Wo liegt die Botschaft beim Regenbogenfisch?
Die Geschichte vom Regenbogenfisch, die von Marcus Pfister in den 1990er Jahren erdacht wurde, gilt als einer der größten Kinderbuchklassiker der Neuzeit. Die Geschichte wurde in 80 Sprachen übersetzt und verkaufte sich weltweit über 15 Millionen mal. Auch eine Zeichentrick-Verfilmung gibt es über das Buch.
Die grobe Handlung ist mir schon klar. Da ist der Regenbogenfisch mit seinen bunten Schuppen. Erst möchte er diese mit niemandem teilen, obwohl andauernd jemand kommt, und eine Schuppe haben will. Weil der Fisch die Schuppen nicht abgeben will, hat er keine Freunde. Aus Einsamkeit gibt er dann eben doch die Schuppen ab, bekommt dann dadurch massenhaft "Freunde". Einerseits, weil er Dinge verschenkt hat, andererseits, weil er dann aussieht, wie alle anderen, als er die vielen glitzernden Schuppen nicht mehr hat.
Normalerweise wird das als warmherzige Geschichte darüber, wie schön es ist, zu teilen, vermarktet. Aber ich sehe da irgendwie recht deutlich, dass ein Fisch sich anpassen muss, ich die Individualität nimmt, um beliebt zu sein, und sich die "Freunde" zudem im wahrsten Sinne des Wortes kauft. Als er nichts tut, hat er keine Freunde, aber sobald er Sachen verschenkt, kommen sie in Scharen und wollen seine Freunde sein.
Wie findet Ihr diese Darstellung? Oder wo seht Ihr die Moral in diesem Kinderbuch? Wie habt Ihr als Kind die Geschichte verstanden, oder wie kam sie bei Euren Kinder an? Ich kann die Geschichte nur aus Erwachsenenperspektive bewerten, weil ich sie erst durch Kinder von Freunden kennengelernt hatte, als ich schon erwachsen war. Mich würde einfach mal die Wirkung auf Kinder interessieren, beziehungsweise, welche Schlüsse diese aus der Handlung ziehen.
Vorweg: Ich finde es wunderbar, zu teilen. Und ich finde es wichtig, Kindern dieses Ideal auch nahezulegen. Aber die Umsetzung finde ich beim Regenbogenfisch ziemlich unglücklich.
Schön, dass es Eltern gibt, die das Buch auch nicht leiden können! Ich dachte bislang, ich bin die einzige Irre. Genau das hat mich auch immer gestört. Vor allem sind "normale" Fische im Wasser alles andere als langweilig und hässlich. Sie glitzern ja auch, was Aquarianer und Angler bestätigen können. Von daher finde ich das Argument mit der Schönheit, die angeblich nur der eine Fisch hat irgendwie an den Haaren herbei gezogen.
Was ich auch nicht nachvollziehen kann, wie der Fisch die Schuppen verschenken kann. Jeder Angler oder passionierte Frischfischkoch weiß, wie fest Schuppen in der Fischhaut verwachsen sind. Besonders Angler wissen, dass verlorene Schuppen ernsthafte Verletzungen für die Tiere bedeuten und dann die Fische sich auch Hautpilz und dergleichen einfangen können und daran sogar verenden können. Von daher finde ich es recht brutal, dass das Tier sich selbst verletzen muss, um akzeptiert zu werden. Ich habe das Buch nicht gekauft. Integration und Teilen, das könnte man meiner Meinung nach besser literarisch für Kinder umsetzen. Freundschaft ist etwas schönes und soll nicht weh tun.
Leider kam ein lustiger Verwandter auf die Idee, meinen Kindern das passende Hörspiel dazu zu schenken. Meine Kinder mochten es, ich kann es nicht leiden. Alleine schon das Buch nicht. Und als ob die Story alleine schon nicht reicht, hat man auch noch Herrn Jöcker für die Musik engagiert. Da gehen sicher auch die Meinungen auseinander, aber mir gefällt der Stil seiner Kindermusik nicht so gut. Von daher ist der Regenbogenfisch für mich ein komplett rotes Tuch.
Der Erfolg des Buches liegt vielleicht auch mit daran, dass es eines der ersten war, bei dem solche Hologrammfolie in ein Kinderbuch eingearbeitet wurde. Heute gibt es ja viele Bücher, die in Bildern Folien, Fell, Leder und andere Materialien eingearbeitet haben. Aber damals war so ein Design denke ich schon innovativ. Ich denke mal, dass viele Eltern das auch gekauft haben, weil es optisch was her macht und gar nicht so viel über die Story an sich nachgedacht haben. Den meisten Menschen wird man in der Schule das Nachdenken über Literatur schon so gründlich versaut haben, dass man das nicht jeder freiwillig macht.
Selber habe ich keine Kinder, aber aus Verwandtschaft und Freundeskreis kenne ich einige Kinder, mit denen ich mich natürlich dann auch beschäftigt habe. Und als ich dann eben mal den Regenbogenfisch in die Hand bekam, war ich wirklich entsetzt. Aber schonmal gut, zu wissen, dass ich nicht die einzige Person bin, die das so sieht.
Die große Frage ist sowieso, wieso der Fisch seine Besonderheiten, die ihm angeboren sind, abgeben muss. Wieso muss man sich klein machen, um Anderen zu gefallen? Eine viel schönere Botschaft wäre es gewesen, hätte jeder Fisch nach und nach entdeckt, was er für Besonderheiten an sich hat. Dann wäre die Botschaft gewesen: Jeder ist etwas Besonderes, auch, wenn jeder anders ist. Und jeder kann auf sich stolz sein.
Die Tatsache, dass der Regenbogenfisch sich die Schuppen ausreißt, finde ich auch scheußlich. Das ist, als schneidet man sich die Finger ab. Und allein schon, dass die anderen Fische fordern, dass er die Schuppen abgeben soll. Also, irgendetwas Materielles von anderen Leuten zu fordern, das wurde mir als Kind gerade abgewöhnt. Stattdessen habe ich gelernt, freundlich zu bitten. Aber man kann niemanden zwingen, einem seine Sachen herzugeben, nur, weil man sie gerne selber haben will. Aber dieses Kinderbuch stellt es so dar, als sei das ein üblicher Weg. Das finde ich auch etwas daneben.
Meine Vermutung war, dass der Autor sich das vermutlich selbst gar nicht so bewusst war. Da die Schuppen so silbern glitzern sollen sie vermutlich auch die Assoziation Geld und Reichtum nahe legen. Da hätte ich es aber sinnvoller gefunden, wenn man den Fisch in einem alten Schiffswrack eine Schatzkiste finden lässt und der teilt das dann unter den anderen Tieren auf. Aber das wäre vielleicht schon wieder zu sozialistisch gewesen für ein Kinderbuch. Und mal ganz ehrlich: Ja, es ist gut zu teilen. Aber die Freunde, die Leute gewonnen haben, nachdem sie durch einen Lottogewinn zu Geld gekommen sind, das waren doch niemals echte Freunde. Also auch diese Botschaft wäre sehr fragwürdig.
Ich will jetzt dem Autor nichts unterstellen. Aber die 90er waren in der Hinsicht sowieso ein furchtbares Jahrzehnt. Individualität war da sehr wenig favorisiert als Erziehungsziel. Zumindest damals in Bayern. Als ich da mit meiner kreativen Familie in die Schule ging, wurde ich permanent ausgelacht, wenn ich was selbst genähtes an hatte. So nach dem Motto, so etwas machen nur Leute, die sich nichts von teuren Designer leisten können. Dieser Label-Kult in der Zeit ging mir sowieso mächtig auf den Geist. Aber vielleicht ist das Buch ja durchaus aus ein Produkt dieses Zeitgeistes, dass Individualität Kinder einsam macht und man daher besser im Mainstream mit schwimmt.
Im Übrigen macht es Kinder durchaus Spaß, sich ab einem gewissen Alter als Buchkritiker zu betätigen. Zumindest meinen, die das gewöhnt sind. Wir sprechen durchaus auch mal mit den Kindern darüber, was ihrer Meinung nach ein Autor besser hätte schreiben können, wenn ihnen der Plot nicht gefällt. Und von daher haben auch schlechte Bücher für ältere Kindern irgendwo eine Daseinsberechtigung, wenn man sie damit zum kritischen Denken erziehen kann. Aber bei Bilderbüchern finde ich das noch zu früh. Von daher kann ich den Erfolg auch nicht so recht nachvollziehen. Aber wahrscheinlich denken einfach zu viele Eltern so, dass es besser ist, nicht als besonders aufzufallen. Was sollen denn sonst die Nachbarn denken, wenn man anders ist?
Was da alles hineininterpretiert wird finde ich schon ziemlich krass. Ich habe den Regenbogenfisch als Kind gelesen. Und ich hatte das Buch, dass so wunderbar geglitzert hat, weil die Schuppen ja in dem Bilderbuch aus Glitzerfolie waren. Das war erstmal cool.
Dann kam dazu die Geschichte. Der Regenbogenfisch hatte diese coolen Glitzerschuppen. Und er bildete sich darauf irgendwie mächtig etwas ein. Der war doch richtig arrogant! Ich kenne niemanden, der als Kind den Regenbogenfisch am Anfang mochte. Der war so wie meine eine Klassenkameradin. Ein richtiges Scheusal! Arrogant bis zum geht nicht mehr. Ist doch klar, dass niemand mit dem spielen wollte. Und ist doch auch klar, dass die anderen Fische gerne auch so eine besondere Glitzerschuppe haben wollten. Die sind nun einmal eben echt cool gewesen. Ist ja nicht so, dass die anderen Fische nicht mit ihm spielen wollten, er war sich da ja nur zu fein für.
So. Und dann wollten die anderen Fische nun gerne eine Glitzerschuppe haben. Das ist wie mit Bonbons. Ein Kind hat eine Tüte voll Bonbons, dann wollen alle anderen natürlich gerne auch etwas davon ab haben. Und was macht der Regenbogenfisch? Er sagt nicht einfach nur nein, er wird richtig unfreundlich. Und diese Nachricht verbreitet sich.
Wohlgemerkt - der Regenbogenfisch wird nicht einfach gemieden, weil er niemanden etwas abgeben möchte, sondern weil er ein hochnäsiger Widerling ist. Irgendwann gab es dem Regenbogenfisch dann doch zu denken, dass all seine Schönheit ihm nichts nützt und sie ihm keine Freunde bringt.
Wenn der Regenbogenfisch nun seine Glitzerschuppen verschenkt geht es überhaupt nicht darum, dass er sich Schmerzen zufügen muss (literarische Freiheit muss sich nicht immer an biologischen Grundsätzen orientieren!) und auch nicht darum, dass er sich anpassen muss um akzeptiert zu werden - sondern darum, dass er seinen Stolz und seinen Hochmut ablegt. Er gibt die erste Glitzerschuppe ab und erhält dafür aufrichtigen Dank. Der beschenkte Fisch freut sich ehrlich. Das merkt auch der Regenbogenfisch und ist gerührt. Er mag dieses Gefühl. Und in ihm regt sich Gutherzigkeit. Und aus reiner Gutherzigkeit ändert er sich und sagt sich, er braucht den Glitzertand nicht mehr. An dieser Stelle können wir das auch auf den Markenkult der Neunziger übertragen. Die würde der Regenbogenfisch auch nicht brauchen. Am Ende ist der Fisch ein ganz normaler Fisch geworden, so wie all die anderen auch. Normal aber nicht im Sinne von angepasst, denn seine Flossen glitzern ja noch immer und somit hat er immernoch mehr Glitzer an sich als die anderen Fische mit den geschenkten Schuppen. Normal in dem Sinne, dass er sich nicht mehr als besser, als schöner als die anderen Fische ansieht.
Eine tolle Geschichte, bei der in meinen Augen überhaupt nicht das Teilen im Vordergrund steht, sondern generell die Bedeutung von Freundschaft und die negativen Auswirkungen von übertriebenen Stolz. Niemand ist etwas Besseres - und das lehrt uns die Geschichte vom Regenbogenfisch.
Das es um das Teilen gehen soll ist mir als Kind nie eingefallen, mir fiel immer nur auf, dass der Regenbogenfisch von einem eingebildeten zu einem lieben und netten Fisch geworden ist. Und ich kam übrigens auch nie auf den Gedanken, meinen Goldfischen ihre glitzernden Schuppen auszureißen, falls über diese Intentionen spekuliert werden sollte.
Ich kann deine Argumentation aus Kindesicht nachvollziehen. Aber ich bringe mal ein Gegenbeispiel aus der Kinderliteratur, das zwar weniger bekannt sein dürfte, aber pädagogisch besser gelöst ist. Vor allem die Kinder aus den neuen Bundesländern kennen Bummi, den Bären. Sicherlich auch einige der Eltern von kleineren Kindern wegen der Illustrierten. Einer der Figuren in der Geschichte ist ein Clown. Als der in die Bummifamilie kommt, ist er langweilig grau und er benimmt sich immer so unmöglich, dass man ihn nicht mögen kann. Immer wenn er sich nett verhält, färbt sich ein Teil seines Körpers bunt.
So finde ich das wesentlich logischer aufgebaut. Wenn man sich freundschaftlich und kooperativ verhält, dann ist das eine Win-Win-Situation. Man fühlt sich besser, man strahlt von innen heraus, und man gewinnt Freunde. Man muss nichts dafür weg geben, sondern im Gegenteil, man bekommt ganz viel dafür.
Warum wir hier so viel interpretieren? Kinder bekommen von so einem Buch unbewusst immer mehr mit, als man als Elternteil so meint. Wenn ein Kind in der Spielgruppe wirklich sehr hochnäsig oder selbstbewusst ist, muss man es dann zwingen, sich selbst zu demontieren? Oder sollte man nicht besser jedem Kind die eigenen Stärken zeigen, so dass dann alle Glitzerschuppen haben und alle stolz sein können? Das wäre für mich als Elternteil für meine Kinder die bevorzugte Erziehungsweise.
Und wie Wawa oben schon schreibt: Jeder Mensch und also auch jedes Kind hat Eigenschaften, die es zu etwas besonders tollem machen. Mir wäre eben auch ein Buch für meine Kinder lieber, das befördert, dass die Kinder das schon früh entdecken. Ein gutes Selbstbewusstsein kann nie schaden, so lange man sich selbst nicht auf Kosten anderer selbst verwirklicht. Und eigentlich hat der Regenbogenfisch vorher ja niemandem weh getan. Aber letztlich ist das ja Geschmackssache und auch eine Frage des Erziehungskonzeptes.
Ich kenne nur einige Teile der Zeichentrickserie. Und da war es immer so, dass der Regenbogenfisch einfach nur gehandelt hat ohne nachzudenken. Irgendwann kam die Erleuchtung was falsch war und er versucht es halt wieder zu richten. Nicht immer mit dem entsprechenden Erfolg. Erst heute morgen hatten wir es im Fernsehen laufen, weil eine Tochter erst zur zweiten Stunde in die Schule musste, aber durch ihre Schwester eben wach wird.
Da hat der Regenbogenfisch in einem Geschäft Bonbons verkauft. An seine Freunde hat er sie verschenkt, was nach einem Bonbon durch eine falsche Aussage halt zum Selbstläufer geworden ist. Er wollte den Schaden wieder gut machen, hat selbst Bonbons versucht zu machen, aber die waren eben geschmacklich eher gruselig.
Am Ende musste er den Verlust durch Teller waschen ausgleichen. Da haben aber seine Freunde dann geholfen, weil sie ja nicht ganz unbeteiligt waren. So großen pädagogischen Wert sehe ich da zwar nicht unbedingt. Aber Kindern wird dabei doch gezeigt, dass man auch die Konsequenzen dafür tragen muss, wenn man Fehler macht. Und das ist ja nun nicht die schlechteste Erkenntnis die man aus der Serie ziehen kann.
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