Was gehört denn warum zu Deutschland?

vom 28.01.2015, 10:32 Uhr

Immer wieder fallen mir Diskussionen auf, ob denn der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht. Manches Mal wird auch über andere Dinge diskutiert, ob diese zu Deutschland gehören oder eben nicht.

Mich wundern diese Diskussionen ehrlich gesagt immer sehr. Islamischen Glauben gibt es öffentlich in Deutschland vermutlich seitdem es die Religionsfreiheit gibt. Zu meinem Leben gehört der Islam dennoch nicht. Ebenso wenig jedoch das Christentum. Und vieles andere auch.

Woher kommen eigentlich diese Diskussionen, was nun zu Deutschland gehört und was nicht? Und wer hat das Recht darüber zu entscheiden? Frau Merkel, Pegida, einzelne Bürgermeister oder brauchen wir solche Entscheidungen eigentlich gar nicht?

Gehört nicht alles, was man in Deutschland finden kann, irgendwie dazu? Ist das nicht eine ganze Menge, die teilweise der Mehrheit der Bevölkerung nicht passt? Ich denke gerade an Entführer, Vergewaltiger, Mörder, etc., die alle Teil von Deutschland sind und somit dazu gehören.

Wie seht ihr das? Gibt es nur bestimmte Dinge, die zu unserem Land gehören und wer kann/darf das entscheiden? Oder ist Deutschland das große Ganze?

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» Trisa » Beiträge: 3269 » Talkpoints: 20,14 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Das Grundproblem ist vermutlich, dass viele dieses zu Deutschland "gehören" so verstehen, als wäre es typisch für Deutschland oder müsste dazu gehören. Wegen dieser Oberflächlichkeit im Denken rennen wahrscheinlich auch viele Pegida oder Legida oder wie auch immer hinterher, ohne über deren wahre Ziele nachzudenken. Ich versuche, mir zu den Dingen eine sachliche Meinung aus dem Hintergrund zu bilden, inwieweit ich es für mich interessant oder gar wichtig halten kann.

Integrationsfähige Muslime z.B. gehören für mich eindeutig zu Deutschland, wie alle, die sich an unsere Gesetze und die deutsche Sprache halten. Denn wenn man miteinander umgehen will, dann muss man sich verständlich machen können, sonst wird aus dem Verständigen nichts. Nicht zu Deutschland gehört für mich, um beim Islam zu bleiben, das Diktat der Religion über den Staat, die Unterdrückung anderer Religionen, der Frauen, vor allem, wenn es zur Lebensphilosophie geworden ist.

» tommy1911 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 28.01.2015, 11:53, insgesamt 2-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Die Frage ist hoch philosophisch. Um das abschließen zu klären, müsste man auch überlegen, was eigentlich Deutschland ist. Die Frage ist ja allein schon nicht ganz einfach zu beantworten. Schließlich hat sich die vermeintlich einheitliche Nation Deutschland aus ganz vielen winzigen Königreichen und Fürstentümern entwickelt, so dass Deutschland meiner Meinung nach alles andere als homogen ist.

Oder anders gefragt: Wer ist eigentlich Deutscher? Ein über Generationen eingeborener Bayer? Oder ein seit Generationen eingeborener Bewohner von Sylt? Oder ein seit Generationen eingeborener Kölner? Alleine das sollte eigentlich schon zeigen, wie sonderbar die Frage ist. Was ist eigentlich Deutsch? Diese Frage wird keiner absolut wissenschaftlich korrekt beantworten können. Und wenn man nicht mal genau sagen kann, was Deutsch und was exakt Deutschland ist, wie soll man dann wissenschaftlich beantworten, was alles dazu gehört?

Nehmen wir mal an, wir hätten eine Definition, was genau Deutsch ist. Was wäre dann, wenn Herr A, ein seit Anbeginn der Aufzeichnungen in Kirchenbüchern nachweislich Deutscher zum Islam konvertiert. Das geht ja recht einfach, im Gegensatz zu anderen Religionen. Ist er dann noch Deutscher? Ändert der Faktor religiöse Überzeugung etwas an seinem Deutsch sein? Ist das kompatibel? Oder macht das überhaupt einen Unterschied?

Wie lange gibt es eigentlich die Religionsfreiheit? In der Form wie wir es heute kennen erst seit Einführung des Grundgesetzes. Also noch nicht mal seit hundert Jahren. Versuche, Kirche und Staat zu trennen oder gegenüber religiösen Minderheiten toleranter zu sein, gibt es natürlich schon viel länger. Spannend wird es vor allem ab dem sechzehnten Jahrhundert. Da war aber noch das größere Problem, wie man nun mit den relativ neuen Protestanten umgehen solle. Das sind vielleicht schon die Vorläufer gewesen.

Spannend wird es im 18. Jahrhundert dann zum Beispiel um den alten Fritz, oder formell Kaiser Friedrich II. Der hat wohl eines der bekannteren Werke verfasst, die den Moslems oder in dem Fall speziell der Tartaren Toleranz zusichern. Die durften mit kaiserlicher Erlaubnis damals (1775) schon Moscheen auf preußischem Staatsgebiet bauen. Kaiser Friedrich schreibt da sogar, dass er sie gerne haben will, und diese Einwanderer allen Schutz genießen sollen. Also rund 240 Jahre ist das schon her. Reicht das? Ist das dann schon Tradition?

Das Verhältnis der drei großen Religionen Christentum, Judentum und Islam ist traditionell immer wieder von mehr oder weniger großen Konflikten geprägt. Auch das ist leider Tradition. Auf die Tradition könnte man sich auch berufen. Aber das ist meiner Ansicht nach alles andere als ethisch, sich mit anderen Religionen allein deshalb nicht friedlich zu arrangieren, weil das keine Tradition hat. Sprich: Nicht immer sind Traditionen es wert, dass man sie aufrecht erhält.

Für mich ist die Frage viel interessanter, wie man ein möglichst friedliches Zusammenleben bewirken kann. Neu ist die Frage auch nicht. 1779 schon hat Lessing in seinem Drama "Nathan der Weise" genau diese Frage thematisiert. Welche Religion ist eigentlich besser? Aber auch das hat Lessing genau genommen nur als Coverversion heraus gebracht, er verwurstet da teilweise das Decamerone von Boccaccio aus dem 14. Jahrhundert. Ist Lessings Werk deutsch? Vermutlich ja. Zumindest würde das wohl fast jeder so sehen. Also hat auch die Idee des friedlichen Zusammenlebens der Religionen ein viertel Jahrtausend deutsche Tradition auch unter Denkern, nicht nur in der Politik. (Stichwort Aufklärung)

Die Alternative wäre ein Kreuzzug 2.0 mit Massenvernichtungswaffen und einem Krieg, der vermutlich den 2. Weltkrieg noch massiv in den Schatten stellen würde. Wollen wir das wirklich ernsthaft? Das sollte man sich auch vor Augen führen, wozu es konsequenterweise führen könnte, wenn man eine breite Front aufmacht und über 1,5 Milliarden Moslems mit ein paar Terroristen und Extremisten in einen Topf wirft. Alleine die Zahl von über einer Milliarde Menschen, die Moslems sein sollen zeigt ja schon, dass nicht alle Moslems auch nur ansatzweise extremistisch sein können. Eine Menschengruppe anhand von einer radikalisierten Minderheit einschätzen zu wollen, das ist eben weder wissenschaftlich noch menschlich.

Von daher finde ich, ist die Frage Zeitverschwendung, was genau zu Deutschland gehört. Selbst wenn man die Frage für heute abschließend beantworten könnte, könnte das morgen schon wieder falsch sein. Alle Gesellschaften wandeln sich. Schon immer. Ebenso schon immer gehören in jedem Land und zu jeder Zeit Straftaten dazu. Menschen sind eben nicht heilig. Fakt ist auch, dass Verbrecher, gleich welcher Herkunft oder religiösen Überzeugung, für ihre Straftaten zur Verantwortung gezogen werden sollten. Straftat ist Straftat. Aber dafür gibt es einen Rechtsstaat, um solche Dinge zu regeln.

Und militärischen Vereinigungen, gleich welcher Herkunft oder religiöser Überzeugung, die einen anderen Staat oder eine andere Bevölkerungsgruppe angreifen, sollte Gegenwehr entgegen gebracht werden. Das wird doch seit jeher so praktiziert, dass man sich gegen militärische Angriffe militärisch wehrt, unabhängig davon, welcher Art die Motive der Angreifer sind. Sich militärisch oder juristisch zu verteidigen, das stellt vermutlich niemand in Frage. Von daher finde ich alleine die Frage interessant, wie man mit Extremisten umgeht. Darum sollte sich meiner Meinung nach die Diskussion momentan drehen.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



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