Setzt Vergeben einen starken Menschen voraus?

Wer verzeihen kann oder vergeben, muss der sehr stark sein oder schaffen das auch die Schwachen zu verzeihen?

Aber kann man einem Vergewaltiger oder Mörder seines Kindes verzeihen? Kann man einem betrunkenen Fahrer verzeihen, der einen Menschen tot gefahren hat? Kann man dem Menschen verzeihen, der so fest sinnlos zugeschlagen hat, dass jemand im Rollstuhl landet? Kann man dem Täter verzeihen, der unwissentlich oder mit Absicht ein gemeines Verbrechen begeht?

Wie sieht das Opfer die Vergebung? Es passiert einfach, dass der Rachegedanken sich festsetzt mit Wut und Enttäuschung und Hass. Nicht selten heißt es „Auge um Auge“. Aber die extremste Form der Rache ist die Blutrache, die auch heute noch bei vielen Mitgliedern von Banden und Vereinigungen gilt.

Das „Vergelt's Gott“ hat nichts mit Vergeltung oder Rache zu tun. Es ist in manchen süddeutschen Gegenden Sitte es zu sagen statt eines Dankeschöns. Rache ist die Form der Vergeltung für ein wirkliches Unrecht oder ein vermeintliches großes Unrecht. Über banale Schädigungen kann jeder hinwegsehen, aber was ist, wenn wir tief gekränkt oder verletzt sind. Können wir dann auch darüber hinwegsehen? Der Schmerz über die Verletzung weckt in uns den Groll, der uns lange begleitet und den wir nicht abstellen können.

Unseren Gefühlen, der Ohnmacht, dem Schmerz und der Wut können wir nicht ausweichen. Alles Schreien, Weinen und Stampfen hilft uns nicht. Wir müssen uns der Enttäuschung stellen und versuchen, Abstand zu gewinnen. Wenn wir versuchen, uns in die andere Person hineinzuversetzen und zu ergründen suchen, warum sie das getan hat oder warum sie so geworden ist, dass sie das tun konnte, was sie uns antat, vielleicht wird dann die Wut, der Hass, die Enttäuschung nicht mehr nur unsere Gedanken beherrschen. Kann sein, dass wir dann eines Tages unsere innere Stärke wiederfinden und wenn wir sie haben, dann auch vergeben können.

Ich denke das Vergeben können einem letztendlich selbst nur zu Gute kommt, denn kann man diesen Punkt erreichen, kann man etwas schlimmes abschließen und einen Denkprozess beenden. Andernfalls würde man sich damit sein Leben lang belasten, weil sich immer alles um die Vergangenheit dreht. Ob das was mit Stärke zu tun hat, weiß ich nicht, aber mit Sicherheit mit einer bestimmten Geisteshaltung. Ich habe in diesem Zusammenhang mal das Wort Resilienz gelesen.

Denke schon, dass Vergeben eine persönliche Stärke voraussetzt. In dem Sinn halte ich es zum Beispiel für eine tolle Haltung, wenn Menschen es schaffen, ihren Mitmenschen zu vergeben, die ihnen wirklich sehr weh getan haben.

Allerdings kann Vergeben auch Schwäche implizieren. Für mich sind das harmoniesüchtige Menschen, die alles mit sich machen lassen und nicht bereit sind, auch mal persönliche Konsequenzen zu ziehen, wenn andere Menschen sie permanent schlecht behandeln. Diese Ausführungen spiegeln aber lediglich meine persönlichen Erfahrungen wider, das kann man auch anders sehen.

Ja, das kann eine Schwäche sein, wenn jemand alles mit sich machen lässt. Aber vielleicht hat er es auch schon anders probiert und festgestellt, dass wenn er stark bleibt und sich nicht alles gefallen lässt, ein andauernder Kampf entsteht, der ihm das Leben zur Hölle macht. Und genau aus dem Grunde wird man dann davon absehen, weil man ein harmonischer Mensch ist.

Vielleicht kommt es auf einen zurück, wenn man vergibt. Ein Abschluss mit etwas Belastendem wird wieder zur Ruhe führen und uns selbst zu Gute kommen, das kann sein.