Verständnis, wenn Opfer zu Tätern werden angebracht?

vom 19.08.2014, 14:18 Uhr

Bei uns in der Straße wurde eine Frau immer extrem von ihrem Partner misshandelt. Sie hat nie den Mut gehabt sich von ihm zu trennen. Denn er hat dann auch immer gedroht, dass er sie niemals gehen lassen würde. Sie hatte immer Angst und hat auch keine Hilfe angenommen. Diese Frau sitzt nun in Untersuchungshaft, weil sie ihrem Mann aufgelauert hat und ihn mit einem Baseballschläger nieder geschlagen hat. Der Mann liegt im Koma.

Wenn die Frau sich einfach gewehrt hätte, wäre es eine Nothilfe oder Notwehr gewesen. Aber da er gerade in dem Moment nichts getan hat und die Frau einfach nur Angst hatte, als er nach hause kam und zugeschlagen hat, ist es eine schwere Körperverletzung und wenn sie Pech hat sogar versuchter Mord, weil sie ihm auch noch aufgelauert hat.

Der Mann hat seine Frau eigentlich zum Täter gemacht. Denn sie hat aus Angst gehandelt. Aber denkt ihr, dass ein Verständnis angebracht ist, wenn ein Opfer zum Täter wird? Hättet ihr Verständnis? Kennt ihr solche Fällt, wo ein Opfer zum Täter wurde? Wird so was eigentlich vor Gericht auch irgendwie berücksichtigt?

Benutzeravatar

» kleine Schwester » Beiträge: 105 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 100 Beiträge



In der Regel werden vor Gericht ja alle Umstände berücksichtigt, die etwas mit der Tat zu tun haben, ergo wird ganz klar auch berücksichtigt, dass der Mann die Frau ganz offensichtlich terrorisiert hat und ihr irgendwann die Sicherungen durchgebrannt sind, um sich selber aus der Situation zu befreien. Gerade bei solchen Fällen habe ich Richter -und auch Staatsanwälte- oft sehr human erlebt.

Da ich selber im Strafrecht tätig bin, habe ich natürlich auch schon Fälle miterlebt, wo man menschlich gesehen dem früheren Opfer und jetzigen Täter irgendwo mit Verständnis, teilweise auch mit Mitleid begegnet. Natürlich rechtfertigen die wenigsten Opfervergangenheiten eine schwere Tat wie versuchten Totschlag oder Ähnliches. In dem von dir geschilderten Fall hätte es andere Auswege aus der Situation der Frau gegeben - aber von außen ist das immer so einfach gesagt.

Die Welt ist nun mal nicht nur schwarz-weiß, sondern beinhaltet auch unheimlich viele Grautöne, die man als Opfer, als Angsthabender, manchmal einfach nicht erkennen kann. Dann wählt man den falschen Weg, um seine Situation zu ändern, weil man glaubt, anders nichts erreichen zu können. Das wissen auch Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, so dass sie gar nicht umher kommen, die Umstände, die letztlich zur Tat geführt haben bei der Findung des Strafmaßes zu berücksichtigen.

Benutzeravatar

» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Warum diese Frau keine Hilfe gesucht und die Misshandlungen des Ehemannes lieber ertragen hat, ist unverständlich. Aber es gibt viele Frauen, die solche Misshandlungen ertragen und selbst einige Männer, die sich nicht gegen die Misshandlungen der Ehefrauen wehren. Warum sie sich das gefallen lassen, können nur sie selbst beantworten. Aber diese Frau hatte nun endlich genug und hat selbst zugeschlagen.

Ich denke schon, dass die immer wieder ertragenen Misshandlungen durch den Ehemann bei der Verhandlung und dem Urteil berücksichtigt werden. Denn der Ehemann hat ja aus einer nicht gewalttätigen Frau erst eine Täterin gemacht. Es war einfach zu viel geworden, womit er nicht gerechnet hatte. Um nicht selbst wieder zum Opfer zu werden, hat sie vorab zugeschlagen. Natürlich habe ich Verständnis für die Nöte dieser Frau. Allerdings hätte ich anders gehandelt und zwar gleich zu Beginn der Misshandlungen.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Ich glaube, dass man so richtig nur Verständnis für diese Situation haben kann, wenn man das selber mitgemacht hat. Und auch das Verständnis, dass ein Opfer das mit sich machen lässt ohne sich lange Jahre zu wehren. Ich selber habe das mitgemacht und ich habe vollstes Verständnis. Ich hatte auch die Gedanken, wie ich meinen damaligen Mann irgendwie außer Gefecht setzen kann.

Cid hat geschrieben:Natürlich habe ich Verständnis für die Nöte dieser Frau. Allerdings hätte ich anders gehandelt und zwar gleich zu Beginn der Misshandlungen.

Das habe ich auch immer gesagt. Als ich dann selber in der Situation war, habe ich mehrere Jahre genau das mitgemacht, was die Frau im oberen Beispiel mitgemacht hat. Wenn mir davor jemand gesagt hätte, dass ich das mal mitmachen würde, dem hätte ich den Vogel gezeigt. Aber man hat einfach Angst sich zu wehren und auch Angst den Schlussstrich zu ziehen. Das ganze Selbstbewusstsein, welches man hatte wird nach und nach ganz langsam abgebaut und glaube mir, man handelt wirklich nicht so, wie man denkt bevor einem das passiert. Lies mal diesen Thread hier Gewalt: Warum lassen sich Frauen das gefallen?

Man glaubt es kaum, aber anstatt sich von dem gewalttätigen Menschen zu trennen überlegt man, wie man ihn für immer los wird, weil man Angst hat sich zu trennen. Als ich den Mut hatte mit von ihm zu trennen, erwartete mich eine Zeit mit noch mehr Angst, weil er mir auflauerte. Ich hatte nicht nur Angst um mich, sondern auch um die Kinder. Es waren nicht seine Kinder und ich hätte ihm alles zugetraut. Ich hatte den Mut nicht, ihm aufzulauern um ihm einen Denkzettel zu geben. Aber ich habe vollstes Verständnis für Menschen, die immer Opfer waren und nun zum Täter werden. Aber Selbstjustiz ist keine Lösung.

Benutzeravatar

» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Ehrlich gesagt kann ich es nicht verstehen. Und ich habe selbst eine Beziehung hinter mir, die mir psychisch sehr zugesetzt hat und auch schon Schläge erfolgen sollten. Das ich damals so ohne weiteres durch Worte die Sache abwehren konnte, erstaunt mich noch heute. Als dann die ersten Schläge gegenüber einer Tochter angedroht wurden, war für mich schon das Ende der Fahnenstange erreicht und ich habe die Trennung geplant und vollzogen.

Ich hatte damals nur die moralische Unterstützung meiner Eltern, wobei mein Vater noch kurz vor dem endgültigen Schluss der Beziehung verstarb und mir seine Hilfe extrem gefehlt hat. Aber ich habe es durchgezogen und war vom ersten Tag an wie befreit, wo ich mit den Kindern weg war. Selbst das lange juristische Gezerre hat mich dann nicht groß belastet.

Ich kann verstehen, wenn eine Frau nicht von heute auf morgen geht, weil sie noch Geld zur Seite schaffen muss, um eine eigene Wohnung am Anfang zu finanzieren oder sonstige Wege erst ebnen muss. Aber deswegen sich auf die Stufe des eigentlichen Täters begeben kann ich eben nicht nachvollziehen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^