Wie weit dürfen die Betreuer in Feriencamps gehen?
Ich verreise jeden Sommer mit einer Organisation von Feriencamps, um selbst als Betreuerin zu arbeiten. In diesem Jahr war ich zum zweiten Mal dabei. Nachdem ich schon im letzten Jahr meine Erfahrungen mit der Organisation gemacht habe, hat sich mein Bild von ihr in diesem Jahr noch einmal sehr verändert und ich muss feststellen, dass ich hinter einigen Aktionen nicht richtig stehe, die für viele Betreuer selbstverständlich sind. Ich bin ehrlich gesagt ein wenig schockiert davon, wie man teilweise mit den Kindern umgeht. Vorerst erzähle ich euch, was in so einem Camp auf der Tagesordnung steht, danach bringe ich ein paar Argumente an, die andere Betreuer äußerten, um diese Aktionen zu rechtfertigen.
Wer als Kind mit dieser Organisation mit fährt, wird während seines Aufenthalts im Camp definitiv mindestens einmal Rasierschaum, Dickmann und Edding im Gesicht, auf dem Körper oder überall haben. Es gibt regelrechte Rasierschaumschlachten. Ein Betreuer beginnt, einem Kind den Schaum ins Gesicht und in die Haare zu schmieren. Das stachelt die Kinder an, sich gegenseitig voll zuschmieren, sodass es ein Selbstläufer ist und schließlich alle Kinder eingesaut sind. Dickmannschlachten gibt es nicht direkt, es ist eher so, dass ein Betreuer spontan einem Kind die Süßigkeit ins Gesicht drückt. Viele Kinder wissen schon, dass es so abläuft, sie kommen freiwillig zu den Betreuern und fragen nach einem Dickmann,obwohl sie genau wissen, dass dieser gleich in ihrem Gesicht landen wird.
Mit Edding bemalen sie sich ebenfalls gern gegenseitig. Einige Kinder haben nach dieser Woche Arme und Beine vollkommen beschmiert. Viele Kinder wollen von den Betreuern bemalt werden. Manchmal gehen die Betreuer aber auch nachts ohne Ankündigung in die Bungalows und bemalen schlafende Kinder. Und nicht nur das: Rasierschaum und Wasser kommt nachts ebenfalls zum Einsatz, bei schlafenden Kindern. Das wird natürlich fotografisch festgehalten. Sind die Kinder einmal wach, schließen sich einige dem Streifzug durch die Bungalows an und helfen dabei, andere schlafende Kinder mit Rasierschaum zu wecken. Man muss dazu sagen, dass alle Kinder Spaß dabei zu haben scheinen, ich habe noch keine schlimmen Vorfälle erlebt, sondern nur Gelächter.
So, das war so ungefähr die Beschreibung davon, was für den Großteil der Betreuer, die für diese Organisation mitfahren, als normal gilt. Ich stehe allerdings nicht hinter diesen Aktionen. Ich mache diesen Job, um mit Kindern zu arbeiten, sie besser zu verstehen und einen Draht zu ihnen zu finden, was mich auf den Lehrerberuf, den ich anstrebe, vorbereiten soll. Mir würde nie einfallen, dafür solche Methoden anzuwenden.
Ein Betreuer, der ausgebildeter Erzieher ist, rechtfertigte die Aktionen folgendermaßen: Die Kinder sind im Ferienlager, sie sind nicht zu Hause und entfliehen dem Alltag. Sie machen neue Erfahrungen, die sie zu Hause nie haben, ihnen werden Grenzen aufgezeigt. Außerdem sollen sie durch so etwas lockerer werden. Genug Schlaf haben sie zu Hause immer, daher sieht er es nicht als schlimm an, wenn man ihnen dort einige Nächte lang weniger Schlaf als sonst ermöglicht.
Bald fahre ich wieder in ein Camp, wo ich sogar mit dem Chef der Firma arbeiten werde. Ich wurde schon gewarnt, dass er in Bezug auf solche Aktionen besonders extrem ist, gern Essensschlachten macht und auch keinen Betreuer verschont. Solche Aktionen werden dann wohl jeden Tag auf meinem Programm stehen.
Nun möchte ich euch fragen, was ihr von der ganzen Sache haltet. Es ist ein langer Text geworden, da ich es wirklich genau beschreiben wollte. Ich möchte die Organisation keinesfalls schlecht reden, mir macht es Spaß, für sie zu arbeiten und bei den Kindern ist sie sehr beliebt. Aber ich frage mich, ob solche Methoden wirklich so normal sind und was die Eltern im Nachhinein denken, wenn Kinder ihnen von diesen Erlebnissen erzählen.
Die Kinder meiner Freundin haben mir auch schon von solchen Aktionen erzählt, aber bei ihnen im Lager findet das wohl einmal quasi in der Nacht als Überfall statt. Die Kinder fanden das spannend und lustig. Ich denke auch, dass im Urlaub ordentlich Blödsinn gemacht werden darf, wenn man gleichzeitig vermittelt, dass das im Alltag natürlich nicht geht. Im Übrigen denke ich auch, dass man einen Draht zu Kindern aufbaut, in dem man sich auch mal daneben und kindgemäss verhält.
Genau da ist aber auch der Knackpunkt. Bei Kindern schaukeln sich gewisse Dinge gern auf und am Ende wird es wilder und wilder, bis einer heult. Da denke ich einfach, dass man ein gesundes Maß finden muss. Für mich ist ein Dickmann im Gesicht nicht schlimm. Oder ein gekochtes Ei, das man am Kopf aufschlägt. Bei Essensschlachten habe ich da schon wieder Vorbehalte, immerhin handelt es sich da um Lebensmittel.
Ich war selbst Betreuerin von diversen Kindercamps. Und ich muss sagen, dass ich solche Aktionen überhaupt nicht kenne. Zum Glück. Ich halte ehrlich gesagt nichts davon. Ich hätte es auch als Kind nicht lustig empfunden, wenn man mir einen Dickmann ins Gesicht knallt. Ich war als Kind selber auch in einem Ferienlager und habe diese Zeit als ganz toll in Erinnerung. Wir waren auf einer Alm und konnten uns dort so richtig austoben. Meine Geschwister waren auch dort und wir alle schwärmen total von diesen Ferienzeiten. Wir waren vergangenes Wochenende sogar aus "Nostalgiegründen" wieder auf dieser Alm. Ich habe einfach nur schöne und lustige Erinnerungen an diese Kindercampzeit.
Natürlich wurde viel für Spaß und Unterhaltung gesorgt. Aber es ging niemals in die "gemeine" Richtung. Also ich bin schon sehr der Meinung, dass Kinder auch ohne Dickmann und Edding endlos viel Spaß haben können. Mir hätte das als Kind wie gesagt definitiv nicht gefallen und auf so ein Lager wäre ich wohl nie wieder gefahren.
Und ja, ich bin auch der Meinung, dass auf so einem Kinderlager durchaus einiges erlaubt sein darf, was im Alltag nicht so geht. Zum Beispiel, dass die Kinder länger aufbleiben dürfen, oder wir haben damals in dem Lager zum Beispiel auch immer ein riesiges Lagerfeuer gemacht, was wir im Alltag auch nicht gemacht haben, zumindest nicht in diesen Dimensionen. Auf dieser Alm gab es auch ein Moorgebiet, wo es recht sumpfig war. Uns war es "strikt" verboten, dort hinzugehen, eben weil es so sumpfig war. Natürlich waren wir regelmäßig dort und der eine oder andere Gummistiefel ist wohl dort stecken geblieben und vom Erdboden aufgesaugt worden. Wirklich gefährlich war es jedoch nicht. Und ja, diese Grenzen finde ich dürfen durchaus überschritten werden.
In der Nacht wurden wir jedoch niemals bemalt oder dergleichen. Ich halte das als Animation auch nicht für notwendig. Und auch auf den Camps wo ich selber Betreuerin war, gab es das nicht. Ich war als Outdoorpädagogin dort und es gibt derart viele Möglichkeiten Kinder zu faszinieren, ja auch heutzutage im Handy Zeitalter, dass ich es nicht für notwendig halte, Streiche mit Eddings, Dickmann und Co zu veranstalten. Diese Art von Unterhaltung macht meiner Meinung nach nur "ungeschultes" Personal, die sich einfach sonst nicht zu helfen wissen. Und nein, mein Sohn hätte daran soweit ich das beurteilen kann, auch keinen Spaß und ich würde ihn in so ein Camp auch nicht geben.
Ich bin ehrlich gesagt eher entsetzt darüber, dass die Kinder nicht von selbst auf solchen Blödsinn kommen. Zumindest haben wir früher im Ferienlager keinen Erzieher benötigt, um andere Kinder irgendwie in dieser Richtung zu ärgern. Im Gegenteil, da hat selbst der oberste Verantwortliche, damals Lagerleiter genannt, Zahncreme am unteren Teil der Türklinke gehabt, wenn er morgens aus dem Waschraum kam. Aber wie gesagt, gingen solche Aktionen von uns Kindern aus und wurden halt von den Erziehern toleriert.
Dass es nun schon soweit ist, dass man die Kinder zu solchen Dingen animieren muss, finde ich schon traurig. Und ich habe zumindest meine Kinder darüber aufgeklärt, dass aller Blödsinn soweit durchführbar ist, wenn vorher klar ist, dass kein gesundheitlicher oder materieller Schaden entsteht. Diese Erklärung bezog sich zwar auf den Schulalltag, würde aber auch auf ein solches Feriencamp passen.
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