Warum sind Aufgeklärte trotzdem anfällig für Sekten?

vom 18.02.2014, 20:25 Uhr

Als ich heute mit meiner Kollegin in der Stadt war, hatte sich dort ein Stand von der Sektengruppe Scientology breit gemacht. Groß und schmächtig warben dort ein paar Scientologen um Mitglieder. Eigentlich sind ich und meine Kollegin uns einer Meinung. Sekten dieser Art wollen nur an unser Geld. Sämtliche Kurse und Persönlichkeitsstatistiken sind rein erfunden und hochgeschaukelt.

Durch die kostenlosen Persönlichkeitstests wollen solche Gruppen nur deinen wundesten Punkt herausfinden, womit Sie dich dann als Mitglieder bestens angeln können. Dies ist uns alles geläufig. Trotz unserer rauen Einstellung zu abhebenden pseudoreligiösen Gruppen, lies sich meine Bekannte auf einen Persönlichkeitstest heute ein. Abgegeben hat sie sogar ihre komplette Anschrift als auch Telefonnummer.

Keine zwanzig Minuten später bekam meine Bekannte einen Anruf. Ihr wurde direkt ins Gewissen geredet, wie schlecht doch ihr Selbstbewusstsein sei und dass sie wortwörtlich untergeht in unserer Welt. Wie es bei Scientology so ist, bekam sie gleich ein Kursangebot. Zögernd nahm sie das Angebot an. Geschockt wie ich war konnte ich nicht glauben, was passierte.

Meine Bekannte wurde in kürzester Zeit um den Finger gewickelt. Ihre Ansicht hat sich zumindest zu dieser Gruppe drastisch ins Positive verändert. Ich kann es wirklich selbst kaum glauben. Wie kann es sein, dass gut aufgeklärte Menschen trotzdem anfällig sind für Sekten?

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» Naviia » Beiträge: 821 » Talkpoints: 27,64 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Es kommt wahrscheinlich darauf an, wie man aufgeklärt ist und auch, wie die eigene Persönlichkeit so ausschaut. Es gibt eigentlich auch in unserer heutigen Welt noch genug Menschen, die eigentlich gar nicht so richtig über Sekten Bescheid wissen, weil sie noch nie wirklich damit konfrontiert worden sind. Sie sehen dann vielleicht den einen oder anderen Betrag im Fernsehen, denken sich aber nichts dabei und ahnen nichts böses. Für diese Menschen ist es dann vielleicht auch schwer festzustellen, dass sie sich in einer Sekte befinden, weil sie nicht so schnell erkennen, wann es sich eben um eine handelt und wann nicht. Dadurch das Sekten im Fernsehen und in den Medien meistens auch immer als sehr bedrohlich rüber kommen, fühlen sie sich dann in einer Sekte erstmal wohl, wenn diese sie so höflich behandelt, wie Scientology. Zu Beginn zumindest.

Solche Menschen würde einem dann wahrscheinlich auch zustimmen, wenn es heißt, Sekten sind schlecht, aber anschließen würden sie sich trotzdem. Und dann gibt es natürlich die Art von Menschen, die zwar wissen, dass eine Sekte schlecht für einen ist, sich aber dennoch anschließen, weil sie jemanden oder etwas suchen, was sie auffängt und ihnen beisteht. Gerade Menschen mit schlechtem Selbstbewusstsein haben es in unserer Welt nicht so einfach und dann kann man schon leicht um den Finger gewickelt werden, mit allen möglichen Versprechen. Wenn man sich immer nur missverstanden gefühlt, hat, gemoppt wurde und alles mögliche ertragen musste, dann fühlt man sich zu Beginn in einer solchen Sekte vermutlich überraschend gut und erst später dämmert es einem.

Der Drang nach Zuneigung, Zustimmung und Achtung ist bei den Menschen eben sehr groß und wenn man das nicht von der Familie, seinem Partner oder Freunden bekommt, dann kommt es manchmal eben schon vor, dass man sich dann einer solchen Sekte anschließt, um das zu erreichen, auch wenn man eigentlich weiß, dass es nie und nimmer gut sein kann. Das ist schwer vorzustellen, aber ich denke, dass kann man auch mit Essen, Rauchen und Trinken vergleichen. Obwohl jeder weiß, dass Trinken und Rauchen sehr ungesund ist, tun es dennoch die meisten Menschen und viele Übergewichtige gönnen sich mitunter dennoch die Extraportion Nudeln mit Pesto, obwohl sie wissen, dass sie dadurch nicht schlanker werden.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Ich glaube, es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen wider besseren Wissens für solche Sekten anfällig sind und sich auf näheren Kontakt mit ihnen einlassen, obwohl sie das möglicherweise vorher immer vehement abgelehnt haben.

Auf der einen Seite ist da sicherlich eine gewisse Neugier. Vielleicht möchte man einfach mal sehen, wie es dort tatsächlich zugeht und dann lässt man sich darauf ein, weil man glaubt, viel zu aufgeklärt und unabhängig zu sein, um dem Ganzen dann wirklich zu verfallen.

Sicherlich sind aber auch besonders die Leute anfällig, die irgendwie unzufrieden im Leben sind. Menschen mit wenig Selbstbewusstsein, Menschen mit Problemen im Beruf, Menschen mit den Wunsch nach Zusammenhalt und etwas, woran sie sich festhalten können. Sekten eignen sich wunderbar für solche Leute, gibt man doch ein Stück Verantwortung ab, hat feste Regeln für die Stabilität und gewinnt vermeintlich an Selbstbewusstsein.

Besonders die Scientologen sind ja dafür bekannt, dass sie erklären, mit ihrer Lehre und ihren Praktiken aus den Leuten erfolgreiche, gesunde und glückliche Menschen zu machen. Erfolg, Gesundheit und Glück sind ja elementare Dinge, die sich eigentlich jeder wünscht. Und die Leute, die die neuen Mitglieder ansprechen oder Scientology nach außen vertreten, wirken ja auch entsprechend. Wenn ich zum Beispiel die Sabine Weber sehe, bin ich immer irgendwie fasziniert. Warum kann ich gar nicht mal sagen. Aber es ist ja oft so, dass gerade Führungsverbot- und Repräsentationspersonen eine gewisse Ausstrahlung haben.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



CCB86 hat geschrieben:Besonders die Scientologen sind ja dafür bekannt, dass sie erklären, mit ihrer Lehre und ihren Praktiken aus den Leuten erfolgreiche, gesunde und glückliche Menschen zu machen. Erfolg, Gesundheit und Glück sind ja elementare Dinge, die sich eigentlich jeder wünscht.

Ach ja, ich kann mich noch an einen Vortrag in der Schule über L. Ron Hubbard und Scientolgy erinnern. Der Vortragende forderte uns auf, die Hände zu heben, wenn wir gerne ein glückliches Leben führen würden und wenn wir uns ein Ende des Hungers auf der Erde wünschen würden. Letztlich hat jeder im Saal die Hand gehoben. Seine Antwort: Glückwunsch, Sie sind alle potentielle Kandidaten für die Anwerbung durch Scientology.

Die wissen schon ganz genau, wie sie die Leute ködern. Und keine Sekte gibt von Anfang an ihr wahres Gesicht preis und gibt die unterdrückenden Machenschaften zu. Zunächst mal wird man von positiven Dingen berieselt, bis sie einem in Mark und Bein übergegangen sind. Vor kurzem erst habe ich einen Bericht über Aussteiger gesehen. Die haben geschildert, wie sie sogar während ihrer Zeit in der Sekte Zweifel hatten, aber diese einfach immer wieder runtergeschluckt haben. Die andere Seite ist einfach stärker, wenn die schon länger von denen bearbeitet wurde.

Ich denke, du hast deine Kollegin einfach ein wenig falsch eingeschätzt. Sie ist eben doch nicht so aufgeklärt, wie du dachtest. Vielleicht hast du zuerst deine Meinung über Sekten geäußert und sie hat dir zugestimmt. Nicht aus vollster Überzeugung, sondern weil man oft einfach zustimmt, um keine Diskussion heraufzubeschwören, anzuecken oder sich lächerlich zu machen.

Ansonsten ist es das übliche Problem. Man kann eine Situation nicht einschätzen, bevor man mittendrin steckt. Wer weiß schon genau, wie er auf etwas reagiert, das er nicht kennt. Das trifft gleichermaßen auf Gefahrensituationen, medizinische Diagnosen und eben auf den ersten intensiveren Kontakt mit Sekten zu. Bevor man es nicht selbst erlebt hat, kann man nur mutmaßen, wie man reagieren würde.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Menschen sind aus den gleichen Gründen für Sekten anfälligen, die sie auch in die Arme von Religionen treiben, die ja auch nur etablierte Sekten sind. Im Prinzip ist es einfach so, dass der Teil des Gehirns, der auf Religion anspricht, mit dem rationalen Teil des Gehirns nichts zu tun hat. Die selben Menschen, die daran glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist würden dich für verrückt erklären, wenn du ihnen erzählen würdest, dass du einem Zombie begegnet bist, obwohl es sich um genau den gleichen Sachverhalt handelt. Der Zombie wir mit Logik analysiert, der religiöse Mythos aber nicht.

Allerdings haben die Programme, mit denen bei Scientology Neukunden angeworben werden, mit Religion ja überhaupt nichts zu tun. Die Leute stellen sich ja nicht hin und erzählen die Geschichte von Xenu, der Aliens von überbevölkerten Planeten auf die Erde verbannt hat, wo deren Seelen nun in menschlicher Form wiedergeboren werden. Da würden die meisten Menschen wahrscheinlich einfach laut lachen und die Science Fiction Fans würden sich peinlich berührt abwenden, weil die Mythologie dieser Religion selbst für schlechte Science Fiction schlecht ist. Die Religion kommt bei Scientology erst dazu, wenn die Menschen schon eine ganze Reihe Kurse belegt haben und entsprechend viel Geld bezahlt haben.

Bei Scientology geht es ja erst mal nur darum die Menschen bei ihren Schwächen und Unsicherheiten zu packen und ihnen Hilfe zu versprechen. Das machen Menschen auch ganz ohne religiösen Hintergrund, indem sie teure Seminar zur Selbsterfahrung, Selbstfindung und so weiter anbieten. Da müsste man also eher fragen warum Menschen für solche Versprechen empfänglich sind.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


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