Verfahren eingestellt nach Angriff

vom 10.10.2012, 15:13 Uhr

A wurde vor einigen Wochen von einem betrunkenen Mann auf offener Straße angegriffen. Dabei ist zum Glück nicht so viel passiert. A hatte eine blutige Lippe und ein kleines Stück vom Schneidezahn ist abgebrochen. Die Zahnärztin von A konnte die Stelle aber so anschleifen, dass davon praktisch nichts sichtbar und auch nicht fühlbar ist.

A hatte diesen Mann daraufhin angezeigt und der Fall ging natürlich auch zur Staatsanwaltschaft. Nun hat A einen Brief erhalten, in dem steht, dass das Verfahren eingestellt wurde. Der betrunkene Mann ist zuvor noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten und es handelt sich laut der Staatsanwaltschaft um einen Fall, der lediglich die beiden Beteiligten betrifft.

A könnte nun zivilrechtlich gegen diesen Mann vorgehen. Bei so einem kleinen Fall sieht A eigentlich keinen wirklichen Grund dafür, das zu tun. Dennoch ist A eigentlich ein bisschen verwundert darüber, dass dieses Verfahren eingestellt wurde. Ich weiß nun auch nicht, ob das üblich ist.

Seid ihr schon einmal angegriffen worden? Habt ihr den Täter, auch wenn ihr nicht oder nur gering verletzt wart, anschließend angezeigt? Was hat sich daraus ergeben? Lohnt sich so eine Anzeige überhaupt oder sollte man lieber direkt darauf verzichten?

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Im Grundsatz gilt: der Staatsanwalt hat zuviel zu tun. Die deutschen Staatsanwälte sind gnadenlos überladen und darum wird sehr stark selektiert, welche Verfahren vor Gericht landen und welche nicht. Wenn der Staatsanwalt entscheidet das es vor Gericht gehen soll, dann muss er extrem viel Schreibarbeit leisten. Um den zu entgehen, lehnt er oft ab die Sache vor Gericht zu bringen.

» frankiskrank » Beiträge: 289 » Talkpoints: 15,61 » Auszeichnung für 100 Beiträge


So wie ich das verstehe, mangelt es dem Staatsanwalt an öffentlichem Interesse, weil nur eine Person einen recht kleinen Schaden erlitten hat - möglicherweise steht sogar Aussage gegen Aussage. Da hat der Staatsanwalt halt mehr das große Ganze im Blick. Die Frage ist jetzt, ob es wirklich Sinn macht, zivilrechtlich gegen den Schläger vorzugehen. Da müsste man die Kosten zur Behebung des Zahnschadens mit den möglicherweise entstehenden Gerichts- und Anwaltskosten in Beziehung setzen. Und man darf auch nie vergessen, dass Anwälte sich gern vergleichen und dann bleiben die Kosten teilweise an einem hängen und verdient haben nur die Anwälte.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Was heißt hier, dass zum Glück nicht viel passiert ist. Wenn jemand grundlos angegriffen wird von einem Betrunkenen und erleidet eine Verletzung an der Lippe sowie ein Stück Zahn bricht ab, dann kann man das doch nicht auf sich beruhen lassen und das Verfahren einstellen. Das nächste Mal wird der Mann heftiger zuschlagen und der Angegriffene erleidet vielleicht einen Schädelbruch.

Denn der Schläger muss ja denken: „Mir passiert nichts, ich kann machen, was ich will.“ Das kann doch nicht der Sinn einer Anzeige sein. Wenn eine Anzeige eingestellt wird, weil lediglich die beiden Menschen betroffen sind, denkt man dann nicht daran, dass der eine Mensch ein unschuldiges Opfer war? Nach dem Prinzip müssten dann wegen Überlastung auch Fälle eingestellt werden, wo nur zwei Menschen beteiligt waren: einmal der Schläger und das durch den Schlag querschnittsgelähmte Opfer.

Ist ein Staatsanwalt überlastet, muss er Überstunden machen, wie in der freien Wirtschaft auch. Oder es müssen mehr Leute eingestellt werden. Aber deshalb kann man einen grundlos schlagenden Menschen nicht stärken, in dem man ihn nicht bestraft, bzw. nicht einmal vors Gericht schleppt. Hätte es sich um die Frau des Staatsanwaltes gehandelt, wäre der Fall anders verlaufen.

Da fällt mir eine Sache auf einer Autobahnzufahrt ein. Eine Frau bliebt plötzlich mitten auf einer vielbefahrenen Kreuzung mit einem teuren Wagen stehen, obwohl die Ampel grün zeigte. Ich stand mit dem Wagen kurz dahinter. Dann wurde die Ampel rot und die Frau fuhr zurück und titschte meinen Wagen an. Ich stieg aus und habe sie gefragt, warum sie nicht in den Spiegel guckt. Sie musterte mich von oben bis unten und sagte zu mir, dass ich ihr gar nichts könne, ihr Mann wäre Staatsanwalt, da bekäme ich kein Recht. Das sagt doch wohl genug.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Das klingt mir nach einer Einstellung nach Paragraph 153 StPO. In der Praxis wohl so ziemlich die bedeutendste Norm bezüglich der Möglichkeiten zu Verfahrenseinstellungen. Wie schon gesagt wurde, sind die Staatsanwaltschaften regelmäßig überlastet, weshalb sogenannte "Bagatelldelikte" dann oft eingestellt werden.

Dennoch sollte man bei solchen Sachen immer eine Anzeige erstatten, weil es eben nicht so ist, das man jemandem mal schnell aufs Maul hauen kann und das dann grundsätzlich eingestellt wird. Es kommt immer auf die einzelnen Umstände an und die Staatsanwälte sind auch verpflichtet -und die, die ich kennen gelernt habe, auch allesamt sehr bemüht- gründlich zu prüfen und dann auf Grund des Ergebnisses zu handeln.

Das Prinzip dabei ist nicht, dass es danach geht, ob nur zwei Beteiligte betroffen sind. Zuerst einmal muss es sich um ein Vergehen handeln. Die normale Körperverletzung ist ein solches, ebenso wie die gefährliche Körperverletzung. Bei schwerer Körperverletzung wäre eine Einstellung wegen Geringfügigkeit schon von vornherein nicht mehr möglich, weil es sich dabei um ein Verbrechen handelt.

Dann muss die Tat im Vergleich zu anderen gleichartigen Taten gering sein. Es ist ein großer Unterschied, ob man mit einem blauen Auge, einer blutenden Lippe oder mit einer gebrochenen Nase davon kommt.

Zuletzt muss das öffentliche Interesse fehlen. Natürlich kann man jetzt sagen, dass die Allgemeinheit eine Strafe für solche Taten wünscht, aber darum geht es nicht wirklich. Wenn jemand nicht einschlägig vorbestraft ist, dann wird meistens ein fehlendes öffentliches Interesse angenommen.

Wenn diese drei Dinge zusammenfallen, dann kann der Staatsanwalt das Verfahren einstellen - und je nach Arbeitsanfall wird er das auch tun. Da man aber in der Regel nicht weiß, ob jemand schon einschlägig vorbestraft ist und da eine Strafanzeige auch nichts kostet, ist jedem Opfer ans Herz zu legen, die Tat umgehend anzuzeigen und nicht zu denken: "Die stellen das eh ein."

Ob ich auf zivilrechtlichem Wege klagen würde? Die meisten Anwälte würden dir wohl dazu raten. Aber wohl eher aus eigenem Interesse. Ich würde es selbst schon deswegen machen, damit derjenige einfach sieht, dass ich mir sowas nicht gefallen lasse. Als ehrliche Anwältin würde ich meinem Mandanten aber raten, sich das zu überlegen.

Nur, weil man Schmerzensgeld gerichtlich zugesprochen bekommt, heißt das noch lange nicht, dass derjenige auch zahlt. In solchen Fällen bekommt man nicht sonderlich viel zugesprochen und muss den 200 Euro möglicherweise auch noch lange hinterher rennen. Da muss man sich einfach drüber im Klaren sein.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


@CCB86. Wenn es mich betreffen würde, hätte ich geklagt. Hier geht es mir nicht um Schmerzensgeld, sondern einfach darum, dass ein solcher Mensch höchstwahrscheinlich immer wieder Lust bekommt, irgendjemand zu verletzen. Wenn aber niemand dagegen angeht, wird er nie vorbestraft sein und kann sich somit alles erlauben, weil ihm ja nichts passiert, wenn das Verfahren immer wieder eingestellt wird.

Oder es müsste möglich sein, dass solche, in der Tat kleinen Delikte, ebenso gespeichert werden, damit im Wiederholungsfall etwas unternommen wird. Denn haben diese Typen das erst einmal gescheckt, dass ihnen nichts passiert, dann werden sie bestimmt öfter zuschlagen und es auch härter tun.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


@Cid, ich kann absolut nachvollziehen, dass man auch ohne große Hoffnung auf Schmerzensgeld dann auf dem zivilrechtlichen Wege klagt. Wie gesagt, ich würde es auch machen. Viele Laien denken sich aber, sie klagen eben, bekommen Recht und dann ist es erledigt. Dass sie aber unter Umständen auf ihren Kosten sitzen bleiben, darf nicht verschwiegen werden. Und gerade in den Fällen, wo der Schläger schlicht unter der Pfändungsgrenze liegt, bleibt das Opfer dann eben nicht nur auf sämtlichen Kosten sitzen, sondern der Täter sieht auch, dass man ihm ohnehin nicht viel kann.

In Bezug auf deinen zweiten Absatz ist es vielleicht interessant, zu wissen, dass der allgemeine Glaube, eine Einstellung bedeute, dass die Tat vergessen ist, nicht zutreffend ist. Zwar steht die wegen Geringfügigkeit eingestellte Tat nicht im Bundeszentralregister oder so. Es gibt aber das zentrale staatsanwaltliche Verfahrensregister, in welches sämtliche Daten eines solchen Falles für zwei Jahre eingetragen werden. Siehe Paragraph 492 ff. StPO.

Das heißt, wenn der Täter innerhalb der nächsten zwei Jahre noch einmal zuschlägt und das Ganze zur Staatsanwaltschaft gelangt, dann sieht der bearbeitende Staatsanwalt -egal wo in Deutschland er sitzt-, dass er bereits einmal zugeschlagen hat, und dass die Sache wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde. Je nach Ansicht und Anzahl der Vorfälle wird man dann sagen, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt, was dann der Einstellung wegen Geringfügigkeit entgegenstehen würde.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



@CCB86, danke für die Information. Das habe ich nicht gewusst, dass auch solche eingestellten Verfahren in einem entsprechendem Verfahrensregister landen. Na ja, dann darf er zwei Jahre lang nicht mehr zuschlagen. Ist ja auch wenigstens etwas.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


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