Tyskerbarn: Die Behandlung von Besatzungskindern in Norwegen

vom 17.03.2014, 21:11 Uhr

Dass Kinder, die während Besatzungszeiten zwischen einheimischen Frauen und ausländischen Besatzungssoldaten gezeugt worden sind, es nicht leicht haben, stand nie außer Frage. Insbesondere, wenn Frauen freiwillig Liebesbeziehungen zu den Besatzern begannen, wurden sie von Landsleuten oftmals als Verräter angefeindet, und die Kinder, die aus solchen Beziehungen entstanden sind, natürlich ebenfalls. Nach Ende der Besatzungszeit hörte die Diskriminierung natürlich auch nicht auf. Oftmals hatten Betroffene noch viele Jahrzehnte unter dem schlechten Ruf, den sie bekommen hatten, zu leiden.

Weil mich die Thematik interessiert, habe ich mich neulich etwas mehr über die Situation von norwegischen Besatzungskindern, so genannten Tyskerbarn ("Deutschenkinder"), eingelesen. Was ich da gelesen habe, finde ich einfach nur schrecklich. Insbesondere, wie noch nach 1945 mit den Betroffenen umgegangen wurde, ist absolut menschenunwürdig. Besonders erschreckend ist auch, welche rassistischen Denkweisen dort offenbar über deutsch-norwegische Kinder vorherrschten. Da sieht man deutlich, dass Rassenwahn auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg existierte, und leider nicht nur im ehemaligen Deutschen Reich.

Ich zitiere aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel:

1945 erwog eine „Kriegskinderkommission“, alle „Kriegskinder“ nach Australien zu verfrachten. Eine Ärztekommission kam zu dem Ergebnis, dass diese Personengruppe „minderwertige Gene“ habe, von denen eine permanente Gefahr für die norwegische Gesellschaft ausgehen könnte. Nach dem Krieg wurden vor allem in Norwegen eine große Anzahl dieser Kinder misshandelt, sexuell missbraucht, psychiatrisiert und zwangsadoptiert, was nicht wenige in den Suizid getrieben hat. In Norwegen attestierte ein Oberarzt allen „Deutschkindern“ (...) kollektiv die Diagnose „schwachsinnig und abweichlerisches Verhalten“. (...) „Vater ist Deutscher“ genügte zur Einweisung. Teilweise waren sie auch medizinischen Versuchen mit LSD und anderen Rauschgiften ausgesetzt. Ihre Ausweispapiere wurden vernichtet

Und das wohlgemerkt nach 1945. Und 1959 hat absurderweise Deutschland etliche Millionen D-Mark als Entschädigung dafür an Norwegen gezahlt. Das Geld kam natürlich auch niemals bei den Betroffenen an. Bis heute ist ungeklärt, was eigentlich damit geschehen ist. Eine angemessene Entschuldigung, wenn es so etwas überhaupt geben kann, gab es bis heute nicht. Erstmalig im Jahr 1998, also über 50 Jahre nach den Geschehnissen, wurde das Thema mal offiziell angesprochen. Eine richtige Aufarbeitung gab es aber trotzdem bis heute noch nicht.

Traurigerweise gibt es Geschichten wie diese in allen möglichen Ländern. Meiner Meinung nach sollten sie stärker thematisiert werden, alleine schon, um das Unrecht, das den Betroffenen geschehen ist, mal zu beleuchten. In wenigen Jahren werden Entschuldigungszahlungen wohl nichts mehr bringen, weil die Betroffenen dann mittlerweile an Altersschwäche verstorben sein dürften. Aber vielleicht lernt ja wenigstens irgendein Mensch etwas aus der Geschichte. Obwohl ich mittlerweile schon etwas pessimistisch bin, ob das wirklich funktionieren kann. Aber vielleicht denke ich da auch einfach nur zu negativ.

Wusstet Ihr schon von diesem Vorgehen gegenüber Kindern mit deutschem Vater im Norwegen nach 1945? Wurde die Thematik in Deutschland schon einmal medial verarbeitet, beispielsweise in einem Dokumentarfilm oder in Form von Literatur? Meint Ihr, dass die heute noch lebenden Betroffenen Schadensersatzzahlungen erhalten sollten? Und wer wäre dafür zuständig, Deutschland oder Norwegen? Warum vertretet Ihr diese Meinung?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Es war leider nicht unüblich, sondern fast schon die Regel, dass Frauen, die in den von Deutschland besetzten Gebieten Affären mit deutschen Soldaten hatten, nach der Befreiung von den Nazis, sehr schlecht behandelt wurden. Diese Frauen wurden als Kollaborateurinnen und Verräterinnen angesehen. Häufig kam es zu gewalttätigen Übergriffen, bei denen den Frauen als zusätzliche Demütigung oft der Kopf rasiert wurde.

Ich kann in mancher Hinsicht die Frauen verstehen. Ihre Länder waren von Deutschland besetzt und meistens mangelte es an Lebensmitteln oder Kleidung. Dass die Frauen sich deutsche Soldaten als Liebhaber zulegten, war eine Art Überlebensstrategie, weil die deutschen Soldaten am ehesten Zugang zu Versorgungsgütern hatten.

Die SS hat diese meist außerehelichen Affären sogar ausdrücklich gefördert, gerade in Skandinavien. Ziel sollte sein, dass die SS-Männer möglichst viele "arische" Nachkommen zeugten, als zukünftige Elite des Reichs. Das ganze lief unter dem Motto "Dem Führer ein Kind schenken.". Dafür gab es extra einen SS-eigenen Verein, den Lebensborn e.V., der den schwangeren Müttern anonyme Entbindungen anbot und die geborenen Kinder entweder in Lebensborn-Kinderheimen nationalsozialistisch erzog oder Adoptionen an SS-Familien vermittelte.

Es ist einfach grausam, wenn man sich mit der Thematik beschäftigt, da sie einem nur wieder aufzeigt, wie verabscheuenswert der Nationalsozialismus war. Kinder und Leben wurde als Ware angesehen. Gleichzeitig erfährt man aber auch über großen Unrecht, welches Frauen und Kindern von Nazis nach dem Krieg angetan wurde.

Im Übrigen haben sich die deutschen Frauen nach Kriegsende auch ganz ähnlich verhalten. Es gab viele Affären zu den alliierten Besatzungssoldaten in Deutschland, unabhängig von der Besatzungszone, aus denen auch viele Kinder hervorgegangen sind.

» Jack R » Beiträge: 1229 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Jack R hat geschrieben:Es ist einfach grausam, wenn man sich mit der Thematik beschäftigt, da sie einem nur wieder aufzeigt, wie verabscheuenswert der Nationalsozialismus war. Kinder und Leben wurde als Ware angesehen. Gleichzeitig erfährt man aber auch über großen Unrecht, welches Frauen und Kindern von Nazis nach dem Krieg angetan wurde.

Die Hervorhebung stammt von mir. Mich würde interessieren, inwiefern Du "Nazis" die Schuld für die Diskriminierung von halb-deutschen Kindern nach dem Zweiten Weltkrieg gibst? Die Nationalsozialisten haben viele völlig grausame Dinge verbrochen, ja. Aber die "Tyskerbarn" wurden nicht durch deutsche Nazis diskriminiert, sondern durch ihre eigenen Landsleute, norwegische Mitbürger. Oder sind die Nationalsozialisten "Schuld", dass die Kinder auf die Welt gekommen sind? Ich verstehe leider wirklich nicht genau, worauf Du hinaus möchtest.

Wobei, ja, die, die die "Deutschenkinder" misshandelt haben und menschenunwürdig mit ihnen umgegangen sind, die dabei komische Rassengedanken im Hirn herumschwirren hatten, die kann man durchaus auch als Nazis bezeichnen, wenn man es streng nimmt. Es waren aber in diesem Fall nicht die deutschen Nazis im eigentlichen Sinne, von denen diese Diskriminierung und unwürdige Behandlung kam.

Zu der Sache mit dem "Menschenmaterial": Das ist leider auch keine deutschlandspezifische Sache, sondern so wird fast von allen Kriegsmächten gedacht. Gut, das Lebensborn-Programm der Nationalsozialisten war noch einmal eine andere Stufe, aber dass man in Menschen, seien es Soldaten oder Kinder, die später mal Soldaten sein könnten, bloß Material für den Krieg sieht, das ist leider weit verbreitet, und zwar überall auf der Welt. Das hat mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun. Das gab es auch in völlig gegenteiligen politischen Systemen.

Womit ich definitiv niemals den Nationalsozialismus irgendwie beschönigen möchte! Ich möchte eher darauf hinweisen, dass leider weltweit viele Leute schlimme Dinge tun und grausige Denkweisen haben. Und dass man aufpassen sollte. Bedrohungen für Frieden und ein menschliches Zusammensein gibt es leider überall auf der Welt. Und auch krude Rassentheorien haben leider nicht die deutschen Nazis für sich alleine gepachtet, die gab es auch in vielen anderen Ländern. Eine Sache, die man aufarbeiten sollte, damit man auch den Rassismus-Opfern in anderen Ländern gerecht wird, wo die Nazis nicht ihre Finger im Spiel hatten.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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