Sich mit Tracht einer anderen Kultur verkleiden rassistisch?

vom 17.03.2014, 05:06 Uhr

Mit Karneval habe ich mich eigentlich nie so sonderlich viel beschäftigt. An der Grundschule allerdings gab es manchmal feste Karnevalsfeiern, die dann zeitlich auch wirklich in den normalen Stundenplan mit eingefügt worden sind. An den Tagen kam man also im Kostüm in die Schule. Daher habe ich an solchen Veranstaltungen auch einige Male teilgenommen. So ein sonderlich großer Fan davon bin ich aber nicht unbedingt.

Wenn ich mich an damals, Anfang bis Mitte der 1990er Jahre war das, zurückerinnere, dann kommen mir schon bestimmte Kostüme in den Sinn, die oft vertreten waren. Und das waren eben nicht nur Pirat, Ritter und Prinzessin, sondern beispielsweise gab es auch Mädchen, die unbedingt als Bauchtänzerin gehen wollten, Jungen, die sich als Indianer mit Federschmuck im Haar verkleiden wollten, oder aber beispielsweise Kinder, die als Mexikaner oder Mexikanerin kamen. In letzterem Fall natürlich in klischeehafter Tracht und mit Sombrero.

Jetzt, im Jahr 2014, wird daran allerdings Kritik laut. Gut, eigentlich auch schon seit ein paar Jahren, aber aktuell rückt es medial mehr in den Fokus. Nachdem nämlich vor einer Weile die "Blackfacing"-Thematik in die Medien kam, wird heute auch gegen das Tragen bestimmter volksspezifischer Trachten und Kostüme zu Fasching oder Halloween protestiert. Das Problem soll, so die Kritiker, sein, dass sich Weiße bei diesen Kostümierungen Aspekte anderer Kulturen aneignen würden, aber eben nur auf eine klischeehafte Weise. So gab es vor Kurzem beispielsweise Proteste gegen den "Chinesenfasching" im bayerischen Dietfurt. Außerdem spricht man sich ganz allgemein gegen Kostüme mit kulturellem, "exotischem" Touch, wie beispielsweise Bauchtänzerin, Araber mit Kaftan und Beduinen-Kopftuch oder Geisha, aus.

Was haltet Ihr davon? Und gab es Kritik an diesen Verkleidungen eigentlich auch früher schon? Wie sieht es eigentlich aus, wenn die Kostüme von nicht-weißen Personen getragen werden? Bei der Kritik ist ja immer davon die Rede, dass ein Teil des Problems dabei läge, dass sich weiße, privilegierte Personen verkleiden würden. Und gibt es in Ländern außerhalb von Europa und Nordamerika eigentlich auch Proteste dagegen, fremde traditionelle Trachten als Kostüm anzuziehen? Wenn ja, wo? Oder ist das mal wieder etwas, was außerhalb der "westlichen Welt" wenig Bedeutung hat?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Von solchen Protesten habe ich bisher nichts mitbekommen. Ich bin selbst als Kind in diversen Kostümen zum Fasching gewesen, die dann wohl Kritikfähig sind. Und auch meine Kinder hatten schon entsprechende Kostüme an. Fragwürdig wäre es für mich nur, wenn sich jemand mit einem Kostüm dann so benimmt, als wenn er dann auch der Religion angehören würde. Das wäre für mich eine Sache, wo ich dann an eine Diskriminierung denke, wenn jemand als Araber kommt und den Teppich zum Gebet ausrollt.

Aber nur weil man sich an Fasching verkleidet, sehe ich da noch kein Problem. Da ich mir selbst immer überlegen durfte, was ich anziehen mag und auch meine Töchter diese Freiheit genießen, würde ich sie dahingehend auch nicht beeinflussen. Es sei denn, dann eine Faschingsfeier zu knapp bekannt ist und wir nur improvisieren können, anstatt nun noch diverse Wünsche umzusetzen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Ehrlich gesagt finde ich diese ganze Thematik, die immer wieder gerne auf den Rechtspopulismus gezogen wird total lächerlich. Karneval ist seit eh und je bei uns fest etabliert. Andere Länder feiern diesen auch, aber unter Umständen eben nicht so wie wir. Es ist eben etwas anderes, wenn Kinder & Co sich mal als Polizist fühlen dürfen. Auch die Bauchtänzerin ist etwas Besonderes und schon ein selteneres Bild auf Karneval, für mich jedenfalls.

Ebenso gehören auch die Village People als klassisches Kostüm dazu, wo auch dein dunkelhäutiger oft eben nicht fehlen darf. Andere verkleiden sich als Bill Cosby, Justin Bieber oder Bushido. Man mag es drehen und halten, wie man mag. Es sind faktisch erst einmal nur Kostüme und man sollte aufhören, diese ständig auf geschichtliche und womöglich rasenfeindliche Hintergründe zu ziehen. Dies entsinnt den Karneval völlig, auch wenn ich diesen nicht besonders mag.

Bisher habe ich niemals bei einem Karneval-Fan, der andere Kulturen auch gerne klischeehaft darstellt, geglaubt, dass man damit stets auch vielleicht einen rechten Gedanken tragen könnte. Auch finde ich müssen Betroffene doch nicht zwischen Klischee und reelle Lebensweisen unterscheiden. Das überlassen wir doch wohl jedem selber.

Ohnehin empfinde ich das Eingreifen in die eigene Freiheit, ob künstlerisch wie beim Karneval oder auch satirisch wie beim Singen, für falsch! Überall wird schon der Zeigefinger gehoben und auf irgendwelche bösartigen Unterstellungen zurückgegriffen, um möglichst viel Aufsehen zu erwecken. Ich finde es ehrlich gesagt so grauenhaft.

» Glasreinigerin » Beiträge: 1008 » Talkpoints: 0,10 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Um ehrlich zu sein, wenn sich Leute als Mensch einer anderen Kultur verkleiden, und sich dann daneben benehmen, dumme klischeehafte Sprüche von sich geben und ein Stereotyp darstellen, das beleidigend ist, dann rege ich mich darüber auch auf. Ich gebe zu, dass das in dem Fall eine emotionale Reaktion ist, die eventuell auch einer kühlen Logik widerspricht. Also ich weiß durchaus, dass die Person im Kostüm sich vielleicht nichts Böses dabei denkt, sich vielleicht gar nichts dabei denkt, aber bei einigen Verhaltensweisen ärgere ich mich trotzdem.

Mal als konkretes Beispiel, was ich in meiner Schulzeit erlebt habe: Ich bin Asiatin, und habe zum Beispiel mitbekommen, dass ein Mitschüler sich die Augen zu "Schlitzen" zog, sich immer wieder klischeehaft verbeugte, und dabei mit einem klischeehaften Akzent so etwas sagte wie "Ich Chinese! Ich essen gelne Leis, Katze und Hund!" Also ernsthaft, in solchen Situationen werde ich wütend. Aus dem ersten Jahr am Gymnasium habe ich auch noch ein ähnliches Erlebnis im Gedächtnis. Nur ging es da nicht um das angebliche Essen von Hunden, sondern der Spruch ging in Richtung "Ich gut in Mathe, aber habe kleinen Penis!" Super. Wobei ich nicht weiß, ob mich da diese dummen Vorurteile aufregen, oder eher die Primitivität dieses Getues. Vielleicht ist es auch die Kombination aus beidem.

Was aber nun das reine Verkleiden betrifft, ohne das Spielen blöder Klischees oder Gequatsche von Vorurteilen: Da habe ich nichts dagegen. Jeder Europäer und jede Europäerin, der oder die das möchte, kann meiner Meinung nach in chinesischer Kleidung herumlaufen, wenn er oder sie sie schön findet. Wieso auch nicht? Mir ist es auch egal, ob das im Alltag oder zu Karneval der Fall wäre. Für mich ist Kleidung in dem Fall einfach Kleidung. Wenn die Person sie anzieht, dürfte sie in diesem Fall vermutlich den Stil schön finden. Das empfinde ich persönlich als positiv, keineswegs als rassistisch.

Ich hatte übrigens mal vor, mir einen Kimono selber zu nähen, um ihn bei diversen Kirschblütenfesten anziehen zu können. Ich besuche diese Feste unglaublich gerne und finde Kimonos einfach wahnsinnig ästhetisch. "Darf" ich nun so herumlaufen, obwohl ich keine Japanerin bin? Wäre es ein Unterschied, hätte ich gar keine Asiaten in der Familie, sondern nur "weiße" Deutsche?

Noch einmal zur Debatte an sich: Das Thema nennt sich "Kulturelle Aneignung" oder "Cultural appropriation". Wobei man sich unter dem Stichwort nicht einmal nur über Verkleidungen für Kostümfeste aufregt, sondern beispielsweise auch über chinesische Schriftzeichen als Tattoo, über Henna-Bemalungen oder über Dreadlocks. Weil diese ja auch nicht originär zur "weißen Kultur" gehören würden. Hier mal eine Grafik zum Thema, konkret auf indische Bindis bezogen, die ich interessant finde.

Ehrlich gesagt empfinde ich es als etwas seltsam, Kulturen quasi voneinander abschotten zu wollen. Das erinnert an gewisse seltsame "Reinhaltungs"-Tendenzen, die normalerweise eher aus der rechten Ecke stammen. Abgesehen davon: Im Grunde ist Kultur ja immer wandelbar und schon immer, seitdem es überhaupt Menschen gibt, haben Kulturen sich gegenseitig beeinflusst. Kulturelle Übernahmen gab es auch immer, man denke mal beispielsweise alleine daran, wie chic die französische Sprache vor einigen Jahrhunderten auch im an sich deutschsprachigen oder russischsprachigen Raum unter Adligen war. Das "einfache Volk" sprach die Landessprache, der Adel teilweise nur Französisch. Sicher ist es noch einmal ein Unterschied, ob ein Trend aus Frankreich übernommen wurde, oder von einem anderen Kontinent, aber ich denke, worauf ich hinaus will, ist verständlich.

Hier übrigens noch einmal ein Flyer, den ich zum Thema gefunden habe. Seltsam finde ich die Aussage, dass es falsch sei "ohne Erlaubnis" Aspekte einer "fremden" Kultur anzunehmen. Wer hat denn das Recht, die Erlaubnis zu erteilen? Wer soll für eine ganze Zivilisation sprechen?

Würde man alle Leute, die ein Teil dieser Kultur sind, befragen, kämen tausend verschiedene Meinungen heraus. Es gäbe Leute, die fänden die "kulturelle Aneignung" schlimm und störend, es gäbe welche, denen wäre es egal, und einige würden sich sicher auch freuen, wenn es Fans ihrer traditionellen Tracht gibt. Wer soll das Recht haben, nun zu entscheiden, was in Ordnung ist und was nicht?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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