Menschen, die sich zu viel um Gräber kümmern

vom 27.08.2010, 21:16 Uhr

Meine Tante ist jetzt bereits acht Jahre Witwe und lebt alleine. Nicht weit von ihrem Wohnort entfernt, liegt der Friedhof, auf dem ihre Eltern und auch ihr Mann beerdigt wurden. Mir ist seit einiger Zeit aufgefallen, dass meine Tante sehr oft zu dem Friedhof geht, andauernd die Blumen auswechselt und auch sehr oft die Gräber mit einem nassen Lappen und Waschmittel putzt. Auch der kleine Weg rund um das Grab wird gefegt, die Blätter aufgesammelt und der Kieselboden gefegt, bis er eben ist. Das macht sie unter Umständen auch mehrmals die Woche.

Ich habe langsam den Eindruck, dass meine Tante sich mit der Pflege der Gräber über ihre Einsamkeit hinwegtrösten will. Es ist doch nicht normal, dass jemand ständig die Gräber seiner Familie putzt oder wie seht ihr das? Ihre Kinder kommen sie im Durchschnitt eigentlich mindestens einmal die Woche besuchen und sie hat auch einen Hund, um den sie sich kümmert, sie ist also nicht völlig alleine. Meine Eltern ist das auch aufgefallen, aber sie meinen, dass man da nichts gegen tun sollte, da dies schließlich keine schlechte Angewohnheit ist. Mir hingegen kommt das mittlerweile schon fast zwanghaft vor und ich habe meine Tante auch bereits darauf angesprochen, aber sie meinte bloß, sie könne die Gräber doch nicht so verdreckt stehen lassen, was würden denn die Leute denken.

Ist Grabpflege in diesem Fall vielleicht schon wirklich eine krankhafte Art seine Trauer und Einsamkeit zu bewältigen? Sollte ich möglicherweise versuchen mit meiner Tante zu reden und ihr zu helfen oder sollte ich es einfach dabei belassen?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Lass es doch dabei. Sie gefährdet doch keinen damit. Sie ehrt ihre Angehörigen, die verstorben sind mit diesem Ritual und warum sollte man ihr das verbieten oder sie davon abhalten? Wenn es ihr hilft über die Trauer hinwegzukommen und sie dadurch ihrem Mann näher ist, kann es doch nichts sein, was krankhaft ist. Deine Tante muss ja auch nicht einsam sein. aber sie fühlt sich halt auch verpflichtet dies zu machen.

Ich denke, dass es wirklich jedem selber überlassen ist und als ich noch in der Stadt gewohnt habe, wo meine Schwiegermutter beerdigt ist, war ich auch jeden Tag auf dem Friedhof und habe Laub weggemacht und den Grabstein mindestens einmal die Woche geputzt. Ich war in dem Moment in ihrer Nähe und ich muss sagen, dass mir das sehr fehlt, seitdem ich nicht mehr so oft dort sein kann.

Dass deine Tante das nach all den Jahren noch macht zeigt doch nur, dass sie sich ihrem Mann sehr verbunden fühlt und sie bestimmt auch glücklich miteinander waren. Sie ehrt ihn und will ihm eben auch über den Tod hinaus noch zeigen, dass sie alles für ihn macht.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Du sprichst im letzten Satz ja schon an, dass die Grabpflege eine Art der Trauerbewältigung ist. Allerdings würde ich im Gegensatz zu dir nicht sagen, dass sie krankhaft ist. Jeder Mensch geht mit seiner Trauer anders um und ich kenne viele ältere Menschen, die, nachdem sie ihren langjährigen Partner verloren haben, täglich oder sogar mehrmals täglich am Grab des Partners vorbei gehen. Dazu sind Friedhöfe ja auch da, damit man einen Ort hat, an dem man sich erinnern kann und traurig sein darf.

Besonders für die ältere Generation ist diese Verörtlichung von Erinnerung noch sehr typisch. Um die Trauer aus dem Alltag heraus zu halten ging man eben zum Friedhof und für jemanden, der mehrere Jahrzehnte mit einem Menschen zusammen gelebt hat, ist es mitunter ganz natürlich dies auch jeden Tag zu tun. Diese Besuche haben dann auch rituellen Charakter, die Pflege des Grabes ist für deine Tante wahrscheinlich auch Besinnung. Einfach nur an einem Grab zu sitzen ist schwierig, trotzdem hat sie wahrscheinlich das Bedürfnis ihrem Ehemann mehrere Stunden Zeit zu widmen und deshalb verbindet sie diese Zeit mit praktischen Aufgaben. Putzen und aufräumen hat ja auch etwas beruhigendes, deshalb denke ich dass es ihr nicht ausschließlich darum geht die Reinlichkeit zu bewahren.

Solange sie keinen krankhaften Zwang verspürt diesen Ort aufzusuchen und beispielsweise trotz Fieber dort hin geht und arbeitet, ist ihr Verhalten meiner Ansicht nach in den normalen Trauerprozess einzuordnen, der ihr ganzen Leben lang anhalten wird. Natürlich könntest du ihr vorschlagen stattdessen bei ihr in der Wohnung eine Erinnerungsecke einzurichten oder derartiges, aber dann hätte sie keine Möglichkeit mehr zwischen sich und ihre Trauer räumlichen Abstand zu schaffen. Deine Tante hat sich ihr Leben so eingerichtet, wie sie es für richtig hält, das ist doch auch ihr gutes REcht, oder nicht?

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» Feuerputz » Beiträge: 1415 » Talkpoints: 7,29 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich würde sie auch einfach machen lassen. Wenn es ihre Art ist, mit ihrem Mann und ihren Eltern verbunden zu bleiben, bei ihnen zu sein, würde ich mir da ehrlich gesagt gar keine großartigen Gedanken drum machen.

Das Grab ist doch ein Ort um dem Verstorbenen einen Platz einzurichten, an dem man intensiv an ihn denkt, den man pflegt, als wäre der Verstorbene direkt dort. Ich kann es vollkommen verstehen, dass Deine Tante es sauber und ordentlich haben möchte.

Okay, das Grab meines Vaters wird nicht so sehr gepflegt, allerdings steht auch noch kein Grabstein drauf. Trotzdem sind wir eigentlich mindestens ein Mal pro Woche dort um nach dem Rechten zu sehen und es wieder ordentlich zu machen. Und dafür, dass kein Grabstein dort ist haben wir uns auch sehr viel Mühe gegeben, es trotzdem schön zu machen. Wir haben es mit Holzstücken bedeckt und mit weißen Kieselsteinen umrandet, Blumentöpfe und Deko darauf gestellt.

Also so lange Deine Tante nicht mehrmals am Tag zwanghaft zum Grab geht sondern ihr normales Leben einigermaßen normal weiter lebt, sehe ich wirklich kein Problem.

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» ArcaNoé » Beiträge: 299 » Talkpoints: 2,45 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Das Grab ist der einzige Ort, an dem sie mit ihren toten Verwandten noch in Kontakt kommen kann. Wenn sie noch trauert, finde ich es völlig normal, dass sie sich so liebevoll um das Grab oder die Gräber kümmert. Sie möchte doch auch, dass die Gräber schön sind, schließlich ist das die letzte Ruhestätte ihres Mannes und ihrer Eltern. Und es ist ihre einzige Möglichkeit, mit den Verstorbenen noch etwas in Kontakt zu sein.

Da der Friedhof in der Nähe liegt, liegt es für mich nahe zu denken, dass sie einfach die Entfernung nutzt um sich häufiger darum zu kümmern. So kann sie gedanklich ihrem Mann und ihren Eltern näher sein und ihnen auch jetzt noch zeigen, wieviel ihr einst an ihnen lag. Ich finde das toll, wenn jemand so etwas macht und empfinde dies keineswegs als krankhaft. Insbesondere dann nicht, wenn sie vielleicht noch trauert und damit ihre Trauerarbeit leistet.

Du solltest dir darüber nicht allzu viele Gedanken machen, denn das was sie da tut ist völlig normal. Ich weiß nicht, ob du schon einmal jemanden verloren hast, der dir so nahe stand wie es bei ihr der Fall ist. Vielleicht würdest du es dann auch mit anderen Augen sehen.

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» Vampirin » Beiträge: 5979 » Talkpoints: 30,32 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich würde es einfach so belassen und deine Tante weiterhin die Gräber pflegen lassen. Warum auch nicht. Ich denke dass viele Menschen so mit ihrer Trauer umgehen. Viele Menschen fühlen sich einfach den Verstorbenen nahe wenn sie am Friedhof sind, und anstatt einfach nur da zu stehen und nichts zu machen pflegt deine Tante eben die Gräber. Ich finde das vollkommen in Ordnung.

Ich finde es eher schade wenn die Leute überhaupt nicht auf den Friedhof gehen und die Gräber verwildern lassen. Das ist für mich viel schlimmer. Ich denke das deine Tante eben ein schönes "Zuhause" für ihre Verwandten möchte, und daher einfach alles blitz blank putzt.

» wiesel » Beiträge: 1303 » Talkpoints: 0,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich gehe mal davon aus, dass deine Tante eine total andere Generation ist als du. Ich gehe sogar mal davon aus, dass sie mit Sicherheit schon im Rentenalter ist oder zumindest nicht mehr Arbeiten geht. Das sind in meinen Augen nämlich zwei Faktoren, die ein solches Handeln begründen können.

Meine Großmutter hat sich auch immer viel um das Grab ihres Mannes gekümmert. Meine Mutter hingegen, hatte da wenig Interesse dran. Aber früher was das halt so, dass man sich regelmäßig um die Gräber gekümmert hat. Und wenn deine Tante keinen Arbeitsplatz hat, füllt sie ihr Leben halt mit anderen Dingen. Beziehungsweise gehörte die Grabpflege früher durchaus mit zu den Aufgaben einer "ordentlichen Hausfrau". Und es kommt im Fall sicherlich auch noch begünstigend dazu, dass der Friedhof halt in der Nähe liegt. In meiner Familie hatte es sich nach dem Tod unserer Mutter eingebürgert, dass mein Bruder die Hauptpflege übernahm, weil es quasi auf seinem Arbeitsweg lag. Für mich ist der Besuch des Friedhofes mit wesentlich mehr Kosten und Aufwand verbunden. Und ich gebe auch ehrlich zu, es gibt mir nichts, mich da an das Grab zu stellen.

Und für deine Tante ist es sicherlich auch Trauerbewältigung. Da sind alle Menschen die sie mal geliebt hat und so. So etwas nimmt an Kraft zu, wenn man viel alleine ist. Und das kann auch oftmals halt nicht durch gelegentliche Besuche Verwandter ausgeglichen werden.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Ich finde, dass es etwas normales ist. Früher wurde ja gleich über einen geredet, wenn das Grab eines Angehörigen schmutzig war. Deine Tante gehört wahrscheinlich auch noch zu dieser Generation.

Ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich mal so sein werde, dass ich dann so oft am Friedhof bin und das Grab sauber mache, aber ich kann auch nicht sagen, wie das dann später mal ist. Ich gehe sowieso nicht gerne an das Grab. Da ist es immer so endgültig, dass der Verstorbene nicht wieder kommt. Ich sage mir auch immer wieder, dass man auch daheim trauern kann oder eine Kerze anzünden kann, aber früher war das eben nicht so.

Mein Schwiegervater ist letztes Jahr verstorben und meine Schwiegermutter ist auch sehr viel am Friedhof. Anfangs war sie fast jeden Tag dort. Sie kann ihrem verstorbenem Mann am Grab nahe sein. Im Sommer gehören dann auch die Blumen gegossen, dadurch ist sie öfter dort, im Herbst ist meist das Laub, was auch nicht schön aussieht, wenn es am ganzen Grab verteilt liegt. Meine Schwiegermutter findet immer wieder etwas, dass sie am Grab erledigen muss.

Ich denke auch, dass das wirklich oft der Fall ist wegen der Verbundenheit und eben wirklich auch wegen dem Gerede der anderen Leute. Jeder geht mit seiner Trauer anders um. Die einen meiden den Friedhof, andere wieder brauchen diese regelmäßigen Rituale. Jedem das seine.

Ich würde mir keine Sorgen um deine Tante machen. Für sie ist das Alltag geworden und gehört wie für uns die Arbeit, der Haushalt und andere Dinge einfach dazu.

Ein kleiner Denkanstoß: Wenn du am Friedhof bist, kommst du ja sicher an vielen Gräbern vorbei, bis du bei dem von deinem Onkel bist. Achte das nächste Mal darauf, was du dir denkst, wenn du an einem Grab vorbeikommst, dass ungepflegt, schmutzig und lieblos ausschaut und vielleicht gar keine Kerze brennt. Was geht da in dir vor. Wenn du dann zum Grab deines Onkels kommst, dass sauber und liebevoll gepflegt ist, was geht dann in dir vor.

Ich muss sagen, dass mir das immer irgendwie weh tut, wenn ich einem ungepflegten, lieblosen Grab vorbeikomme an dem nicht einmal eine Kerze brennt. Oft spiele ich dann mit dem Gedanken, diesem Verstorbenen eine Kerze hinzustellen, damit wenigstens etwas auf dem Grab steht. Wenn ich dann weiter zu unserem Grab gehe, freue ich mich immer wie liebevoll und sauber es ist.

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» Lillylein1987 » Beiträge: 564 » Talkpoints: 3,55 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Sicherlich kann es einigen Menschen helfen, ihre Trauer zu bewältigen, indem sie sich übermäßig um das Grab eines Verstorbenen kümmern. Immerhin sind sie der Person dann auch nahe, wenn sie am Friedhof sind und ich denke, dass viele Menschen diese Nähe zum Verstorbenen auch brauchen. Oftmals ist es ja auch so, dass manche Menschen ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie eine verstorbene Person nicht oft genug besuchen und von daher versuchen manche Menschen eben auch, so oft wie nur möglich zum Friedhof zu gehen. Und oftmals lässt sich so ein Besuch ja auch damit verbinden, dass man etwas am Grab macht.

Auch wenn es natürlich nichts Schlimmes ist, wenn man öfters zum Friedhof geht und sich um Gräber kümmert, finde ich es dennoch schade, dass manche Menschen quasi nur noch in der Vergangenheit leben. Auch wenn natürlich nichts dagegen spricht, sich an die verstorbene Person zu erinnern und sich um ihr Grab zu kümmern, sollte man bedenken, dass das Leben weiter geht und dass es nichts bringt, jeden Tag auf dem Friedhof zu verbringen. Der Verstorbene wird es einem doch nicht böse nehmen, wenn man wieder seinen Alltag aufnimmt und ich fände es auch nicht richtig, ständig auf dem Friedhof zu sein. Immerhin wird man auf diese Weise nie auf andere Gedanken kommen und das tut einem selbst auch nicht gut. Man sollte ja auch wieder Freude am Leben haben können, auch wenn man eine geliebte Person verloren hat.

Wenn deine Tante jedoch trotzdem normal ihrem Alltag nachgeht und auch nicht den Haushalt durch die vielen Besuche auf dem Friedhof vernachlässigt, würde ich mir nicht unbedingt gleich Sorgen machen. Bedenklich würde ich es nur finden, wenn deine Tante ihren Hund oder auch ihre Arbeit vernachlässigen würde, um öfters auf dem Friedhof sein zu können. Solange das jedoch nicht der Fall ist und sie Kraft aus diesen Besuchen schöpft, würde ich sie damit lassen.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge


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