Allerheiligen den neuen Mantel ausführen

vom 01.11.2014, 18:20 Uhr

Meine Großcousine ist vor vielen Jahren ins tiefste Bayern, zu der Familie ihrer Mannes gezogen. Die Gegend ist noch dazu, wie man so schön sagt, erzkatholisch. Also auf Kirche wird viel Wert gelegt. Man geht jeden Sonntag brav in die Kirche, lässt seine Kinder taufen und so weiter, damit dem Dorftratsch keinen Grundlage gegeben werden kann.

Heute ist nun Allerheiligen, was in der Gegend, in der meine Großcousine nun lebt, ein Feiertag ist. An dem Tag geht man dort traditionell auf den Friedhof. Was auch ein absolutes Muss ist. Sonst wird wochenlang getratscht. Man kümmert sich eigentlich um die Gräber, aber im Endeffekt geht es nur darum gesehen zu werden.

Meine Großcousine meinte die Woche spöttisch, dass sie sich rechtzeitig einen neuen Mantel gekauft hat, da für die meisten Bewohner ihres Dorfes Allerheiligen nur dazu dient, den neuesten Mantel vorzuführen. In manchen Familien wird den ganzen restlichen Tag darüber diskutiert, wer welchen Mantel getragen hat und wie der den Personen gestanden hat.

Kennt ihr das auch, dass auf dem Dorf solche Gelegenheiten nur genutzt werden, um gesehen zu werden? Das solche Gelegenheiten heute wirklich nur noch dazu dienen, die neuesten Garderobe vorzuführen? Kauft ihr eventuell selbst extra eure Winterjacke vor Allerheiligen?

» Fugasi » Beiträge: 1877 » Talkpoints: 1,33 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Gerade wollte ich denselben Thread eröffnen wie du, nämlich, dass Allerheiligen eine reine Modeschau ist. Da ich aber nicht sicher war, ob ihr das in Deutschland ebenfalls so handhabt, wie wir in Österreich, dachte ich mir, ich erspare mir das lieber. Aber in diesem Fall geht es euch ähnlich.

Mein Freund und ich gingen heute extra eine ganze Stunde, vor die Messen anfangen, zum Friedhof, um ja nicht in den Rummel hinein zu geraten. Doch leider war es immer noch zu spät. Als wir ankamen tummelten sich schon ganz viele Leute und es war schon gar kein Parkplatz mehr frei. Wir kehrten somit um, und beschlossen, abends nochmals in Ruhe zu kommen.

Als wir uns die Menschen anschauten, konnten wir nur den Kopf schütteln. Man geht da nicht der Toten Willen hin, sondern nur deshalb, weil man Angst hat, was könnten die Menschen denken, wenn man nicht in die Kirche geht.

Mir selber ist es reichlich egal, was die Leute denken, zumal ich bereits seit einem Jahr nicht mehr bei der Kirche bin. Deshalb kann man von mir auch nicht erwarten, dass ich eine Messe besuche, weil ich einfach nicht an die Kirche glaube.

Ich gedenke meinen verstorbenen Lieben entweder zu Hause oder auf dem Friedhof, wenn ich einmal mit ihnen alleine bin. Lust auf eine Modeschau, wie sie auch bei uns immer statt findet, habe ich allerdings auf keinen Fall.

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich habe heute im aufziehenden Bodennebel in der Dämmerung die beleuchteten Gräber auf dem alten Waldfriedhof hier in der Stadt fotografiert und mir sind nun keine Leute aufgefallen, die sich besonders in Schale geworfen hatten. Es hat sich auch niemand über meine Sommerjacke mokiert, denn für einen Wintermantel wäre es mir zu warm gewesen.

Von Außen betrachtet erscheint das Theater, das ihr beschreibt, schon sehr lächerlich und extrem scheinheilig, aber es macht schon irgendwie Sinn, wenn man die ganze Situation betrachtet. In Dörfern ist nicht wirklich viel los, da ist der Besuch der Kirche am Sonntag für viele wahrscheinlich die einzige gesellschaftliche Aktivität, die sie in der ganzen Woche im Kalender stehen haben. Wenn das Dorf landwirtschaftlich geprägt ist wird das für viele Leute auch die einzige Gelegenheit sein, zu der sie sich schön anziehen.

Man kann die Lebenssituation von diesen Menschen also schlecht mit der Situation von Menschen vergleichen, die in einer Stadt leben, in der sie jeden Tag mehr als genug unternehmen können wenn sie wollen und die einen Job haben, zu dem sie sich jeden Tag ihre neusten Sachen anziehen können, weil sie in einem sauberen Büro arbeiten.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Ich habe diese ausgehübschten Menschen auch gesehen, die sich scheinbar extra dafür in schönste Kleidung gezwängt haben. Eigentlich kann man es aber auch irgendwie nachvollziehen. Immerhin geht man ja seine Lieben besuchen und da gehört es ja auch irgendwie dazu nicht im Jogginganzug hinzugehen, so ein bisschen hübsch machen finde ich also gar nicht so schlecht. Wobei ich daraus auch keine Modenschau machen wollen würde. Immerhin geht es ja auch um das Gedenken an die Toten und Lieben und das sollte im Vordergrund stehen und nicht wer gerade was trägt und was neu ist.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich habe da am Samstag noch mit meiner Mutter drüber gesprochen. Genau genommen war ich seit zig Jahren nicht mehr an Allerheiligen auf dem Friedhof. Meine Mutter wollte aber zwei Gestecke abstellen und ich sollte sie fahren. Wir waren dann am frühen Nachmittag da und ich war ein wenig erstaunt, weil ich es einfach noch von früher her kenne, dass man sich richtig fein machte. Das mochte ich als Kind nämlich überhaupt nicht.

Die meisten Leute waren aber im üblichen Alltagslook unterwegs (ich auch), manche waren noch auf den Gräbern am buddeln und den ein oder anderen schlampigen Jogger bekam ich auch zu Gesicht. Richtig fein war keiner.

Meine Mutter meinte dann, dass es halt früher üblich war, sich vor Allerheiligen für den Winter neu einzukleiden und dann eben auch die guten Wintersachen genau an diesem Tag auszuführen. Heute ist es dagegen ja eher so, dass man nicht mehr wirklich Sachen "für gut" oder für den Sonntag auf die Seite hängt.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Allerheiligen ist ein katholischer Feiertag und in der Region, in der ich aufgewachsen bin, sind wir an diesem Tag auch immer auf die Friedhöfe gegangen. Allerdings ging es wirklich nur darum, dass wir unsere lieben Verstorbenen besuchen und ein Lämpchen für sie anzünden und dieses aufs Grab stellen.

Ich kenne es daher nicht, dass man nur dorthin geht um andere zu sehen und gesehen zu werden. Ich finde das schon sehr oberflächlich und traurig. Denn das ist einfach nicht der Sinn dieses Feiertages und ich würde das auch so nicht mitmachen. Erst recht würde ich mir für diesen Anlass keinen neuen Mantel kaufen.

In der Gegend in der ich jetzt wohne, sind die Menschen überwiegend evangelisch und dort wird ja eher der Totensonntag zum Anlass genommen, um die Verstorbenen auf dem Friedhof zu besuchen. Aber auch hier kenne ich es nicht, dass es darum geht, die neuste Mantelkollektion zu präsentieren.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


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