Zeugen unter Hypnose vernehmen üblich?

vom 19.01.2014, 02:25 Uhr

Neulich habe ich in einem Zeitungsartikel etwas gelesen, was mich sehr gewundert hat. Es war ein Artikel auf der Website vom Tagesspiegel. Insgesamt ging es um den NSU-Prozess, der medial ja schon seit Monaten enorm detailliert aufgearbeitet wird. Oftmals sind in diesen Prozessberichten saloppe Formulierungen zu finden, auch habe ich schon Angaben bemerkt, die ich irgendwie seltsam oder fragwürdig fand. Manchmal frage ich mich, ob die Berichterstatter nicht möglicherweise Teile dazuerfinden, damit die "Schauergeschichte" noch gruseliger wird. Was es da manchmal zu lesen gibt, hat für mich wenig mit seriöser Berichterstattung gemein. Dass auch angeblich seriöse Zeitungen das mitmachen, finde ich traurig.

Ganz beiläufig habe ich nun also in einem solchen Bericht gelesen, dass ein Zeuge sich an einen bestimmten Vorfall wohl nicht mehr erinnern könne, und dass auch die Vernehmungen unter Hypnose nicht zu mehr Informationen geführt hätten. Kann das denn wirklich sein, dass ein Zeuge bei einem Gerichtsprozess hypnotisiert wird, weil man sich erhofft, dass er dadurch mehr Hinweise geben kann? Ist das denn überhaupt ein in Deutschland rechtlich zugelassenes Mittel? Und wenn ja, ist das üblich? Oder kommt so etwas nur bei riesigen, medial wirksamen, Verfahren vor?

Außerdem würde mich interessieren, ob ein Zeuge dazu gezwungen werden kann, sich hypnotisieren zu lassen. Oder geschieht so etwas, wenn überhaupt, immer freiwillig? Gibt es einen Paragraphen, der sich mit Zeugenaussagen unter Hypnose befasst, beziehungsweise diese explizit erlaubt und für gültig erklärt? Gibt es Studien darüber, ob Hypnose bei Gerichtsverfahren wirklich einen Vorteil erbringt, und ob sich dadurch mehr oder bessere Zeugeninformationen sammeln lassen? Würde bei Aussagen unter Hypnose nicht eher die Gefahr bestehen, dass der Hypnotiseur dem Zeugen falsche Dinge suggeriert, die dieser dann als wahre Erinnerungen betrachtet? Es wäre toll, wenn hier im Forum jemand wäre, der sich mit dieser Thematik auskennt und daher wirklich sicher Auskunft darüber geben könnte.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich bin auch ganz oft der Meinung, dass die Berichterstatter noch mehr dazudichten, damit die Geschichte noch gruseliger erscheint und somit mehr Leute darüber sprechen und desgleichen. Ich finde auch immer wieder, dass es Berichte gibt, die ich gelesen habe, wo ich mir dann denke, dass das alles nicht mehr mit seriöser Berichterstattung zu tun hat. Aber gut, man kann es nicht ändern. Man muss es so hinnehmen und man sollte somit nicht alles glauben, was so in den Berichten geschrieben wird.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass in diesem Prozess auch mit der Hypnosemethode gearbeitet wird, weil es sich ja um einen Skandalprozess handelt, der auch sehr in der Öffentlichkeit steht. Das öffentliche Interesse an diesem Prozess ist sehr groß, weshalb wohl auch jede Information sehr wichtig ist. Und, wenn die befragten Personen behaupten, dass sie sich nicht mehr an einen Vorfall erinnern können, muss man zu härteren Maßnahmen greifen. Letztendlich hat die Hypnose auch keine weiteren Informationen erbracht, aber ein Versuch war es wert. Ich denke auch, dass die Hypnose ein rechtlich zugelassenes Mittel ist, um herauszufinden, was wirklich passiert ist. Wenn das Gericht eine Befragung unter Hypnose veranlasst, dann wird es wohl auch ein rechtlich zugelassenes Mittel sein.

Ich denke aber nicht, dass die Befragung unter Hypnose ein übliches Mittel ist, um an Informationen heranzukommen. Bei minderschwerwiegenden Delikten werden solche Arten von Befragungen sicherlich nicht durchgeführt. Sicherlich wurden jetzt zu härten Maßnahmen gegriffen, weil der Prozess so in der Öffentlichkeit steht und das Interesse einfach zu groß ist. Wenn den Leuten noch mehr Fehler passieren würden in diesem Fall und bei diesem Prozess, würden die Leute nicht mehr ernst genommen werden. Und damit ihnen keine Informationen enthalten bleiben, wird dort wohl auch mit anderen Methoden gearbeitet, wie wir sie sonst kennen und miterleben.

Ich kenne mich mit den Gesetzen nun nicht sonderlich gut aus, aber ich denke nicht, dass man einen Zeugen zu einer Hypnose zwingen kann. Sicherlich wird eine Hypnose nur mit dem Einverständnis des Zeugen vonstattengehen. Alles andere wäre für mich auch eine Straftat. Immer hin kann man einen nicht dazuzwingen sich hypnotisieren zu lassen, wenn man es nicht möchte. Zu dem ist es auch fraglich, ob die Hypnose funktioniert und anschlägt, wenn der Zeuge es nicht möchte­.

» kai0409 » Beiträge: 3345 » Talkpoints: 72,64 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Es kommt immer darauf an, wie ein Reporter eine Geschichte erzählt. Wenn sie reißerisch aufgebrezelt wurde, kann man damit rechnen, dass nicht alles so war, wie es dort angegeben wurde. Oft wird knapp an der Unwahrheit vorbei berichtet.

Was in anderen Ländern vielleicht möglich und üblich ist, darf in Deutschland bei Gericht nicht angewandt werden. So jedenfalls sehe ich das. Ich habe auch noch niemals gehört, dass jemand unter Hypnose verhört wurde. Wenn man einen Angeklagten oder Zeugen dazu zwingen würde, unter Hypnose auszusagen, was sollte dann das Zeugenverweigerungsrecht bringen oder das Aussageverweigerungsrecht?

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Die Hypnose ist nicht wissenschaftlich bewiesen, denn sie muss nicht bei allen Personen funktionieren. Es gibt nämlich sogar viele Personen, die auf Hypnose überhaupt nicht ansprechen. Andere Personen können unter der Hypnose sogar völlig falsche Dinge erzählen. Das kann man beispielsweise im Vorfeld einer Hypnose nie so genau voraussagen. Beispielsweise ist ein chirurgischer Eingriff vielfach sicherer als die Hypnose. Bei der Hypnose spielt auch die Phantasie eine dominierende Rolle.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Im Paragrafen 136a der Strafgesetzordnung ist festgehalten, dass der Beschuldigte bei der Vernehmung nicht unter Hypnose gestellt werden darf. Außerdem werden dort Gewaltandrohung, Quälen, Schlafentzug und Täuschung genannt. Der Paragraf 69 befasst sich damit, wie mit einem Zeugen zu verfahren ist. Im dritten Absatz steht, dass ansonsten der Paragraf 136a für die Vernehmung von Schuldigen Anwendung findet.

Somit ist es vom Gesetz her schon mal nicht zulässig, Zeugen unter Hypnose zu setzen. Also unter Zwang sicherlich nicht. Aber eigentlich auch nicht mit Einwilligung, was im dritten Absatz vom Paragrafen 136a festgehalten wurde.

Beim Googlen trifft man auf einige Fälle, bei denen während der Ermittlungen Zeugen unter Hypnose befragt wurden. So konnten sie sich detailreicher erinnern und der Täter gefasst werden. Dies sind aber keine Zeugenaussagen, die vor Gericht verwertet werden. Letztlich zählt dann nur, dass der Täter gefasst wurde. Seine Schuld kann mit so einer Zeugenaussage nicht bewiesen werden. Aber dafür braucht man ja generell mehr Beweise. Auch wenn die Zeugenaussage zu anderen Beweisen führt, können die Beweise verwertet werden.

Die Hypnose ist ja kein Allheilmittel. Auch dabei kann man sich falscher Dinge erinnern. Daher ist man vor Gericht zurecht skeptisch und es ist nach wie vor verboten. Aber im Laufe von Ermittlungen war man wohl schon das ein oder andere Mal aufgeschlossen.

Solltest du diesen Artikel im Zusammenhang mit der Zeugenaussage von Martin A. gelesen haben, so ist es hier ebenfalls so, dass dieser Zeuge - der Kollege der erschossenen Polizistin - nicht vor Gericht unter Hypnose befragt wurde, sondern im Laufe der Ermittlungen als die Täter noch unbekannt waren.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Kai0409, inwiefern sollte es denn eine Rolle spielen, ob es sich um einen "Skandalprozess" handelt, oder nicht? Die Gesetze machen da doch keine Ausnahme. Entweder, Hypnose ist bei Vernehmungen erlaubt, oder aber, sie ist verboten. Das kann doch nicht davon abhängig gemacht werden, als wie wichtig oder wie medienwirksam der Prozess eingeordnet wird. Es geht doch außerdem bei jedem Prozess um die Wahrheitsfindung.

Und die ist immer wichtig, egal, ob der Prozess in den Medien durchgekaut wird, oder nicht. Ein Prozess findet doch nicht statt, um damit Zuschauer zu belustigen. Auch, wenn ich den Eindruck traurigerweise seit einigen Jahren immer häufiger bekomme. Aber das liegt vielleicht auch daran, was die Medien daraus immer basteln. Sogar "seriöse" Zeitungen schreiben derzeit beim NSU-Prozess so viel Schwachsinn, dass es einfach nur noch gruselig ist. Wirklich seriöse Berichte findet man leider kaum.

Bienenkönigin, danke für die juristischen Fakten. So etwas wollte ich hier lesen. :) Äußerungen Marke "Ich könnte mir denken, dass..." ohne wirkliches Hintergrundwissen helfen in dieser Frage ja kaum weiter. Und ja, es ging um Martin A. Der Artikel, den ich gelesen hatte, stellte es tatsächlich so dar, als habe die Hypnose als Teil der offiziellen Aussage während des Prozesses stattgefunden. Möglicherweise hat der Journalist das selber nicht so ganz verstanden. Das wäre jedenfalls meine wohlwollende Interpretation. Die boshafte wäre, dass diese Behauptung einfach zur Effektheischerei dienen sollte.

Zur Hypnose an sich: Ich habe schon mehrfach gelesen, dass Hypnose nicht wirken soll, wenn jemand nicht freiwillig mitmacht. Und dass unter Hypnose "gesehene" Sachen nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen müssen. Von daher würde ich es auch als eine sehr ungenaue Methode betrachten, die vor Gericht allein kein Gewicht haben sollte.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


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