Erwachsene, die Erlebnisse falsch und schlimm weitererzählen

vom 22.11.2013, 14:50 Uhr

Über die "rege Fantasie" eines Kindes habe ich hier Erfundene Geschichten bei Kindern als rege Fantasie sehen? schon geschrieben. Ich kenne aber auch eine erwachsene Frau, die ich durch ihre Mutter aus meiner alten Heimat kenne. Sie hat genau wie dieses Kind eine wirklich rege Fantasie. Sie ist ungefähr 30 Jahre alt. Sie erzählt oft von ihrer Kindheit und wie schlimm sie doch gewesen ist. Ich kenne beide Elternteile und wir haben im gleichen Haus gewohnt. Die Eltern sind wirklich tolle Menschen. Sicher kann man das als Außenstehende oft nicht beurteilen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Kinder bei dieser Familie was zu leiden hatten.

Wenn ich aber die junge Frau erzählen höre, dann denke ich immer, dass es nicht sein kann. Leider sind die Eltern von der jungen Frau schon verstorben, so dass man nicht mehr nachfragen kann. Kann es denn sein, dass viele im Nachhinein doch eher alles schlechte sehen und das Gute doch ein wenig vergessen? Haben die Leute wirklich Vergangenes so schlecht auf dem Schirm, egal, ob es doch gut gewesen ist? Die junge Frau beispielsweise erzählt, dass sie oft alleine gelassen wurde. Das kann nicht stimmen, weil ich auch viel mit der Mutter zusammen war und wenn sie die Wohnung ohne die Kinder verlassen hat, dann nur am Abend und wenn sie zu mir gekommen ist und ein Babyfon dabei hatte.

Der Mann hätte sie als Kind immer verprügelt. Aber auch das kann ich nicht glauben, weil ich die Kinder kaum habe weinen sehen. Meine Nachbarin hätte mir aber auch erzählt, wenn der Mann gewalttätig gewesen wäre und die Kinder haben sich immer gefreut den Mann zu sehen. Ich frage mich, warum man vergangene Sachen oft viel negativer sieht als sie waren. Geht es euch vielleicht auch so? Wie würdet ihr mit so einem Menschen umgehen, wo ihr doch die Eltern kanntet und wisst, dass es nie so gewesen sein kann?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Ich kenne niemanden, der richtig erfundene Geschichten erzählt. Aber ich kenne Menschen, die wirklich maßlos übertreiben, wenn sie etwas weiter erzählen und durch das dramatisieren stimmt es dann eben auch einfach so nicht mehr. Es ist eben schon ein Unterschied, ob man mit dem Fuß umknickt, oder ob man sich den Fuß mehrfach gebrochen und vor Schmerzen gewunden hat. Und peinlich ist es dann natürlich für die, die in der Geschichte vorkommen und die dann darauf angesprochen werden und alles richtig stellen müssen.

Aber Erfahrung macht ja klug und irgendwann erzählt niemand mehr solchen Menschen etwas und dann können sie es auch nicht weiter erzählen. Ich kann auch nicht verstehen, was solche Menschen davon haben. Wollen die dadurch Aufmerksamkeit? Die müssen doch auch davon ausgehen, dass die Wahrheit heraus kommt und dann ist die Glaubwürdigkeit der Personen doch gleich bei Null.

In der Oberstufe hatten wir damals auch so eine Person. Die wurde schon von allen gemieden. Aber immer, wenn man Mitleid hatte und sie versucht hat zu integrieren ist sie gleich los und hat Geschichten falsch herum erzählt. Das war sehr anstrengend. Und da muss man sich dann echt auch nicht wundern, wenn man nicht gemocht wird.

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» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge


Hmm, Du schreibst, die Mutter hätte die Wohnung höchstens abends mit Babyphon die Wohnung verlassen, wenn sie zu Dir kam. Vielleicht fühlte sich die Dame da alleine? Kinder bekommen oft mehr mit als man denkt.

Übrigens: Ich wurde zu Hause auch geprügelt, aber niemals, wenn es jemand mitbekommen hätte. Die größte Befürchtung meines Vaters war immer "Was sollen denn die Nachbarn denken?" Ich hätte das auch nie jemandem erzählt aus lauter Angst vor meinem Vater und entsprechend weiteren Prügeln. Die direkten Nachbarn dürften es allerdings mitbekommen haben.

» Grisella » Beiträge: 35 » Talkpoints: 8,36 »



@Diamante: Eine Mutter wird kaum damit hausieren gehen, wenn der Mann gewalttätig ist. Und Kinder können auch nach außen sehr viel verstecken, so dass andere Menschen gar nicht merken, was sich hinter verschlossenen Türen so abspielt. Da einfach zu behaupten, man kenne die Leute ja schon ewig und man hätte ja die Kinder nie weinen sehen.

Ich würde da nicht denken, dass die Frau übertreibt. Vor allem sieht man als Kind viele Dinge wesentlich extremer als sie Erwachsene sehen. Und sie bleiben dann auch oftmals noch schlimmer in Erinnerung, als sie eigentlich waren.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Ich habe im Bekanntenkreis zwei Schwestern, die einige Jahre auseinander sind. Das interessante ist, dass sie zwar ähnliche Dinge erzählen, aber diese völlig unterschiedlich bewerten. Die Jüngere ist dabei sehr viel positiver als die Ältere, die ganz klar erzählt, dass das Nesthäkchen bevorzugt wurde. Da ist dann davon die Rede, dass die Ältere nicht an die Wurst durfte, die nur für die Jüngere gekauft wurde.

Ich glaube, dass kindliche Erinnerungen was schwer fassbares sind, wo sehr viele kindliche Gefühle mit hineinspielen, die man als Erwachsener gar nicht mehr so abrufen kann. Kinder stehen ja eher im hier und jetzt und sind nicht so abgklärt, da können Kleinigkeiten schon furchtbar schlimm und dramatisch sein und Eltern sind auf einmal voll gemein und unfair, dabei geht es auch Erwachsenensicht dabei um Pillepup. Außerdem neigt Mensch dazu, gerade das negative zu verinnerlichen und dort zu pflegen.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich finde es ziemlich merkwürdig jemandem eine rege Fantasie zu unterstellen, nur weil man die mutmaßlichen "Täter" anders kannte. Es wird wohl kaum eine Familie geben, in der alles rosig läuft, aber die meisten werden dies nicht nach außen tragen. Auch nicht bei guten Freunden. Und wenn jemand sagt, dass er oft allein gelassen wurde, muss das nicht nur physisch bedeuten. Es kann auch sein, dass man sich vernachlässigt gefühlt hat, obwohl immer jemand da war.

Und seit wann müssen Kinder ständig weinen, wenn sie geschlagen werden? Nur weil der Nachbar das Kind nicht weinen sieht, heißt es doch noch lange nicht, dass es nicht geschlagen wird. Du siehst, ich komme mit der Logik nicht so ganz klar. Natürlich ist es nicht schön, wenn man solche Geschichten über Leute hört, die man mag. Aber man weiß auch, was alles hinter verschlossenen Türen passiert, weil es oft genug doch heraus kommt. Und dann heißt es immer, dass man sich das von diesem Nachbar niemals gedacht hätte.

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» PinkPirate » Beiträge: 646 » Talkpoints: 2,35 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich kenne einige Leute, die gerne dazu neigen, zu übertreiben. Das ist aber auch nicht verwunderlich, da man dann auf diese Weise auch Mitleid erregen kann. Gerade dann, wenn man darüber erzählt, wie sehr man doch selbst leiden musste und wie schwer man es im Leben doch hatte, erregt man in der Regel Mitleid und ich denke, dass es das ist, was die Menschen wollen. Sie wollen einfach im Mittelpunkt stehen und sie wollen, dass sich andere Menschen um sie sorgen. Und das geht natürlich nicht, wenn sie bei der Wahrheit bleiben.

Sicherlich ist es aber auch so, dass man sich nach einigen Jahren nicht mehr genau in eine vergangene Situation hinein versetzen kann. Man kann sich zwar noch grob an die Situation erinnern, wobei man sich nicht mehr genau an die Empfindungen erinnern kann. So ist es bei mir beispielsweise auch so, dass mir im Nachhinein irgendwelche Prüfungen oder schlimme Situationen längst nicht mehr so schlimm vorkommen, wie damals. Und ich denke, dass das sicherlich auch umgekehrt geht und dass manche Leute eben einige Ereignisse schlimmer in Erinnerung haben, als sie waren. Dabei ist es aber so und ich denke nicht, dass man da bewusst etwas verschlimmern möchte. Es kommt einem aber eben so vor und man kann ja nicht die gleichen Gefühle von damals noch einmal erleben, um sich exakt an die damalige Situation erinnern zu können.

Gerade dann, wenn man als Kind etwas erlebt hat, dann ist das ja auch schon so lange her, dass man sich absolut nicht hineinfühlen kann. Oftmals ist es aber auch so, dass einem als Kind einige Sachen viel schlimmer vorkommen, als für Erwachsene. So erscheint einem als Kind die Dunkelheit beispielsweise noch dunkler und noch bedrohlicher, als für Erwachsene und man erinnert sich dann beispielsweise nur an dieses extrem bedrohliche und schreckliche Gefühl, wenn man allein im Dunkeln war, obwohl das einem heute vielleicht völlig banal vorkommen würde. Immerhin ändern sich Empfindungen ja auch und wenn man die Situation damals eben als so schlimm empfunden hat, dann ist es auch klar, dass man das auch heute so erzählt, obwohl die Situation einem heute natürlich viel weniger schlimm vorkommen würde.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



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