Euphemismus Tretmühle: Tritt sie wirklich immer auf?

vom 10.04.2014, 04:35 Uhr

In der Sprachwissenschaft gibt es eine interessante Theorie, die Theorie von der sogenannten Euphemismus-Tretmühle. Dabei geht es zuerst um Begriffe beziehungsweise Wörter, die eine negative Assoziation erwecken. Die Theorie besagt, dass es nichts bringt, das Wort zu tabuisieren und durch ein anderes zu ersetzen. Denn früher oder später würde das neue Wort genau dieselben negativen Assoziationen erwecken, wie das vorherige.

Ich empfinde diese Theorie insbesondere vor dem Hintergrund, dass heute ja verschiedene Wörter gerne zum Tabu gemacht werden, und durch angeblich bessere, nicht veraltete, Wörter ersetzt werden sollen. Man kann sich ernsthaft die Frage stellen, ob das etwas bringt. Ob die Menschen, die beispielsweise gegenüber dunkelhäutigen Leuten Vorurteile haben, freundlicher reagieren, wenn man plötzlich statt "Neger" nur noch "Person of Color" sagen darf? Ob jemand, der negativ über "Zigeuner" denkt, plötzlich eine positivere Einstellung gegenüber diesen Menschen hat, wenn der neue offizielle Begriff nun "Mobile Ethnische Minderheit" lautet?

Interessanterweise bilden sich so mit der Zeit ja ganze Wortketten. Nehmen wir als Beispiel wieder Menschen mit einer mehr oder weniger dunkelbraunen Hautfarbe. Irgendwann sagte man "Mohr", was durch "Neger" abgelöst worden ist. "Neger" wurde mit der Zeit "Schwarzer", "Schwarzer" danach "Dunkelhäutiger". Und heute sagt man "People of Color" zu Personen, die "nicht-weiß" sind.

Obwohl man sich darüber auch wieder streiten kann. Ich kenne beispielsweise einige Leute, die laut Definition "nicht-weiß" sind, sogar ich selber bin aufgrund asiatischer Vorfahren streng genommen "nicht-weiß". Aber als ich das erste Mal hörte, dass ich eine "POC", eine "Person of Color" sei, da habe ich auch nur gedacht, dass ich das etwas affig finde. Wenn ich überhaupt man auf meine ethnische Herkunft eingehe, dann sage ich "Asiat", das reicht mir völlig. Aber so ist das ja bei allen Begriffen, manche finden sie okay, andere sind irritiert. Da wird man nie eine 100%ige Zustimmung finden. Aber of "Person of Colour" dann wohl demnächst das nächste "Schimpfwort" sein wird? Was man sich dann wohl als Nachfolgebegriff ausdenkt?

An sich empfinde ich diese Theorie mit der Euphemismus-Tretmühle aber auch als ziemlich logisch. Natürlich bauen sich Vorurteile nicht ab, wenn man bloß ein Wort verändert. Wer Vorbehalte gegenüber Ausländern hat, übrigens auch ein heute langsam nicht mehr erwünschter Begriff, der wird die Vorurteile sicher nicht ablegen, nur, weil man statt "Ausländer" "Migrant" sagt. "Migrant" wird übrigens auch gerade langsam schon wieder abgelöst. Bessern wird sich meines Erachtens nicht.

Aber trotzdem frage ich mich: Gibt es vielleicht auch Begriffe, bei denen mal keine Euphemismus-Tretmühle eingetreten ist? Wenn ja, welche wären das? Wieso ist es in diesen Fällen nicht passiert? Was lief anders, als bei den hier genannten Beispielen, wie "Neger", "Ausländer" oder "Zigeuner"?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Zum einen denke ich, dass es in den genannten Beispielen nicht direkt um Euphemismus geht. Ich habe gelernt, dass Euphemismus darin besteht, eine negative Sache positiv zu benennen, um das Unglück nicht herauf zu beschwören oder um ein Tabu nicht zu brechen. So wurde ein Ozean, der besonders gefährlich war wegen seiner Winde und anderer Wetterkapriolen etwa Stiller Ozean genannt bzw. Pazifischer, also friedlicher. Und der Tod wurde nur deshalb mit dem freundlicher klingenden Namen Sensenmann betitelt.

In den genannten Beispielen geht es meiner Meinung nach eher um die politische Korrektheit. Lange schon sind es ja nicht mehr unbedingt die Leute selbst, die sich mit diesen seltsamen Bezeichnungen, die ihnen die Politik verpasst, diskriminiert oder beleidigt fühlen, sondern diese Stilblüten entstehen aufgrund der angeblichen "politischen Korrektheit".

Insgesamt denke ich, dass einfach eine andere Bezeichnung von Menschengruppen nicht dazu führen wird, dass sich in der Bevölkerung irgendetwas am Verhalten oder Denken ändern wird. Wenn eine Antipathie oder sogar noch schlimmeres gegen Menschen mit dunklerer Hautfarbe besteht, dann kann ich den Leuten zwar sagen, dass sie diese nicht mehr mit "Neger", "Mohr" oder anderen veralteten Begriffen anreden soll - aber es wird nichts ändern. Ob der Rassist nun "Neger" hasst und diskriminiert oder "POC" ist ihm selbst wahrscheinlich herzlich egal.

Ich denke, diese Form von Erziehung der Menschen zu einem Umdenken schlägt gründlich fehl und sollte endlich aufhören. Sie schlägt auch immer komischer klingende Wellen, denn ich habe auch schon als Bezeichnung gehört "Menschen mit einem Migrationshintergrund aus vermutlich Schwarzafrika". Statt dieses Unsinns sollte man lieber Aktionen starten, die wirklich etwas bewirken und zumindest die nächste Generation zu einem toleranteren Denken veranlasst, denn bei den jetzigen Erwachsenen ist es vermutlich leider schon zu spät.

Und um wieder darauf zu kommen, dass der Euphemismus nicht wirkt: Ja, ich denke, in diesen Fällen schlägt er völlig fehl und schafft es nicht, die Menschen zum Umdenken zu erziehen. Diese ganzen angeblich politisch korrekten Bezeichnungen schaffen nur wieder neuen Hass und führen dazu, dass ich inzwischen gar nicht mehr weiß, wie ich Menschen mit einer etwas dunkleren Hautfarbe bezeichnen soll, falls ich es mal müsste. Allein das nervt mich schon und führt wieder dazu, dass ich sauer werde.

:wink: Aber im Endeffekt sind wir ja alle nur Menschen - egal, von welcher statischen oder mobilen ethnischen Mehr- oder Minderheit.

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Das eigentliche Problem bekommt man mit einer Veränderung der Wörter meist nicht in den Griff, denn das Problem sind die Zusammenhänge, in denen die Wörter benutzt werden. Wenn ein Verbrechen von einem Schwarzen begangen wird, dann steht etwa als Schlagzeile in der Zeitung, dass es ein Schwarzer war, dessen Eltern aus Afrika stammen. Wenn ICH eine Bank überfalle, dann steht da nicht, dass es eine Rothaarige war, deren Eltern aus dem Sudetenland stammen. Über die Anwendung der Wörter muss nachgedacht werden, nicht nur über die Wörter selbst.

Manchmal steckt in den Wörtern auch eine Aussage über die Herkunft und damit die Sozialisation, was aber nicht unbedingt stimmt. Ich möchte nicht als Irin bezeichnet werden, weil ich rote Haare habe, denn das ist einfach falsch. Ich habe mit Irland nichts am Hut. Genauso wenig möchte wahrscheinlich ein hier adoptiertes Kind als Mensch mit afrikanischem Hintergrund bezeichnet werden. Dunkelhäutig finde ich okay, weil es ein objektives Merkmal ist. Neger ist oft falsch, weil nicht jeder Dunkelhäutige negroid ist. Dieser Begriff weckt eh ungute Assoziationen, weil er aus einer alten Rassenkunde stammt, ist also zu Recht nicht mehr angemessen.

Aber man muss sich eben überlegen, wann es passend ist, diese Begriffe zu verwenden. Es ist nur dann vielleicht angebracht, wenn man im gleichen Zusammenhang auch rote Haare erwähnen würde.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Diese von dir genannten Euphemismen wirken schon auf den ersten Blick sehr gestelzt. So was muss ja in die Hose gehen, also in die Euphemismus-Tretmühle geraten. Solche Euphemismen erwecken ja oft erst die Aufmerksamkeit und führen dazu, dass das dahinter stehende Problem umso deutlicher zutage tritt. Das ist offener und leicht zu erkennender Dekonstruktivismus.

Aber das was ich unter Euphemismus verstehe, das wirkt schon einige Zeit und wird von den meisten Leuten auch nicht direkt als Euphemismus erkannt. Es frisst sich durch permanente Wiederholung in den Sprachgebrauch und die meisten merken die Verschleierung auch nicht. Denken wir doch mal an Worte aus dem politischen Bereich, wie: Rettungspolitik, Rettungsschirm, Rettungspaket, Sparkommissar, Beitragsanpassung, Nullwachstum, Minuswachstum, Eigenverantwortung übernehmen, Vorwärtsverteidigung, 60 plus, Verteidigungsminister, Bad Bank, alternativlos, Wettbewerb, Innere Sicherheit, Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, finaler Rettungsschuss.

Das soll mal reichen. Aber wie man sieht, das ist fast alles recht aktuell und bei den meisten Worten hat man zunächst mal gar keine Schmerzen, benutzt sie sogar, ohne nachzudenken, völlig hemmungslos selber, ohne je darüber nachgedacht zu haben, dass man die Realität damit ganz schön verschleiert. Ich finde, dass in diesen Fällen die Euphemismus-Tretmühle ganz schön auf sich warten lässt.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



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