Feststellung der Schulreife

vom 22.04.2010, 10:14 Uhr

Aus aktuellem Anlass stelle ich mir gerade die Frage, wer wie in die Feststellung der Schulreife eingebunden werden sollte. Bei mir bekannten Eltern kommt es nämlich immer mehr zum Frust, weil deren Kind augenscheinlich zu früh eingeschult wurde. Aber mal von Anfang an.

Das betreffende Kind hatte schon lange Probleme mit der Konzentration, was den Eltern schon zwei Jahre vor der Einschulung auffiel. Ein Gespräch mit der Erzieherin des Kindes im Kindergarten bestätigte diese Beobachtung und die Erzieherin unterstützte die Eltern auch darin, dem Kind auch außerhalb des Kindergartens Therapie zukommen zu lassen, was aber leider trotz dieses Engagements lange dauerte. Etwa eineinhalb Jahre ging es zur Schuluntersuchung, auch hier antworteten die befragten Eltern, dass ihr Kind nach ihrem Ermessen noch nicht schultauglich sei. Sechs Monate vor der Einschulung bei einem weiteren Gespräch das gleiche Ergebnis. Da das Kind aber ein Muss-Kind war, wurde von Gesundheitsamt und Lehrern die Schulfähigkeit bestätigt - gegen die ausdrückliche Meinung von Eltern und Erzieherin.

Nun kam das Kind also zur Schule, schaffte die erste Klasse nicht und musste die wiederholen. Nachdem dies schon im ersten Halbjahr absehbar war, kam es dann auch endlich dazu, dass dem Kind die Therapien zuteil wurden, die es eigentlich schon vor der Schule benötigt hätte. Im zweiten Anlauf klappt auch alles sehr gut. Da stellt sich dann doch die Frage, warum Eltern und Kind erst einen solchen Leidensdruck mitmachen mussten (denn das war es, da der Lehrer im ersten Schuljahr dem Kind Faulheit und Unordnung unterstellte und den Eltern erklärte, sie müssten noch mehr und mehr auf das Kind einwirken).

Ist es bei Euch auch so, dass Eltern und Kindergarten-Erzieher im Endeffekt bei der Feststellung der Schulfähigkeit eines Kindes so völlig übergangen werden? Sicher sind besonders Eltern sehr subjektiv; aber sollten geäußerte Bedenken nicht ernster genommen werden als im geschilderten Fall geschehen? Wie sollte überhaupt die Schulfähigkeitsfeststellung geschehen? Bei uns war es zum Beispiel ein 15-minütiger Test beim Gesundheitsamt, der über körperliche Gesundheit bis hin zu bestimmten Fähigkeiten alles abfragte.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich kenne zwei Fälle wo Schularzt und auch Schule die Schulfähigkeit bestätigt haben. Dennoch waren die Eltern hartnäckig und haben sich durchgesetzt, so das die Kinder erst ein Jahr später eingeschult worden. Man will hier die Eltern völlig übergehen, aber wenn diese sich entsprechend kümmern, wird dann halt doch eingelenkt.

Wobei es da eher darum ging, das die Kinder zwar wirklich tauglich waren, aber so knapp am Stichtag geboren, das es die Eltern für besser hielten, wenn sie noch ein Jahr im Kindergarten blieben.

Wenn aber wirkliche Defizite in der Entwicklung vorliegen, so kann man doch schon im Vorfeld über den Kinderarzt einiges versuchen. Denn eine ärztliche Meinung wird da wohl eher anerkannt, wie die von Eltern und Erziehern.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Das Problem in diesem Fall war, dass das Kind halt absolut nicht knapp am Stichtag Geburtstag hatte, sondern ein halbes Jahr vorher. Der Kinderarzt meinte in diesem speziellen Fall leider auch nur, dass man da eben Geduld haben müsse, das würde schon werden. Es gibt im Umkreis von 25 Kilometern leider nur den einen und wenn man noch ein junges Kind sowie einen Vollzeitjob hat, dann ist es auch schwer mal "eben" einen anderen Arzt zu fragen.

Außerdem ist es natürlich möglich, dass man mit genügend Druck auch etwas erreicht. Aber aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass man da wirklich sehr viel Durchhaltevermögen braucht. Prinzipiell sicher nicht das schlimmste. Nur frage ich mich in solchen Fällen gern: muss das sein? Wenn die entsprechende Untersuchung nun schon mal knapp 18 Monate vor der Einschulung stattfindet, damit Kinder im Zweifelsfall noch schulfit gemacht werden können, warum kann man dann nicht einfach mal auch die Bedenken der Eltern ernst nehmen und nachhaken?

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Bist du dir sicher, das es damals schon die Schultauglichkeitsuntersuchung war? Denn die war bei uns vor genau einem Jahr. Also doch recht knapp vor der Einschulung, da die letzten Untersuchungen erst Ende Juni waren. Ok, ich war mit meinen Kindern schon im April bei den ersten dran. Aber es zog sich insgesamt eben über 2 Monate hin.

Den Termin den du da beschreibst hatte ich bei meiner Kinderärztin und das war eine Vorsorgeuntersuchung. In dieser wurde halt geschaut ob eventuelle Defizite vorhanden sind, welche dann ein Jahr später unbehandelt Probleme bei der Schultauglichkeit mit sich bringen könnten.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Ja, ich bin mir sicher, dass das die Schultauglichkeitsuntersuchung war, denn bei meinem Kind war es zwei Jahre später auch noch so der Fall und wir haben die Untersuchung im vorigen Mai also knapp 18 Monate vor der Einschulung beim Gesundheitsamt absolviert. Danach ist von amtlicher Seite erst mal gar nichts weiter vorgesehen - es sei denn, diese erste Untersuchung verläuft negativ. Begründet wird dieser frühe Termin eben damit, dass man Defizite rechtzeitig erkennt und bei Bedarf noch genug Zeit zu handeln hat. Die U9-Vorsorgeuntersuchung fand bei uns knapp 6 Monate nach der Schultauglichkeitsuntersuchung statt.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Aus Elternsicht ist die Frage sicher richtig gestellt. Man denkt schnell, dass die Einschätzenden inkompetent waren, wenn das Kind nach der Einschulung dann doch die Probleme hat, die man als Elternteil oder Erzieher voraus gesehen hat.

Aber nach dem, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, ist das Kernproblem völlig anders gelagert: Es ist ein anderer bildungspolitischer Ansatz, als man als Eltern erwartet. Es hat sich eben vieles geändert in der Einschulungspraxis, ohne dass das den Eltern so großartig erklärt wird. Früher zu unserer Kinderzeit hat man nach anderen Maximen eingeschult. Man hat damals klar unterschieden wer schulreif ist und wer nicht. Wer noch nicht so weit war, wurde gerne mal zurück gestellt. Dabei ging man davon aus, dass ein Jahr Zeit und entsprechende Förderung viel bringt. Da wir das selbst erlebt haben, tendieren wir dazu, das gut zu finden, weil wir es so kennen gelernt haben.

Heute geht man von einem völlig anderen Ansatz aus. Dank Inklusion und Differenzierung werden heute kaum noch Kinder zurück gestellt. Auch dann nicht, wenn sie schon offensichtlich Problemkandidaten sind. Man geht heute davon aus, dass die Kinder nicht einfach so wie Obst am Baum nachreifen, nur weil sie älter werden. Sondern man geht davon aus, dass sie nur mit entsprechenden Lernanreizen nachreifen. Und laut heutiger Ansichten geht das eben am besten in der Schule in einer anregenden und entsprechend differenzierten Lernumgebung. So weit jedenfalls die Theorie. Wie das im Einzelfall an der jeweiligen Schule von der jeweiligen Lehrkraft gelöst wird, das kann man auch nicht voraus sehen.

Manche Schulen setzen darauf, die Kinder möglichst ohne Sitzenbleiben so weit weiter differenziert zu fördern, dass sie in ihrer Lerngruppe bleiben können, aber irgend wann klafft dann die Schere immer weiter auf. Andere lassen die Kinder noch traditionell sitzenbleiben, mit allen Problemen, die damit verbunden sind. Andere setzen noch auf altersgemischten Unterricht, der aber auch langsam nicht mehr so trendy ist, wie vor ein paar Jahren.

Oder anders ausgedrückt: Heute ist eben eine andere Einschulungspraxis bildungspolitisch erwünscht, als zu unserer Kinderzeit. heute versucht man nicht mehr, die Kinder in den Grundschulen zu homogenen Lerngruppen zusammen zu fassen, weil man davon ausgeht, dass das eh nicht geht. Also schult man so ziemlich alles ein, was alt genug ist und nicht enorm Verhaltensauffällig oder schwer krank.

Jetzt sollte man meinen, dass dafür besonders ausgiebig auch schulextern gefördert wird. Leider bleiben die Fördermaßnahmen heute auch immer mehr an den Lehrern hängen, denn was man so von Eltern hört wird es in der Praxis immer schwieriger, Fördergelder für individuelle außerschulische Förderung zuerkannt zu bekommen. Wenn man also selbst nicht das nötige Kleingeld hat, ist es heute eben nicht leichter geworden, seinem Kind mit solchen Problemen zu helfen. Auch deshalb, weil eben die Politik davon ausgeht, dass Lehrer heute das irgendwie besser als früher schaffen müssen, alle Kinder absolut individuell zu fördern. Ungeachtet dessen, dass auch heute noch viele Klassen weit über zwanzig Kinder stark sind und von denen zwanzig eben einige mit besonderen Förderbedarfen sind und trotzdem der Lehrer aus Geldgründen alleine in diesen Klassen steht.

Wenn man mich fragen würde, was man ändern sollte, fiele mir schon dies und das ein. Aber das hat weniger mit der personellen Besetzung bei der Einschulungsuntersuchung zu tun, sondern eher mit den Rahmenbedingungen unter denen Lehrer arbeiten und Schüler ausgebildet werden.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Wie die Untersuchen ablaufen, ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Bei uns werden die Kinder im vorletzten Kindergartenjahr erstmals vom Gesundheitsamt untersucht, allerdings etwas mehr als 15 Minuten. Die Termine werden so vergeben, dass pro Kind bis zu 30 Minuten zur Verfügung stehen. Wenn bei dieser Untersuchung alles in Ordnung war, gibt es keine weitere Untersuchung. Bei Kindern, die auffällig waren, gibt es 1 Jahr später eine zweite Untersuchung. Die Schule selbst bzw. eine Beratungslehrerin testet dann die Kinder, für die eine Rückstellung beantragt wurde, sowie auch die, die vorzeitig eingeschult werden sollen nochmal zusätzlich.

Ich habe für meinen Sohn die Rückstellung beantragt und bin mal gespannt, wieviel Wert da auf meine Meinung gelegt wird. Der Test in der Schule steht erst noch an. Recht spät, wenn man bedenkt, dass im September das Schuljahr anfängt, aber ich habe ja keinen Einfluss darauf, wie die ihre Termine legen.

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» Jessy_86 » Beiträge: 5456 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Ich arbeite selber in dieser Institution und ich muss sagen, dass wir das Glück haben, dass Kindergarten und Grundschule gut miteinander zusammen arbeiten. Die Kinder werden ja schon im Kindergarten bei uns sehr gut unter die Lupe genommen. In unserer Umgebung ist es notwendig, einen drei Seiten langen Bogen auszufüllen, bei dem die motorischen, sozialen, psychischen und rechnerischen Fertigkeiten getestet werden. Das passiert bereits im ersten Kindergartenjahr. Wenn dort ein Kind schon auffällig ist, wird den Eltern empfohlen, sich Hilfe zu holen.

Im zweiten Kindergartenjahr wird der Test fortgeführt. Wenn das Kind in mehr als einem Bereich erstaunlich weit hinten ist, kann es nicht in die Schule kommen, sondern kommt entweder in eine Vorschule oder gleich in die Heilpädagogische Schule. Nach jedem "Test" wird aber immer eine Rücksprache mit den Eltern gehalten und es wird auch sehr viel Wert auf die Meinung der Eltern gelegt.

Man muss aber leider sagen, dass in der Grundschule leider nicht mehr so viel Wert auf Individualität gelegt wird. Ich denke, dass hier das Problem ist, dass die Kinder einfach unter Druck gesetzt werden und mit ihnen die Eltern. Jedes Kind muss in einer bestimmten Norm sein, sonst ist es abnormal. Gibt es denn bei euch keine Integrationsklassen? Hier können Kinder, die beispielsweise an ADHS leiden, mit einer speziell ausgebildeten Person gemeinsam mit anderen Kindern den normalen Unterricht besuchen.

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


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