Lagen Kaufmannsläden früher direkt in Wohngebieten?

vom 09.02.2014, 21:30 Uhr

Ich wohne aktuell im Randgebiet einer großen Stadt. An sich ist die Siedlung relativ abgelegen, war auch schon immer etwas von den zentralen Straßen entfernt, die Häuser existieren aber dennoch alle schon seit über 100 Jahren. Die meisten sollen wohl so um das Jahr 1900 herum entstanden sein. Es sind alles alte Villen gewesen, teilweise wurden sie heute zu Mehrfamilienhäusern umgebaut, Stockwerke haben sie zwischen zwei und vier.

Insgesamt ist es aber auf jeden Fall ein reines Wohngebiet und war es wohl auch schon immer. Es gibt eine größere Straße, die in Richtung Hauptstraße verläuft, wo dann auch der alte Park des Gutshofs und der "Dorfkern" mit verschiedenen größeren Fachwerkhäusern, mit Läden und so weiter, ist. Auf jeden Fall merkt man deutlich die Unterteilung zwischen dem Villenviertel und dem Viertel mit Läden, Handwerksbetrieben, und so weiter. Das war wohl auch vor 100 Jahren so nicht unbedingt unüblich, dachte ich bisher jedenfalls.

Nachdem ich hier frisch eingezogen war, bin ich aber natürlich in der Nachbarschaft etwas spazieren gegangen. Ich sehe mich in Gegenden, in denen ich neu bin, gerne etwas intensiver um und erkunde einfach gerne das Viertel. Gerade, wenn ich an einem Ort länger zu bleiben plane, brauche ich diese Ortskenntnis auch einfach persönlich, um mich wohl und heimisch zu fühlen.

Nicht schlecht gestaunt habe ich, als ich feststellte, dass mitten in diesem Wohnviertel aber wohl früher doch einige Läden waren, mitten zwischen den relativ noblen Villen. An einer alten Villa kann man so heute noch die alte Ladenbeschriftung an der Fassade lesen. An einer anderen ist sogar noch ein Metallschild vorhanden, das darauf hinweist, dass sich dort mal ein Laden befunden hat. Da auch "Kolonialwaren" angepriesen werden, und von der optischen Gestaltung des Schildes her, würde ich vermuten, dass es so etwa in den 1920er Jahren hergestellt worden sein müsste. Natürlich kann es den Laden auch vorher schon gegeben haben, und vielleicht hat er sich dann auch noch einige Jahrzehnte gehalten, aber ich würde ihn schon ungefähr in diese Zeit einordnen.

Da habe ich mich gefragt: Was es früher eigentlich auch in so relativ ländlichen Gegenden üblich, Läden direkt in Wohngebieten einzurichten? War es damals üblich, dass man neben seiner Villa direkt auf dem Nachbargrundstück beispielsweise einen Fleischer, einen Gewürzladen oder ein Lebensmittelgeschäft hatte? Heute kenne ich das so nämlich gar nicht mehr.

Ja, sicher gilt Zentralisierung als so etwas typisch Modernes. Ich kenne auch die Klagen, dass kleinere regionalere Läden heute immer mehr verdrängt werden, und man stattdessen immer mehr große Einkaufszentren an irgendwelchen Verkehrsknotenpunkten hat, zu denen man erst einmal ein ganzes Stück laufen oder fahren muss. Die Supermärkte hier in der Gegend sind auch kaum mehr bei den Wohnblöcken, sondern eher am nächsten Bahnhof. Früher soll alles dezentraler gewesen sein, das stimmt. Aber Kaufsmannsläden direkt zwischen den Villen reicherer Leute, war das damals wirklich so üblich? Und vor allen Dingen: Wie kam das bei den Menschen an?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Früher war das in der Tat so, dass es in der Nähe von Wohngegenden auch Läden gab. Das war selbst in meiner Kindheit in den 70er und 80er Jahren noch üblich, da kam das Thema Supermarkt gerade auf. Die waren aber noch so klein von der Fläche her, dass die modernen Geschäfte da heute drüber lachen würden. Fussläufig erreichen konnte ich davon zwei.

Es gab aber auch einen Metzger, einen Gemüseladen, einen Laden der alles mögliche an Kram hatte, vom Bügeleisen bis zum Teddybären und den klassischen Tante Emma Laden. Bäcker waren sogar an jeder Ecke und außerdem gab es auch noch Lieferdienste. Wir haben damals das Brot gebracht bekommen, jeden Freitag und jeden Dienstag. Auch in den anderen Stadtvierteln gab es zumindest kleine Läden, die den Grundbedarf deckten.

Ich fand das schöner als heute. Man kam auch mit den Öffnungszeiten ganz gut klar, weil man mal eben losflitzen konnte, wenn man was vergessen hatte. Man brauchte ja nur um die Ecke und war zwei Minuten später wieder da. Das können heute die wenigsten.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich kenne hier auch einige Wohngebiete, in denen es früher etliche Einzelhändler gab. Lebensmittel, Bäcker, Metzger, Friseur,, Schuhmacher gab es dort, aber auch Ärzte und Behörden. Zum Teil waren diese Geschäfte sogar in Wohnungen untergebracht, manchmal auch im Mehrfamilienhaus. Platz war eben rar und da wurde eben dort ein Geschäft untergebracht, wo Platz war.

» Squeeky » Beiträge: 2792 » Talkpoints: 6,18 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



An sich finde ich es auch super, wenn Läden nicht zu weit von der Wohnung weg sind. Dort, wo ich früher lange Jahre wohnte, gab es direkt an der nächsten Kreuzung einen Supermarkt. Also, wirklich einen richtigen großen. Allerdings lebte ich zu dem Zeitpunkt auch mehr oder weniger direkt an einer größeren Straße, die zur nächsten großen Stadt führte. Da war es klar, dass in der Lage auch ein Supermarkt zu finden war. Praktisch war es aber auf jeden Fall. Besser, als jetzt, wo in 3 Kilometern Umgebung keine Einkaufsgelegenheit ist. Besonders für alte Leute ohne Auto tut mir das Leid. Für die ist das ja schon immer mühsam, unter den Umständen einkaufen zu gehen.

Aber zwischen einem kleinen Tante-Emma-Laden in einem neuzeitlichen Wohnblick und so einem Kolonialwarenladen zwischen Villen von 1900 besteht ja schon noch ein Unterschied, finde ich. Bei Wohnblöcken ist man ja viele Menschen in der Umgebung gewohnt. Teilweise wohnt man sogar nahezu beengt. Es ist städtisch. Es ist "lebendig". Aber hier in der Gegend gibt es wirklich nur einzelne Villen, riesige Gärten und Wald. Mal salopp gesagt: Vor 100 Jahren war das hier eine totale Snob-Gegend. Ob reiche Bürger oder Adlige wirklich einen Laden auf dem Nachbargrundstück haben wollten? So ein Laden bringt ja auch Kunden, bringt bisschen Lärm und Unruhe mit sich. Ob das den Villenbesitzern damals gefallen hat?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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