Kann ein Mensch ohne Selbstliebe nicht liebenswert sein?

Heute saß ich ziemlich lange im Wartezimmer einer Arztpraxis und habe dort einen Artikel in einer Frauenzeitschrift gelesen. Ich lese solche Zeitschriften normalerweise nicht und war daher auch mal wieder erstaunt, was dort nicht alles für Schwachsinn drin steht. Ein Artikel hat aber mein Interesse geweckt und ich habe ihn auch gelesen. In dem Artikel ging es darum, dass Menschen die sich selbst lieben auf andere attraktiver wirken. Sie würden natürlich ein größeres Selbstbewusstsein haben, generell seien sie aber von ihrem Auftreten anders und würden auf andere interessanter wirken.

Es wurde sogar geschrieben, dass man selbst innerhalb einer Partnerschaft immer noch sich selbst mehr lieben sollte, als seinen Partner. Gut, ich denke das ist bei den meisten Leuten sicherlich der Fall. Es wurde aber auch ausgeführt, dass man seinen Ehrgeiz und seine Ziele ruhig zeigen soll und nicht meinen muss, dass die Partnerschaft an erster Stelle steht und man seine eigenen Ziele daher hinten anstellen muss. Es wäre sogar eher so, dass man auf seinen Partner attraktiver wirken würde, wenn man klar macht, dass man bestimmte Ziele hat, die man im Leben erreichen würde und das würde man mit oder ohne den Partner tun.

All das darf natürlich nicht übertrieben werden und man sollte jetzt nicht zu einer karrierewütigen Furie werden, aber man sollte Ziele im Auge behalten und daher auch seine Prioritäten setzen. Dazu gehört, dass man sich nicht zu sehr für den Partner aufopfert, sondern auch häufiger mal an das eigene Wohl denkt. Die Autorin ging sogar soweit zu behaupten, dass jemand der sich nicht selbst liebt nicht von anderen geliebt werden kann. Selbstliebe wäre nicht egoistisch, sondern gesund und für eine funktionierende Beziehung unerlässlich. Nur wenn beide Partner ein gesundes Maß an Selbstliebe besitzen und glücklich sind, könnten sie auch miteinander glücklich sein.

Ich denke schon, dass diese Behauptungen in einem gewissen Rahmen auch stimmen, allerdings würde ich das nicht ganz so weit ausholen. Wie seht ihr das, seit ihr auch der Ansicht, dass jemand nicht geliebt werden kann, der sich nicht selbst liebt? Hat Selbstliebe für euch auch so einen hohen Stellenwert?

Ich würde ebenfalls vorsichtig mit Pauschalaussagen darüber sein, welche Eigenschaften einen Menschen liebenswert machen und welche nicht. Ich habe schon Zeitgenossen kennengelernt, die ich als extrem unangenehm, anstrengend und unsympathisch empfunden habe und die sich auch wirklich nicht um ein halbwegs akzeptables Sozialverhalten bemüht haben.

Aber selbst diese Gestalten hatten Freunde und oft genug sogar einen Partner, eine Partnerin und/oder Kinder. Ich glaube, man muss schon extreme charakterliche oder menschliche Defizite haben, um wirklich auf keinen Menschen liebenswert zu wirken. Wo die Liebe hinfällt, wie man so schön sagt.

Menschen ohne eigene Meinung, Interessen oder Ziele, die ihr Mäntelchen immer nur nach dem Wind hängen und sich der jeweiligen Gesellschaft anpassen, finde ich persönlich nicht besonders attraktiv oder interessant. Andere fühlen sich dagegen vielleicht eher geschmeichelt, wenn ihr Partner die eigenen Bedürfnisse und Ideen völlig hintanstellt und komplett in der Beziehung aufgeht.

@ Crispin: Ich denke auf jeden Fall, dass Menschen, die sich nicht selber lieben auch keine anderen lieben können und auch nicht von anderen geliebt werden können. Auch denke ich, dass man sich nicht für den Partner aufgeben muss, weil es dann natürlich für ihn uninteressant wirkt.

@ Gerbera: Nur weil die Personen auf dich anstrengend und unsympathisch wirkt, muss das nicht heißen, dass die Person nicht auf andere anders wirken kann. Es ist eben so, dass es verschiedene Arten von Menschen gibt, die dann auch nur von bestimmten Menschen geliebt und akzeptiert werden.

Und ich denke nicht, dass es einen Menschen gibt, der von allen geliebt wird. Es wird immer Menschen geben, die auch einen beliebten Menschen nicht mögen und sei es nur, weil sie neidisch sind, dass dieser eben so beliebt ist.

Alles in allem denke ich schon, dass man sehr von sich selber überzeugt sein muss, um Freunde zu finden oder eben auch selbstbewusst aufzutreten. Aber das kann man alles lernen. Und am besten hilft es wirklich, sich im Leben ein oder mehrere Male verteidigen und behaupten zu müssen, denn dann gelingt es einem automatisch, weil man sich schützen möchte.

Normalerweise steckt dann dahinter ein wesentlich größeres Problem und dies muss derjenige dann zuerst lösen, bevor aus einer solchen Beziehung etwas werden kann. Natürlich kann man jemanden gerne haben, der an sich selber zweifelt, aber derjenige muss dies eben auch lernen und dabei kann man ihm mit viel Liebe und Geduld natürlich helfen.

Dabei sollte man aber auch wirklich alle Probleme desjenigen genau kennen und sich selbst soweit einschätzen können, wozu man bereit ist. Ansonsten kann es für beide böse in die Hose gehen.

Also ich bin nicht dieser Meinung. Ich denke durchaus, dass man einen Menschen als liebenswert erachten kann, wenn er selbst sich ganz und gar nicht selber liebt. Alles andere fände ich auch traurig, denn es gibt genügend viele Menschen, die sich selber sehr verachten und wenn all diese Menschen nicht als liebenswert angesehen und derartig auch behandelt werden würden, dann würde sich ihr Selbstwertgefühl wahrscheinlich auch niemals wieder erhöhen.

Wenn mein Partner sich selber mehr lieben würde, als mich, dann fände ich das ganz bestimmt nicht gut. Ich würde ich dann sicherlich nicht mehr lieben als jetzt, wo es noch so ist, dass wir uns in unserer Partnerschaft nicht selber mehr lieben als den jeweils anderen. Warum auch?

Wer will denn schon einen Narzissten lieben? Wer findet so etwas denn gut? Ich zumindest nicht.