Als Nazi-Opfer vorurteilslos über Deutsche sprechen?

vom 27.02.2015, 20:36 Uhr

Meine Urgroßmutter wohnte in einem sehr kleinen Dorf, ihre Nachbarn war eine alte Frau die im zweiten Weltkrieg einige Monate in Ausschwitz verbracht hat und dort im letzten Moment gerettet wurde. Meine Urgroßmutter war von Zeit zu Zeit bei uns in Deutschland zu Besuch und wenn wir zu ihr zu Besuch kamen, so konnte man der Nachbarin immer anmerken, dass sie Deutsche nicht mochte und immer sehr schlecht über sie redete.

Eine Freundin von mir hat Familie in den Niederlanden, auch aus dieser Familie sind Menschen den Nazis zum Opfer gefallen. Die Familie versteht warum der Sohn nach Deutschland ausgewandert ist, redet aber dennoch häufiger schlecht über die Deutschen und verbindet das Land immer noch mit den Nazis.

Meine Freundin erzählt mir häufiger davon und sagt dann aber auch jedesmal, dass man nicht erwarten kann, dass Menschen die so schlechte Erfahrungen gemacht haben einer Nation vorurteilslos entgegenstehen, die dafür verantwortlich war, auch wenn heute im Grunde keiner mehr lebt, der dafür verantwortlich war. Es ginge um die Grundeinstellung der Deutschen und die Tatsache, dass diese zu diesen Taten bereit waren.

Ich selbst sehe das anders, schließlich ist kein Volk geschichtlich betrachtet heilig und schuldlos. Aber das es immer noch viele Menschen gibt die Probleme mit Deutschen haben verstehe ich irgendwo, besonders seit Dinge wie Pegida aufgekommen sind. Könnt ihr verstehen warum Menschen die in der Familie schlechte Erfahrungen mit Nazis gemacht haben damit auch heute noch Probleme haben? Wie würdet ihr auf Vorwürfe reagieren?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich finde das sehr schwierig. Ich kenne zwar keine Nazi-Opfer oder Nachfahren von Nazi-Opfern kann aber ein ähnliches Beispiel aus der Familie finden.

Mein Urgroßvater wurde damals während dem zweiten Weltkrieg nachts aus dem Schlaf gerissen und von irgendwelchen Sowjet-Soldaten verschleppt. Er ist nie wieder lebend gesehen worden, wurde vermutlich gefoltert und getötet und meine Urgroßmutter musste ihre vier Söhne alleine mitten im Krieg großziehen. Mein Großvater war damals noch ein Kind, er spricht aber heute noch sehr abwertend und negativ über Russen, weil die Russen mein Volk damals sehr stark diskriminiert haben und wir viele Nachteile zu befürchten hatten nur dadurch, dass wir existierten.

Es ist eben schwer zu begreifen, dass die Russen heute nichts mit den Russen damals zu tun haben. Wie du schon sagst, kein Volk ist historisch betrachtet ein Unschuldsengel. Mein Vater ist nicht so radikal mit seinen Ansichten, was die Russen angeht und ich bin noch "aufgeweichter" und habe noch nie irgendwelche schlechten Erfahrungen mit dieser Volksgruppe gemacht. Ich denke schon, dass man sich von den Erfahrungen der Vorfahren distanzieren kann, sofern man das möchte. Man muss es eben nur zulassen.

Auch wenn mein Beispiel mit dem Thema Nazis und deren Verbrechen zu tun hat, finde ich schon, dass man hier Parallelen erkennen kann. Schließlich geht es doch um negative Erfahrungen, die Vorfahren mit bestimmten Volksgruppen gemacht haben, die dann aber an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben werden. Ich muss ehrlich sagen, dass diese Vorurteile gegenüber Russen, die meinen Großvater stark geprägt haben, nie auf mich übertragen wurden. Ich habe schließlich meinen eigenen Kopf und kann selbst denken und nur weil es ein paar Idioten gibt, ist noch lange nicht das ganze Volk schlecht.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Könnt ihr verstehen warum Menschen die in der Familie schlechte Erfahrungen mit Nazis gemacht haben damit auch heute noch Probleme haben? Wie würdet ihr auf Vorwürfe reagieren?

Ja ich kann es verstehen. Ich selbst könnte nicht einfach verzeihen oder vergessen. Zumindest als Opfer nicht. Als Angehöriger würde ich es eventuell anders sehen? Ich weiß es nicht, da ich noch nie in der Lage war. Ich aber Erfahrungen in meinem Leben gemacht haben, die mich so sehr geprägt haben, dass ich den Menschen, die ich als Täter ansehe, nicht wirklich verzeihen kann. Sehr zum Leidwesen der Menschen, die in dem Zusammenhang immer wieder mit mir zu tun haben.

Ich selber besuche einmal im Jahr eine Gedenkveranstaltung zur Reichskristallnacht. Mir ist das wichtig. Unter anderem weil es für mich eine Möglichkeit ist, an das zu erinnern was mal war. Vor allem wichtig ist, in Anbetracht dessen, dass bald alle Zeitzeugen, egal ob nun Opfer, Täter, Mitläufer, verstorben sein werden. Keiner der mehr berichten kann. Klar gibt es Bücher und Filme und Dokumentationen - aber irgendwie ist es doch was anderes, wenn ein Zeitzeuge direkt spricht und nicht sehr Jahren bereits verstorben ist.

Da du die Pegida erwähnt hast: Ich fand es absolut faszinierend und auch irgendwie einzigartig, wie viele Menschen gegen die Pegida auf die Straße gegangen sind. Wie viele Menschen sich klar dagegen geäußert haben, egal in welcher Form. Und ich glaube, damit hat Deutschland (und seine Bürger) auch ein klares Zeichen gesetzt. Nämlich, dass man nicht mehr in das Muster des Nationalsozialismus verfallen möchte. Das man sich abgrenzt. Das man zeigt, wie bunt Deutschland ist. Und ich hoffe stark, dass auch andere Staaten genau das ähnlich erlebt haben.

Auf den genannten Gedenkveranstaltungen hat mich eine Erzählung sehr berührt. Damals, 1938 zur Reichskristallnacht, als man jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen schändete, alles in Brand setzte und so weiter, da stand die Polizei dabei oder hat mit gemacht. Im Deutschland 1938 war die Polizei dein Freund und Helfer und keiner dachte daran, dass da was falsch laufen könnte. Ok keiner ist übertrieben. Aber ich stelle mir vor, wie ich damals eventuell gehandelt hätte. Hätte ich aufbegehrt? Wahrscheinlich nicht, weil ich davon ausgegangen wäre und so weiter. Ok wahrscheinlich wäre ich nicht still gewesen.

Ich bin froh, dass so Zeiten vorbei sind. Klar ist die Polizei immer noch der Freund und Helfer. Aber man nimmt nicht mehr alles als gegeben hin. Man hinter fragt und so weiter. Und auch die Polizei ist heute sicherlich zum Großteil anders als damals. Man möge sich mal vorstellen, was im heutigen Deutschland los wäre, wenn Polizisten ein Asylantenheim anzünden würde, ein Gotteshaus (egal welcher Religion) schänden würde und so weiter. Der Aufschrei wäre riesig. Nicht nur in der deutschen Presse.

Ich könnte als Opfer nicht verzeihen. Ich habe Achtung vor jedem der das kann. Ich habe im letzten Jahr das Buch: Ich habe den Todesengel überlebt gelesen. Die Autorin Eva Mozes Kor war ein Opfer von Mengele und hat überlebt. Ihre Zwillingsschwester starb viele Jahre nach dem Krieg den Folgen der Experimente Mengeles. Eva hat, wenn auch erst in den 90er Jahre, Mengele öffentlich verziehen.

Das Buch ist ein Jugendbuch und man kann es wirklich locker an einem Nachmittag lesen. Ich denke, dort kann man vielleicht auch ein wenig verstehen lernen, warum manche Opfer des Holocausts ihren Tätern verziehen haben.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Es gibt Menschen, die können verzeihen. Das habe ich zumindest erst vor Kurzem in einer Talkshow gesehen. Da hat aber der Enkel eines Leiters eines Konzentrationslagers den Kontakt mit Überlebenden gesucht. Diese Menschen, die damals sehr viel Leid erfahren haben, können aber teilweise auch differenzieren und sehen bei den Nachfahren keine Schuld. Allerdings wird es eben auch von diversen Vereinen zelebriert, dass die bösen Deutschen noch heute eine Schuld abzutragen haben. Und das teilweise eben zwei und drei Generationen später.

Bei meiner Familie könnte man da auch noch nach Schuld suchen. Ein Großonkel von mir, selbst Deutscher, wurde von den Nazis zwangskastriert. Er ist Blind und Taubstumm geboren worden und konnte eigentlich von Glück reden, dass man ihn nicht gleich umgebracht hat. Meine Oma dagegen ist mit einem kranken Vater, einer kleinen Tochter und einem Säugling von den Russen verjagt worden. Ein anderer Großonkel wurde auch von den Russen in Buchenwald erschossen.

Ich selbst kenne das nur von Erzählungen, aber ich konnte damals schon verstehen, warum meine Oma zum Beispiel nie was mit Russen zu tun haben wollte. Es war ihr auch ein Dorn im Auge, dass wir russisch in der Schule lernen mussten. Aber sie konnte halt auch nichts dagegen machen und hat sich eben gefügt und nur in der Familie ab und an ihre Abneigungen offen zugegeben.

Sie hat da bis zu ihrem Tot niemanden wirklich verzeihen können. Was ich auch nachvollziehen kann. Wenn es mir passiert wäre, würde ich sicherlich genauso denken. Aber ich bin dann schon die zweite Generation danach und könnte diese Antipathie genauso pflegen. Nur was hätte ich persönlich davon? Die Verantwortlichen von damals sind lange verstorben, deren Nachkommen, sofern es sie gibt, können nichts für die Taten ihrer Eltern und Großeltern. Würde ich denen heute noch grollen, täte mich das mehr Nerven und Kraft kosten, die ich in andere Dinge investieren kann.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Es gibt durchaus Menschen, die das verzeihen und zumindest den Angehörigen der Täter oder auch dem Volk des Täters verzeihen können, den Personen an sich kann man sicherlich nicht verzeihen, aber einem Land kann man deswegen nicht auf Dauer sauer sein oder sollte es nicht und ich denke auch, dass das viele Menschen verstanden haben. Wobei da immer ein fader Beigeschmack sein wird, wenn man dann in so einem Land vor einem Betroffenen Deutsch spricht, aber das kann man ja auch nicht immer wissen.

In meiner Familie gab es eigentlich nur sehr starke Persönlichkeiten zu dieser Zeit. Meine Ur Oma hat beispielsweise einen Nazi beschimpft und wurde dafür fast erschossen, deswegen konnte ihr auch kein Opfer sauer sein. Dennoch wurden meine anderen Großeltern auch vertrieben und da hat man dann aber auch irgendwie seinen Frieden mit gemacht.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


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