Knigge auf dem Spielplatz lehren

Meine Großnichte erzählte mir die Tage eine erlebte Geschichte, die mich ein wenig erstaunen ließ. Da ich das geschehene Verhalten in der Form nicht kenne, würden mich einfach mal eure Ansichten dazu interessieren.

Meine Großnichte war mit dem Kind ihrer Nachbarn auf dem Spielplatz. Das macht meine Großnichte öfters. Das Mädchen ist 3 Jahre alt und ein kleiner, aber lieber, Wirbelwind. Ganz begeistert scheint die Kleine von der Rutsche zu sein. So stürmte das Mädchen umgehend auf die Rutsche zu. Dort kletterte gerade ein kleiner Junge, von schätzungsweisen vier Jahren, die Leiter hinauf. Das Nachbarskind meiner Großnichte stellte sich brav hinter dem Jungen an. Drängelte auch nicht, sondern wollte warten, bis sie an der Reihe ist.

Da trat ein Mann auf den Jungen zu, der wahrscheinlich der Vater oder der Onkel des Buben war. Der Mann sagte zu dem Jungen, er soll doch bitte dem Mädchen den Vortritt lassen, deshalb soll er doch das Mädchen vor lassen, alles andere wäre unhöflich. Der kleine Mann ist auch umgehend von den bereits zwei bewältigten Stufen runter gestiegen und hat das Nachbarskind meiner Großnichte vorgelassen.

Der Mann verließ kurz danach mit dem Jungen den Spielplatz. Meine Großnichte war ein wenig verwundert über die Situation. Klar kennt sie auch die Aussage aus dem Knigge-Handbuch, dass man Frauen den Vortritt lässt. Aber das bereits Kindern beibringen, hält sie und auch ich, doch für ein wenig übertrieben. Oder ist es so, früh übt sich eben und man kann das durchaus auch schon Kindern auf dem Spielplatz so lehren?

Eine sehr interessante Geschichte. Das liegt im Auge und ermessen des Betrachters, ob es sinnvoll ist kleinen Kindern schon Knigge beizubringen. Verkehrt ist es sicherlich nicht.

Wenn der Junge schon frühzeitig damit groß gezogen wird und sich eben diese Werte einprägen zeugt das von Anstand. Auch früher wurden Kindern, häufig von Anfang an, gewisse Regeln gezeigt und gelehrt. Geschadet hat es ihnen sicher nicht. Befremdlich ist es sicherlich, weil diese Form der Erziehung eben kaum noch existiert.

Ich finde es gut, wenn Kindern schon frühzeitig gewisse Verhaltensnormen beigebracht werden, da diese heutzutage auch oft zu kurz kommen. Auch bringt man den Kindern schließlich bei Bitte und Danke zu sagen, oder das Besteck ordentlich hinzulegen, Das gehört doch auch zu Knigge. Ob der Junge diese Erziehung dann später beibehält, oder eben doch anders handelt, sei dahin gestellt.

Ich denke sowieso, dass der Knigge schon lange überarbeitet werden sollte. Dieses "Ladys first" ist uralt und kommt mir auch schon so veraltet vor. Wenn mich ein Mann vorlässt, komme ich mir immer dumm vor. Es kommt sicher auf das Elternteil vor, aber ich würde meinem Kind so etwas auf keinen Fall beibringen. Wo ich Wert darauf lege ist, dass mein Kind beim Essen gewisse Manieren hat, da könnte man mich jetzt wahrscheinlich wieder etwas aufhängen und das zu Recht.

So glaube ich, es ist von Elternteil zu Elternteil verschieden, auf was sie bei ihrem Kind Wert legen. Ich denke auch übrigens, dass viele Werte einem selber von den eigenen Eltern schon so mitgegeben wurden und dass man auch möchte, dass die eigenen Kinder das dann auch lernen. Wenn man sich einmal beobachtet, wird man fest stellen dass man im Großteil der Erziehung gleich handelt, wie die eigenen Eltern, weil die eigenen Eltern Vorbilder sind. Und wenn dieser Vater das damals so von seinem eigenen Vater beigebracht bekommen hat, es zu dieser Zeit wichtig war, dann möchte er eben seinem Kind dieses Gentleman- Verhalten auch näher bringen.

Interessant finde ich das Verhalten des Vaters irgendwie schon, aber ob es so sinnvoll ist, vermag ich nicht zu sagen. Sicher ist es toll, wenn man den Kinder Höflichkeitsregeln beibringt, aber das fand ich in dem Fall eigentlich nicht angebracht, weil ich aber auch allgemein nicht der Meinung bin, dass man Frauen immer vorlassen sollte. Das finde ich im Rahmen der Gleichberechtigung irgendwie nicht angebracht. Das Verhalten des Jungen zeigt natürlich deutlich, dass er gut auf den Vater hört und dass er die Regel sicher nicht zum ersten Mal gehört hat.

Aber Kinder sind eben Kinder und ich denke, dass ihnen auch die Möglichkeit geboten werden sollte, das auszunutzen und zu genießen. Wenn dann schon auf dem Spielplatz die Regeln von Knigge erklärt werden, dann finde ich es schon nicht ganz so gewöhnlich. Außerdem hätte ich gerade bei einem kleinen Jungen die Sorge, dass er dann zwar sehr höflich ist, sich aber bei den anderen Jungen im Kindergarten oder der Schule nicht durchsetzen kann, was ich auch wichtig finde. Wenn das Gleichgewicht aber stimmt, dann finde ich es toll.

Ich befürworte es generell schon, wenn Eltern und andere Aufsichtspersonen ihren Kindern auf dem Spielplatz Benimmregeln beibringen. Allerdings finde ich es völlig ausreichend, wenn man Kindern beibringt, dass man an der Leiter der Reihe nach ohne Drängeln ansteht und dass man nicht schubst. Ebenso, dass man erst dann rutscht, wenn die Rutschbahn frei ist. Das erleichtert das Leben ungemein.

Ob solche doch deutlich überdurchschnittlichen Höflichkeitsregeln sein müssen, kann man so aus der Luft nicht beantworten. Das kommt natürlich auch darauf an, in welchen Kreisen sich die Familie bewegt. Es gibt eben durchaus noch Umfelder, wo so ein Verhalten selbstverständlich erwartet wird und man daher die Kinder so auch erzieht. Und ich denke schon, dass so ein Kind, charmant und höflich, weiter kommen wird, als ein klassischer Rüpel.

Vielleicht wollte der Papi auch einfach nur deine Großnichte anbaggern und ihr signalisieren, dass er ein Frauenversteher und Gentleman ist, weil er diese Werte auch an seinen Sohn weiter gibt? Das wäre zumindest eine recht kreative Art der Anmache!