Beinflusst die Erziehung das ganze Leben?

Ich habe eine kleine Schwester und ich finde es schon sehr extrem, wie oft ich einfach Züge von mir, bei ihr sehe. Also sie macht wirklich sehr viele Sachen so, wie ich sie damals gemacht habe. Ich finde das natürlich dann amüsant, allerdings sind es halt auch oft Sachen, die nicht so positiv sind.

Seien es Lügen, die die Schule betreffen oder auch wenn sie Mal bockig ist. Ich weiß ja, dass mich solche Sachen im Leben nicht weitergebracht haben und probiere sie dann immer darauf hinzuweisen, dass sie etwas auch anders und somit besser machen kann. Allerdings hört sie nicht wirklich auf mich.

Ich habe dann letztens mit einem Freund darüber geredet, da er auch eine kleine Schwester hat. Ich habe ihm das auch so mitgeteilt und er hat genau das gleiche Problem. Ihn stört es allerdings noch mehr als mich, da er sagt, dass die Erziehung sich auf das ganze Leben wiederspiegelt. Und er möchte natürlich, so wie ich, nur das Beste für seine kleine Schwester.

Ich bin allerdings nicht zu hundert Prozent seiner Meinung. Klar ist es so, dass die Erziehung vieles ausmacht, aber wenn ein Kind, gerade in der Entwicklung, besondere Interessen hat oder sich mit anderen Kindern umgibt, entwickeln sie sich ja auch selber. Und das dann, so sehe ich das, unabhängig von der Erziehung.

Wie steht ihr zu diesem Thema? Würdet ihr meinem Freund voll Recht geben oder seid ihr eher meiner Meinung?

Sicher beeinflusst auch die Erziehung das ganze Leben. Aber was du schilderst ist, denke ich ziemlich normal und wenn du dir ein anderes Kind anschaust, wird es fast identische Züge haben. Trotz und bockig sein gehört einfach zur Entwicklung dazu. Kinder schauen sich auch sehr vieles ab, ohne dass die Eltern es anerziehen. Wenn deine kleine Schwester deine Züge gut beobachtet hat, wird sie es auch nachahmen. Auch was die Eltern machen wird auch irgendwann nachgeahmt ohne dass die Eltern da groß diese Eigenschaft anerzogen haben.

Die Erziehung meiner Mutter hat mich sehr geprägt. Ich möchte nie so werden wie sie und das ist eine Prägung, die ich auch bei meinen Kindern weiter gegeben habe. Denn ich habe meine Kinder zum großen Teil sehr viel anders erzogen als meine Mutter mich erzogen hat und das ist auch gut so.

Aber sicher wird es auch oft so sein, dass Kinder die Erziehung, die sie genossen haben weiter geben und dann kann es positiv als auch negativ sein. Wenn ein Kind auch mit Scham aufgewachsen ist und sich niemals freizügig zeigen durfte oder die Eltern immer bekleidet durch die Wohnung gegangen sind und womöglich noch Türen hinter sich immer geschlossen haben, wird es auch schwer sein, dass ein Kind sich im Erwachsenenalter öffnet. Ein Kind aber, was mit den Eltern schon von klein auf beim FKK war, wird da offener sein.

Ein Kind verbringt die meiste Zeit des Lebens im Elternhaus. Es schaut sich bei den Eltern und den Geschwistern einiges ab und die Erziehung macht den Rest. Wenn sie dann selbstständiger werden, dann werden, auch oft unbewusst, die Freunde nachgeahmt und sind Vorbild.

Klar beeinflusst einen die Erziehung sehr nachhaltig. Allerdings gestaltet sich das etwas kompliziert. Man kann nämlich nicht sagen, wenn die Eltern so erziehen, wird das Kind so. Es kann auch sein, dass das Kind genau das Gegenteil macht, weil es immer darunter gelitten hat oder weil es halt einfach aus seiner Erziehung ausbrechen will.

Ich übernehme mal das Beispiel von Diamante mit den sehr verschlossenen Eltern und den FKK-Eltern. Kinder von verschlossenen Eltern können später ebenso verschlossen und gehemmt sein. Sie könnten aber auch alles nachholen, wenn sie selber entscheiden können und die totale Freizügigkeit leben. Ebenso können Kinder von FKK-Eltern es hassen, dass sie ständig gezwungen waren, unter Nackten zu leben und sind dann später sehr zugeknöpft, weil sie einfach für ihr Leben genug haben.

Und so ist das bei allem. Es gibt kein eindeutiges Schema. Kinder sind individuell und haben ihren eigenen Charakter, der auch ganz viel mitbestimmt. Die Erziehung ist eben nicht der einzige Faktor. Wie ein Mensch wird, hängt auch noch von etlichen anderen Dingen ab.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man es kaum beeinflussen kann als Eltern oder Geschwister. Das kann man natürlich in hohem Maße. Nur lässt es sich nicht immer so klar vorhersehen. Und was du da über eure kleinen Schwestern schilderst, ist wirklich ganz normal. Diese Erfahrungen könnt ihr euren Schwestern auch nicht abnehmen.

Sie sind nicht bockig, weil sie dumm sind. Sie wissen ganz genau, dass es wohl eher zu negativen Folgen führt. Aber die Frage ist, zu welchen Folgen genau. Sie testen ihre Grenzen aus. Und das ist enorm wichtig. Man kann ihnen nicht einfach sagen, wo ihre Grenzen liegen und dann geben sie sich mit der Theorie zufrieden.

Sie müssen sich selber langsam an diese Grenzen herantasten und wollen wissen, wie ihre Eltern wirklich auf dieses oder jenes Verhalten reagieren. Das ist sehr wichtig für die Entwicklung. Und das muss man mit jedem einzelnen Kind auf ein Neues durchmachen.

Das möchte ich doch hoffen, sonst wäre doch die ganze jahrelange schöne Erziehungsarbeit völlig umsonst gewesen. Ob nun wirklich bei der Erziehung der Kinder alles gut und nachahmenswert war lasse ich dabei einmal völlig freigestellt, das muss jeder mit sich selber abmachen. Sicherlich spielen auch Freunde und das sonstige Umfeld eine Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung, aber ich glaube nicht das im Normalfall so etwas entscheidend ist.

Wenn unser Sohn bei uns zu Besuch ist erkenne ich die Handschrift unserer Erziehung immer sofort wieder. Das können Kleinigkeiten sein wie beispielsweise dass das Geschirr abgeräumt und in den Spüler gesteckt wird oder die Tür hinter sich geschlossen wird oder eben bei den wirklich wichtigen Dingen wie freies Denken und das Verhalten zu anderen Menschen. Ich hoffe dass er so bleibt und sich auch noch weiterentwickelt und dass dann auch so an seine späteren Kinder weiter gibt.

Ich würde sogar so weit gehen dass ich sage dass die Erziehung auch das Verhalten der folgenden eigenen Generationen beeinflusst. Bestes, allerdings negatives Beispiel, ist immer noch ein Freund von mir mit dem ich damals gemeinsam die Schule besuchte. Ich kannte seinen Vater der ein hartes Regime zu Hause anschlug. Die Kinder durften absolut nichts, keine Freunde mitbringen, keine Kindergeburtstage, Prügel mit dem Lederriemen und so weiter. Genau diese Dinge machte er auch mit seinem Sohn, und das in der heutigen Zeit.

Mein Vater war mit seinem Vater auch gemeinsam in einer Klasse und er erzählte dass er dort auch schon ziemlich unberechenbar war und auch viel Unfug trieb. Seine Eltern waren auch sehr hart zu ihm, die Erziehung die er dort genoss hatte er dann 1:1 an seine Kinder weitergegeben. Auch seine Ansichten über Frauen und die Rolle des Mannes als Patriarch und Familienoberhaupt schien noch aus einem anderen Zeitalter zu kommen.

Was soll ich sagen, mein Freund ist genauso zu seiner Frau und seinem inzwischen Volljährigen Sohn. Nur er sucht den Urlaubsort aus (es geht immer in denselben Ort) und er bestimmt was gemacht wird weil er das Geld nach Hause bringt. Der Sohn ist zwar schon außer Haus, aber er ist zuweilen auch ihm im Charakter sehr ähnlich, auch wenn er nie so werden wollte wie sein Vater. Anscheinend prägt so etwas doch für das Leben und man muss schon sehr stark sein um nach einem Auszug das alles über Bord werfen zu können.