Mutter schlägt toten Sohn, wie reagieren?

Ein sehr guter Bekannter von mir hat sich vor wenigen Jahren das Leben genommen. Er war psychisch krank, aber konnte im Alltag eigentlich sehr gut integriert werden. Leider wussten wir alle jedoch nicht, wie es im tiefsten inneren wirklich in ihm aussah und er zeigte es auch nicht im geringsten.

Es gab Tage, da war er einfach nur down, wie jeder von uns. An anderen Tagen war er der glücklichste Mann der Welt. Doch augenscheinlich war all dies nur eine Fars, wenn man das letzte Szenario betrachtet. Vor zwei Jahren hat er sich immer weiter zurückgezogen, seinen Freundeskreis teilweise beendet und nur noch seine Arbeit getätigt.

Er hat in dieser Zeit immer so getan, als wenn alles in Ordnung sei. Seiner Freundin versicherte er auch, dass immer alles in Ordnung ist. Man merkte ihm niemals an, dass er sich das Leben nehmen würde.

Letzten Endes hat er sich erhangen an einem Ort, wo man ihn erst Stunden später gefunden hat. Er ging morgens wie üblich aus dem Haus, verabschiedete sich wie üblich von seiner Freundin und tat so als, wenn er zur Arbeit gehen würde. Doch da kam er nie an.

Als wir alle bescheid wussten, waren wir natürlich am Ende mit unseren Nerven. Doch besonders die Mutter war eine Mischung aus Wut, Hass, Angst, Trauer und Sorge. Sie hat ihrem toten Sohn aus Wut eine Ohrfeige auf dem Obduktionstisch gegeben.

Seine Freundin, der Vater des Jungen und wir waren entsetzt. Gleichwohl kann ich sie nur geringfügig verstehen, weil sie sicher sauer war und sich vielleicht auch Vorwürfe macht. Doch wie sehr ihr das? Könnt ihr das Verhalten verstehen, hättet ihr auch so reagiert? Oder wie soll man reagieren, wenn die Mutter dem toten Sohn eine schmiert?

Auf dieses eine Ereignis würde ich überhaupt nicht reagieren. Das ist einfach aus der Situation heraus passiert und die Mutter hat sich später vielleicht selber gefragt, warum sie das überhaupt gemacht hat. Ich finde es aber nachvollziehbar. Solche Gefühle haben bestimmt viele Menschen in sich, wenn sie vom Tod eines Angehörigen erfahren und dieser selbst zu seinem Ableben beigetragen hat, ob es nun Selbstmord war oder etwas anderes, das zum Tod führte.

Nicht jeder lässt die Wut dann auch tatsächlich raus, aber diese Mutter hat es eben getan, indem sie ihrem toten Sohn eine Ohrfeige gegeben hat. Ich würde das nicht mal ansprechen und lieber einfach zusehen, dass er der Betroffenen eine Hilfe sein kann, wenn es nötig und gewünscht ist.

Ich denke, dass man damit leben muss, dass sie das getan hat. In gewisser Weise kann ich es verstehen, dass Trauer eben auch schnell mal in Wut umschlägt, wenn man sein Kind geliebt hat, alles für ihn getan hat und er sein Leben quasi wegwirft, was man ihm geschenkt hat.

Hätte ich daneben gestanden wäre ich wohl auch geschockt gewesen und hätte dann aber auch irgendwie versucht, die Mutter in den Arm zu nehmen, denn irgendwie ist es ja auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit.

Dein Bekannter muss wohl einige Probleme gehabt haben, mit denen er selbst nicht klar kam und um Hilfe wollte er sicherlich nicht bitten. Vielleicht hat die Mutter ihm vor seinem Selbstmord noch Wege aufgezeigt, um aus seiner Isolation herauszukommen, doch er hat einen anderen Weg gewählt. Aus Enttäuschung über soviel vermeintliche Dummheit wird die Mutter kurz ausgerastet sein, aber es nur im Sinne von „du dummer Junge, es gab Auswege“, gemeint haben. Es ist sehr schade, wenn ein Leben so endet und niemand helfen kann, weil man es nicht weiß.

Ich habe das auch erlebt und kann nachvollziehen, wie schlimm es für die Betroffenen ist. Damals war ich ungefähr 19 Jahre und mein Freund Mitte 20. Er war ein total freundlicher, lieber, netter Mann. Es war schön und angenehm mit ihm zusammen zu sein. Aber zwischendurch war er immer mal für eine Weile nicht erreichbar. Wenn er dann wieder kam, war es wie immer. Was er in der Zeit gemacht hatte, weiß ich nicht. Er sprach nicht darüber und ich habe nicht gefragt, sondern es hingenommen.

Als er wieder einmal über eine Woche nichts von sich hören ließ, kam meine Freundin zu mir, die mit seinem Freund verbandelt war und sagte mir, dass er sich im Wald, nahe der Wohnung seiner Eltern, aufgehängt hatte. Man hatte ihn auch erst einen Tag später gefunden. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, ob ich ihm hätte helfen können. Aber aufgrund seines Verhaltens konnte ich nicht mit so etwas rechnen.

Welche Probleme er hatte, wussten weder seine Eltern, noch seine Freunde und ich auch nicht. Wie man mit einem solchen Ende eines geliebten Menschen klar kommt - das sagt einem keiner. Man muss es selbst für sich herausfinden.

Du sagst doch selbst, dass die Mutter die unterschiedlichsten Gefühle durchmachte. Wut, Hass, Angst, Trauer und Sorge. Sie war einfach überwältigt. Die Trauer hat sich bestimmt in Tränen ausgedrückt, die Wut eben in dieser Ohrfeige. Sicherlich ist es ungewöhnlich und ich wäre wohl auch erschrocken, wenn ich daneben stehen würde. Aber ein Urteil würde ich mir im Leben nicht erlauben.

Ich weiß doch selbst nicht, wie ich reagieren würde, wenn mein Sohn sich umbringt. Und es gibt da überhaupt kein Richtig und Falsch. Dem Sohn hat es nicht mehr wehgetan. Daher gibt es keinen Grund, die Mutter davon abzuhalten oder darüber zu urteilen. Vielleicht hat es ihr geholfen, vielleicht hat es ihr im Nachhinein leid getan und ihren Schmerz vergrößert. Aber das muss sie mit sich selbst ausmachen.