Verwundert über Selbsteinschätzungen
Immer wieder ist - nicht nur hier im Forum - von Leuten zu hören, was sie alles nicht haben durchstehen müssen und was sie "früher" in ihrer Kindheit erleben durften und es ihnen angeblich aber nicht geschadet hätte. Diese Einschätzung, keinen Schaden genommen zu haben, gibt man sich praktisch selbst. Unterschlägt dabei aber die Tatsache, dass man ja gar nicht weiß, was ein Schaden im jeweiligen Fall bewirken würde. Sollte man tatsächlich einen Schaden davongetragen haben, würde einem alles in Folge "normal" erscheinen. Man müsste doch zwangsläufig von sich behaupten, "normal" zu sein oder eben keinen Schaden erlitten zu haben. Eben weil man selbst nichts anderes kennt - und der eigene Zustand der Normalzustand ist!
Auch die Überlegung, dass ja wohl kein wirklich verrückter Mensch (was auch immer man darunter verstehen mag) von sich behaupten würde, verrückt zu sein. Im besten Fall sieht man ja die verrückten Menschen dann immer in den anderen. Aber zu einer Selbstdiagnose, dass man von der Norm (im negativen Sinn) abweicht, ist doch eher selten. Klar mag es Leute geben, die sich für was unglaublich besonderes halten und sich daher selbst positiv von der Norm abheben (wollen). Aber niemand würde z.B. sich selbst als Psychopathen sehen (können oder wollen).
Woher kommt diese schnelle (oft falsche?) Selbsteinschätzung, nicht verrückt zu sein oder in keinem Fall jeweils einen "Schaden" davongetragen zu haben, auch wenn man als Kind z.B. Unmengen von Pornografie konsumiert hat, als Jugendlicher regelmäßig Drogen genommen hat oder aber in der Schule ausschließlich durch Betrug seine Leistungen hoch gehalten hat?
In erster Linie ist ein Schaden doch, wenn man selbst darunter leidet. Die Norm wird nur von der Allgemeinheit festgelegt, ob man nach dieser lebt oder davon abweicht, sollte für das eigene Seelenheil keine Rolle spielen. Ich denke, dass die Aussage, dass man selbst keinen Schaden davongetragen hat immer dann getroffen wird, wenn man sich subjektiv nicht geschädigt fühlt und nicht mehr unter einem Vorkommnis leidet.
Verrückte, wie Du sie nennst, wissen oft tatsächlich nicht, dass sie psychisch krank sind, allerdings trifft das nur auf das Krankheitsbild einer Psychose zu. Ein Psychopath ist intelligent genug, dass er genau weiß worunter er leidet, er geht damit lediglich nicht hausieren. Andere "Verrücktheiten", wie Angststörungen, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen sind den Betroffenen sehr wohl bewusst, wenn sie es auch nicht immer mit bestimmten Ereignissen der Vergangenheit in Verbindung bringen können.
Ich finde nicht, dass man sich selbst überschätzt oder falsch einschätzt, wenn man nach subjektivem Befinden urteilt. Außenstehende können viel weniger beurteilen, ob eine Situation einen Schaden hinterlassen hat oder nicht. Oft ist es auch so, dass wenn sich an der Persönlichkeit nach einem gewissen Ereignis nichts geändert hat, man es für sich selbst als unschädlich empfindet.
Jess0708 hat geschrieben:Ich finde nicht, dass man sich selbst überschätzt oder falsch einschätzt, wenn man nach subjektivem Befinden urteilt. Außenstehende können viel weniger beurteilen, ob eine Situation einen Schaden hinterlassen hat oder nicht.
Außenstehende können dies deiner Meinung nach weniger beurteilen? Wie ist es denn mit dem Vergewaltiger, der fest davon überzeugt ist, dass die Frau es eigentlich wollte? Oder wie oft diagnostiziert ein Psychopath sein eigenes "Leiden"? Selbst die Krankheitsbilder die du genannt hast, sind Krankheiten, die oftmals bis zur Diagnose von Dritten (!) nicht wahrgenommen werden.
Leider beginnt "der Schaden" nicht erst dann, wenn man selbst darunter leidet. Es gibt schlicht Menschen, die auch vor sich selbst geschützt werden müssen, weil sie in bestimmten Situationen eben nicht mehr einschätzen können, was Schaden bedeutet. Für sich - aber auch für andere! Daher halte ich die eigene Einschätzung immer für fragwürdig oder gewagt.
Es ist natürlich schön, wenn die Leute kein Leiden empfinden. Das aber bedeutet im Grunde noch nichts. Denn das Leiden ist letztlich nur ein Symptom - welches nicht zwangsläufig mit einer Krankheit einhergehen muss.
Meinst du nicht, dass du Äpfel mit Birnen vergleichst, wenn man Drogenkonsum und einen Spickzettel in der Schule auf eine Stufe stellt? Gut, ich kann von mir behaupten, dass ich in meiner Jugend außer Tabak und ab und an Alkohol keine weiteren Drogen konsumiert habe. Aber ich gebe zu, dass ich während meiner Schulzeit auch den einen oder anderen Spicker hatte. Oftmals nur der eigenen Sicherheit halber, weil man ja gucken könnte. Aber daraus nun einen langfristigen Schaden inszenieren wollen, ist wohl sehr weit hergeholt.
Allerdings gibt es da andere Probleme, wo manche Menschen wirklich psychologische Hilfe benötigen. Ich selbst habe zum Beispiel von meinem Onkel immer zu hören bekommen, dass Mädchen kein Abitur und Studium brauchen, weil sie eh nur heiraten und Kinder bekommen. Diese Meinung hatte er entwickelt, weil seine Schwiegertochter in der elften Klasse die Schule abgebrochen hat, als sie mit zweiten Kind schwanger war.
Mir selbst hat das nichts ausgemacht, dass er versucht hat mir meine Pläne madig zu machen. Ein ehemaliger Bekannter kann es dagegen seinem vor Jahren verstorbenen Vater nicht verzeihen, dass er ihn bei seinen beruflichen Plänen eher blockiert, als unterstützt hat. Allerdings arbeitet er, trotz psychologischer Behandlung, dieses Thema nicht auf, sondern verdrängt es nur.
Man sieht aber an den Beispielen, dass ähnliche Probleme von unterschiedlichen Menschen auch verschiedenen aufgenommen werden. Was den einen noch Jahrzehnte zermürbt, das beeindruckt den anderen Menschen nicht mal, wenn es gerade gesagt wurde.
Es ist tatsächlich so, dass man seine Selbstwahrnehmung meist falsch einschätzt und es ist auch wirklich so, dass andere Personen einen selbst ganz anders sehen, als man sich selbst sieht. Natürlich muss man von sich behaupten ganz normal zu sein, weil man es nicht anders kennt, so zu sein, wie man nun mal ist. Weshalb man auch in anderen Personen, Dinge sieht, die man in sich selber wohl nicht sieht, weshalb man eine andere Person auch für verrückt oder desgleichen einschätzt. Wobei diese Person sich wiederum als Normal ansieht.
Natürlich ist es selten, dass man sich selber zum Beispiel als verrückt darstellt und sich dies auch selber eingesteht. Wer möchte schon freiwillig von sich behaupten, dass er im negativen Sinne nicht normal ist und von den anderen Personen deutlich zu unterscheiden ist. Davon mal ganz abgesehen. Vor allem frage ich mich, wer denn sagt, welche Personen der Norm angehören und, welche Personen sich von der Norm unterscheiden? Das Bild der Norm stellen wir doch selber fest und ich denke, dass jede Person im Endeffekt eine andere Norm hat, woran er feststellt, ob eine Person sich negativ oder positiv von einem unterscheidet.
Vor allem kann man doch als Person gerne behaupten, man habe keinen Schaden von irgendeiner Situation davon getragen werden, wenn man sich heutzutage von der Situation nicht mehr belastet fühlt. Meist merkt man doch selber im Alltag doch auch gar nicht, ob man einen Schaden aus irgendeiner Situation zum Beispiel in der Kindheit davon getragen hat.
Link dieser Seite https://www.talkteria.de/forum/topic-240240.html
Ähnliche Themen
Weitere interessante Themen
- Pappteller statt normaler Teller 3916mal aufgerufen · 13 Antworten · Autor: Sippschaft · Letzter Beitrag von HaseHase
Forum: Essen & Trinken
- Pappteller statt normaler Teller
- Wie oft mistet ihr Beautyprodukte aus? 2485mal aufgerufen · 14 Antworten · Autor: beere · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Gesundheit & Beauty
- Wie oft mistet ihr Beautyprodukte aus?
- Hat man nach der Schule einen großen Verlust an Freunden? 5974mal aufgerufen · 22 Antworten · Autor: Owlytic · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Alltägliches
- Hat man nach der Schule einen großen Verlust an Freunden?
- Oberflächliche Bekannte, die einem etwas verkaufen wollen 1700mal aufgerufen · 12 Antworten · Autor: celles · Letzter Beitrag von Klehmchen
Forum: Freizeit & Lifestyle
- Oberflächliche Bekannte, die einem etwas verkaufen wollen