Selbstmord miterlebt - wie kann man das verarbeiten?

vom 08.10.2014, 18:48 Uhr

Heute ist was wirklich Schlimmes passiert. Und zwar liegt die Bücherei, in der ich mein Praktikum mache, direkt in der Stadt und direkt gegenüber dem Münster. Dabei hatten wir die Fenster geöffnet. Als ich gerade daran vorbeigelaufen bin, habe ich einen schrecklichen Knall gehört, wobei ich runter geschaut und gesehen habe, wie ein Mann völlig verdreht am Boden lag, da er von der Aussichtsplattform hinuntergestürzt war. Dass man versehentlich runterstürzt, kann dabei eigentlich nicht sein, weil die Aussichtsplattform gut abgesichert ist und man eigentlich über die Mauern klettern muss, um runter stürzen zu können.

Meine Chefin hat nicht lange gezögert und wir haben auch sofort den Krankenwagen gerufen, wobei meine Chefin dann auch noch jede Hilfe leisten wollte, obwohl jede Hilfe zu spät kam. Wie hoch oben die Aussichtsplattform liegt, weiß ich nicht genau, wobei das Münster an der höchsten Stelle etwa achtzig Meter Höhe hat. Von daher ist es fast ausgeschlossen, dass man überlebt, wobei dann Notarzt und Krankenwagen tatsächlich recht schnell wieder ohne den Mann abfuhren.

Da mein Fenster leider direkt davor ist musste ich alles miterleben, wobei ich glücklicherweise den Sturz an sich nicht mitbekommen habe. Das Gesicht des Mannes und der laute Knall sind mir jedoch noch immer im Gedächtnis und ich fühle mich noch immer schrecklich und zittere am ganzen Körper. Dabei kann ich nicht einmal daran denken, meine Hausarbeit zu überarbeiten, die ich eigentlich heute abgeben sollte. Ich kann mich absolut nicht konzentrieren und versuche mich abzulenken, wobei ich leider an nichts anderes denken kann, als an den schrecklichen Sturz.

Ein Freund von mir hatte nun nicht so viel Verständnis, da ich den Mann eben nicht kannte und er sich ja scheinbar umbringen wollte. Von daher ist er der Meinung, ich solle mich einfach ablenken und das nicht so ernst nehmen. Allerdings kann ich das nicht so einfach hinter mir lassen und mir tun auch die Menschen schrecklich leid, die unten am Münster entlang gingen und den Aufprall direkt und hautnah miterlebt haben.

Wie kann man so einen schrecklichen Vorfall verarbeiten? Ist es tatsächlich übertrieben, sich so viele Gedanken zu machen, wenn man den Menschen nicht einmal kannte?

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Ich finde es gar nicht übertrieben, dass dir der Vorfall nicht aus dem Kopf geht. Meiner Meinung nach ist es völlig verständlich, dass dir noch die Hände zittern und du durch den Wind bist. Ich glaube ich hätte ich auch einen großen Schreck bekommen und wäre sicherlich in Tränen ausgebrochen.

Manche Menschen sind eben sehr sensibel und es ist ja nun einmal nichts alltägliches oder normales, dass sich ein Mensch vor einem umbringt und man es eben dazu noch so nah mitbekommt. Einfach übergehen wird man das nicht können. An deiner Stelle würde ich auch die ganze Zeit daran denken und wohl auch Albträume bekommen. Wenn du merkst, dass du alleine mit der Situation nicht klar kommst, solltest du dir wirklich professionelle Hilfe suchen. Ich hätte Probleme das Gesehene zu verarbeiten und würde mir wohl Hilfe suchen.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


Ich finde es überhaupt nicht schlimm das du dir Gedanken machst. Du hast gesehen wie der Mann da lag und das ist sehr schlimm, egal ob du ihn kennst oder nicht. Ich würde mir über die Hausarbeit keine großen Gedanken machen. Ich bin mir sicher das deine Lehrer morgen Verständnis dafür haben, wenn du ihnen erzählst was passiert ist.

Wenn du Alpträume bekommen solltest, solltest du dir vielleicht Hilfe bei einem Experten suchen. Ich denke ein paar Sitzungen würden da reichen. Ansonsten kann ich dir nur raten, mit so vielen Menschen wie möglich darüber zu reden, denn das wird dir helfen. Dein Freund hat es ja nicht miterlebt, deshalb denke ich, das er es nicht so ernst nimmt.

Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Kraft.

» Sonnenblume56 » Beiträge: 96 » Talkpoints: 26,17 »



Es gibt immer wieder Menschen, die sich das Leben nehmen. Das kann niemanden unberührt lassen. Du wirst diesen Anblick des Mannes so schnell nicht vergessen. Da wird auch ablenken nichts ändern können. Das ist schnell gesagt von deinem Freund und auch gut gemeint, aber die Gedanken lassen sich nicht so schnell verscheuchen. Dein Freund sieht das distanzierter als du, weil er das eben nicht miterleben musste wie du. Du kannst versuchen, dich in die Arbeit zu stürzen, aber ob es hilft?

Wegen deiner Hausarbeit würde ich mir keine unnützen Gedanken machen. Wenn du erzählst was passiert ist, wird jeder Verständnis dafür haben. Leider machen sich Selbstmörder auch keine Gedanken über die Probleme, die sie anderen aufbürden durch ihren Entschluss. Sie denken nur daran, dem zu entfliehen, was ihnen furchtbar erscheint.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Ach du liebe Güte, das ist wirklich sehr schlimm und beim besten Willen kann ich deinen Freund nicht verstehen. Ich meine, selbst wenn man die Person nicht kannte hat man in so einer Situation ja trotzdem Schreckliches gesehen und so leicht kann man das auch nicht aus dem Kopf bekommen. Ablenken kannst du dich da nicht, du musst versuchen damit klar zu kommen. Das dauert sicherlich eine ganze Weile und vielleicht brauchst du auch professionelle Hilfe, das ist auch nichts, was man herunter reden muss, du hast eine schlimme Sache gesehen und das belastet die Seele.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich kann verstehen wie du dich fühlst, es leider noch nicht lang her das meine Arbeitskollegin versucht hat sich umzubringen. Und ich muss fast jeden Tag daran denken, du kanntest den Mann zwar nicht persönlich aber es ist klar das dich dieser Vorfall nicht unberührt lässt. Es wird dir wohl auch leider noch ein paar tage schlecht gehen, wenn es dir hilft rede darüber. Und ziere dich nicht professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich denke mal das wird dir der Notfallseelsorger auch schon ans Herz gelegt haben.

Was deinen Freund angeht, ich weiß nicht ob er so hart ist. Oder ob er nur so tut, aber so eine Sache kann man nicht einfach herunterspielen. Und das ihn das so wenig berührt, macht mir schon Gedanken. Es hätte ihn bestimmt nicht belastet, dir in diesem Fall mehr beizustehen.

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» 19kitty90 » Beiträge: 573 » Talkpoints: 2,58 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Auch wenn es nun sehr hart klingen mag, aber dein Freund hat schon irgendwie recht. Ich selbst habe schon einige Suizide erlebt und ebenfalls einige grausame Unfälle und meine Mutter, die vor mir im Rettungsdienst tätig war, hat mir den Tipp gegeben, dass ich versuchen soll, es nicht so an mich ranzulassen, es würde mich sonst zermürben. Und genau das ist das, was dein Freund nun auch versucht.

Ich weiß wie schwer es ist, solch einen Vorfall zu vergessen. Wenn es dir zu schwer fällt, dann suche professionelle Hilfe. Dein Freund war bei dem Unfall nicht dabei, nennen wir es Unfall. Er weiß also nicht, was du gesehen hast. Wenn du nichts im feuerwehr- und rettungstechnischen Bereich zu tun hast, ist das Vergessen natürlich noch schwieriger, weil du den Umgang damit nicht gelernt hast.

Glaube mir, ich habe kein einziges Opfer, zu dem ich gekommen bin, jemals vergessen, ich habe mir nur antrainiert, mein Leben trotz dem grausamen Bild weiterzuleben und solche Unfälle aus dem Privatleben verschwinden zu lassen. Ich hatte aber auch Unterstützung vom psychologischen Dienst und Notfallseelsorgern, die uns gerade auf sowas vorbereitet haben. Und genau diese sind wahrscheinlich für dich die passende Anlaufstelle.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12585 » Talkpoints: 9,82 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Das sehe ich auch so wie wibbeldribbel, ich kann mir nicht ständig Gedanken um all das Elend auf der Welt machen nur weil ich zufällig das Ergebnis dieser Selbstmordaktion gesehen habe. Wenn das so wäre dann wäre ich wahrscheinlich auch der nächste Kandidat für einen Fenstersprung.

In diesem Zusammenhang stört es mich auch dass der Selbstmörder so einen Hang zur Öffentlichkeit hat, er hätte sich doch auch erschießen oder im Büro erhängen können. Ich finde es unverantwortlich seinen Freitod so zu wählen dass auch noch Unschuldige in diese Verzweiflungstat mit hineinbezogen werden und ihnen daraus eventuell auch noch Konsequenzen entstehen. Schlimm genug wenn auch noch den Rettungssanitätern das alles zugemutet wird, aber was ist denn wenn kleine Kinder die ersten am Ort des Geschehens sind? Die können so etwas sicherlich nicht so leicht wegstecken wie ein Erwachsener. Dir scheint es ja auch nicht gerade gut zu gehen weil du das mit ansehen musstest, das hätte einfach nicht sein müssen.

Auch bei den immer wieder aufkommenden Brückenspringern oder Vor-Die-Züge-Schmeißer kann ich kein richtiges Mitleid empfinden. Das mag herzlos sein, aber ich finde es einfach unfair den zufällig anwesenden Mitfahrern die Konsequenzen aufzuzwingen die durch eine stundenlange Straßensperrung entstehen und hier auch wieder den Busfahrer beziehungsweise den Autofahrer mit solchen Aktionen zu schocken mit denen sie dann vielleicht sogar lebenslang zu kämpfen haben.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich finde es erstaunlich und erschreckend, wie kalt hier einige sind. Seid ihr immer so gefühllos? Wenn man gelernt hat mit solchen Dingen umzugehen bitte, aber verlangt jetzt nicht das es jeder kann. Es ist einfach gesagt sich darum nicht viele Gedanken zu machen, aber jetzt mal ganz ehrlich berührt euch so eine Tat gar nicht oder spielt ihr nur so hart?

Das Geltungsbedürfnis des Selbstmörders ist wirklich nicht zu übersehen. Damit habt ihr recht das hätte er auch für sich alleine beenden können. Denn es hätten wirklich Kinder als erstes am Ort sein können, oder sogar noch schlimmer das live miterleben können.

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» 19kitty90 » Beiträge: 573 » Talkpoints: 2,58 » Auszeichnung für 500 Beiträge


@19kitty90: Ich denke schon, dass diejenigen, die du hier als kalt bezeichnest, nicht die gefühlskalten Monster sind, für die du sie hältst. Aber du musst auch bedenken, dass wenn man irgendwann alles an sich heranlässt, daran zerbrechen wird. Es bringt dem Postersteller wirklich nicht viel, wenn man ihm nun anraten würde, dass er sich am Besten jeden Tag über das Leben und seine Vergänglichkeit Gedanken macht. Irgendwie muss die Person es verarbeiten, was sie gesehen hat.

Ich persönlich habe einige sehr sehr schlimmen Unfälle gesehen und es ist nicht leicht daneben zu stehen und teilweise nicht zu weinen oder zusammenzubrechen. Aber man muss irgendwie damit klarkommen und das kann man lernen. Das geht man dann in die sogenannte Psychohygiene und es verlangt absolut niemand, dass man es auf Anhieb beherrscht. Deswegen besteht auch für "Normalos" das Angebot bei den Hilfsorganisationen, mit jemandem über solche Dinge zu reden und die Geschichten aufzuarbeiten.

Natürlich ist so was nie einfach zu verarbeiten, das ist mir und hooker wahrscheinlich ebenfalls durchaus klar. Aber man sollte eine Verarbeitung zulassen. Man kann sich nicht immer alles mit nach Hause nehmen. Deswegen muss man oft ein kleines wenig Distanz zwischen sich und die Sache schaffen. Es war damals für den kleinen Jungen, dessen Vater sich vor dessen Augen getötet hat, auch sehr schwer und er musste wahrscheinlich auch in psychologische Betreuung, weil eine Kinderseele verletzt wurde. Aber in Schriftzeichen kann man Trost und die eigentlichen Empfindungen, die man bei einer solchen Geschichte hat, einfach nicht umsetzen. Man steht nie ganz unberührt daneben, man muss jedoch teilweise nüchtern bleiben.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12585 » Talkpoints: 9,82 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


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