Passt die akademische Sozialisation nicht in die Arbeitswelt
Mir hat mal jemand gesagt, dass ich zu sehr an der Uni sozialisiert bin und man mir anmerken würde, dass ich sozusagen zu sehr diese akademische Sichtweise auf Dinge habe. Was derjenige damit meinte, war, dass ich oft zu viel Eigenverantwortung von anderen erwarte. Dass ich beispielsweise denke, dass andere doch auch erwachsene Menschen sind und man denen daher nicht konkret erklären muss, wie man etwas macht, sondern man nur das Ergebnis vorgibt (das soll so und so sein), ohne da konkrete Vorgehen zu erklären und davon ausgehen, der andere wüsste schon selber, wie das geht.
Was damit auch gemeint war, war, dass ich eine Abneigung gegen feste Termine habe und an der Uni ist es ja oft so, dass man sich nicht so sehr an Termine hält, dass Studenten auch zu spät in die Vorlesung oder das Seminar kommen und es eigentlich üblich ist, dass da auch 10 Minuten nach Vorlesungsbeginn noch Leute kommen. Und selbst bei manchen Jobs an der Uni ist das auch so – zumindest bei meinem.
Und diese Sichtweise die ich habe, die passt ja nicht so ganz in die Welt. Denn wenn man beispielsweise mit Leuten zu tun hat, die ganz normale, bodenständige Jobs haben, dann erwarten die schon, dass man denen konkret erklärt, was sie machen sollen, anstatt nur ein Ziel vorzugeben, dass sie irgendwie erreichen sollen und für viele Menschen ist exakte Pünktlichkeit eben schon wichtig.
Passt also die universitäre Sozialisation gar nicht in die Welt da draußen? Ist es nicht schade, dass diese Lockerheit an der Uni später im Beruf wegfällt? Würdet ihr da lieber an der Uni bleiben, wenn man ansonsten diese Lockerheit nicht mehr hat?
Was den Teil mit der selbstständigen Arbeitsweise angeht, geht es mir ähnlich wie dir. Zumindest von Akademikern erwarte ich schon eine gewisse eigenständige Arbeitsweise. Schließlich sollten die das in ihrer Hochschulausbildung auch gelernt haben. Die Realität sieht oft anders aus. Anscheinend haben sich einige sich von ihren Kommilitonen mit schleppen lassen oder haben sonst irgendwie alles vorgekaut bekommen. Das Problem in meinem Job ist dass selbstständiges Arbeiten unbedingt nötig ist. Wenn ich genaue Vorgaben machen muss, stecke ich selbst so viel Zeit rein, dass ich es gleich selbst machen kann.
Das Thema "Pünktlichkeit" sehe ich ganz anders. Sicher wird an der Universität Pünktlichkeit nicht so groß geschrieben - die Witze über die "akademische Viertelstunde" kommen sicher nicht von ungefähr. Aber im Arbeitsumfeld kann man es sich einfach nicht leisten, mal eine Viertelstunde später zu kommen. Immerhin hält man damit unter Umständen eine große Gruppe inklusive Führungskräfte von der Arbeit ab. Ein paar Minuten Verzögerung kann effektiv mehrere hundert Euro kosten.
Bei den reinen Arbeitszeiten sehe ich das schon wieder anders. Viele Jobs erlauben es durchaus, den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende selbst zu wählen. Und diese Freiheit hat man dank Gleitzeit in vielen Betrieben auch. Ob das funktioniert ist dann im Wesentlichen eine Frage der Gruppendynamik. Trotzdem gilt auch hier: Wenn der Chef um acht eine Besprechung ansetzt, muss man auch als Spätaufsteher pünktlich auf der Matte stehen.
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