten.

Wie gesagt, ich bin gegen Bienengift allergisch. Wenn ich also gestochen wurde, kann ich dem Gift nicht mehr entgehen. Bei einer Tierhaarallergie ist das ja beispielsweise anders. Da hilft es bestimmt, an die frische Luft zu gehen, sich von dem Tier zu entfernen, sich die Kleider vom Leib zu reißen oder was auch immer nötig ist. Aber dennoch fängt der Körper doch an, zu reagieren. Das lässt sich nicht aufhalten. Dann muss man in die Notaufnahme oder einen Krankenwagen rufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das billiger ist, als einfach alle Allergiker mit Notfallsets auszustatten.

Warum besteht also so eine Unterversorgung von Allergikern mit Notfallsets? Gibt es da nicht reihenweise Todesfälle, die vermeidbar gewesen wären? Warum halten sich die Ärzte mit dem Verschreiben so zurück?

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Bei einer Allergie gegen Pollen oder Tierhaare kannst du der aktuell einsetzenden Reaktion auch nicht mehr entgehen, wenn die Asthma hast. Denn die Allergene sind bereits tief in der Lunge. Dort lagern sie sich einerseits ab, andererseits können sie wegen der einsetzenden Verengung gar nicht mehr ausgeatmet werden. Allerdings wird in so einem Fall kein Adrenalin benötigt. Starke allergische Reaktionen sind immer kritisch, ein besser oder schlechter gibt es nicht. Nur die Behandlung ist anders.

Dein Notfallset ist aber bei Weitem nicht so günstig, wie du meinst. Die beiden Medikamente mit der Zuzahlung von 5 Euro sind günstig. Der Pen mit einer Zuzahlung von 10 Euro kostet allerdings mindestens 100 Euro. Wenn du jetzt bedenkst, dass einem Hausarzt für jeden Patienten nur rund 40 Euro für unter 60-jährige und rund 120 Euro für über 60-jährige für Medikamente pro Quartal zustehen, verstehst du die Unterversorgung.

Es geht hier absolut nicht darum, was billiger ist. Es ist ganz einfach so: Überschreitet ein Arzt sein Budget, dann muss er die Mehrkosten als Strafzahlung aus eigener Tasche leisten. Dabei ist vollkommen egal, ob er nur Kleinigkeiten behandelt oder ob seine Patienten schwer krank sind. Er kommt aus der Nummer auch nicht über Mehrarbeit heraus. Denn er wird nur für eine bestimmte Anzahl Kassenpatienten bezahlt.

Behandelt er mehr Patienten, weil er beispielsweise in einem Gebiet mit Ärztemangel lebt, dann wird diese Mehrarbeit nicht vergütet. Und das Budget für Medikamente, Hilfsmittel oder Heilbehandlungen wird ebenfalls nicht größer. Dann teilen sich eben noch mehr Patienten diese Summe. Beispielsweise stehen einem Arzt für Laboruntersuchungen weniger als 2 Euro pro Quartal zu Verfügung. Da kann nur noch bei denen Blut genommen werden, wo es gar nicht anders geht.

Daher muss der Arzt zusehen, wie er zurecht kommt. Denn wenn der Patient mit den Notarzt in Klinik muss, dann ist das zwar für das Gesundheitssystem teurer, aber es belastet nicht das Budget des Arztes. Und der muss zusehen, wie er zurecht kommt. Denn hier gibt es beispielsweise pro Patient weniger als 25 Euro pro Quartal und die Scheinzahl (das ist die Zahl der erlaubten Patienten) der Praxen liegt immer bei so rund 1.100.

Damit kann ein Hausarzt hier in der Region pro Monat über Kassenpatienten rund 9.000 Euro Einnehmen. Und jetzt rechne die Kosten und Gehälter ab. Wovon soll er mögliche Strafzahlungen leisten? Er kann froh sein, wenn er sich selbst ein Gehalt auszahlen kann. Er braucht iGel Leistungen und Privatpatienten, sonst kann er den Laden zumachen. :wall:

Ja, unser Gesundheitssystem ist zu teuer. Aber das liegt daran, dass Patienten hin- und hergeschoben werden, damit die Kosten an anderer Stelle anfallen. Guck dir mal unsere Krankenhäuser hier an. Da werden Senioren im Sterbeprozess ohne Arztbrief, ohne ihre Sachen und ohne Anmeldung zurück ins Altenheim gekarrt, damit sie bloß nicht im Krankenhaus sterben. Schließlich kämpft man mit niedrigen Sterbezahlen gegen die anderen Häuser in der Umgebung um neue Patienten. Das ist entwürdigend und teuer, aber das System fordert es.

Altenheime finden keine Ärzte mehr, die die Dauerkatheter der Bewohner wechseln, weil die Anfahrt zu weit und die Vergütung zu schlecht ist. Dann liegen da Bewohner, denen der Urin aus dem Bauch läuft, tagelang rum. Und das Personal tut trotz Zeitmangel, was es kann. Denn diese Leistungen sehen die engen Zeitvorgaben der Pflegekasse nicht vor. :wall:

» cooper75 » Beiträge: 13433 » Talkpoints: 520,19 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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